Gewaltopfer Gerhard H. ist wieder bei Sue Graf in der "Salatschüssel". Dort war er im Juni vergangenen Jahres von einem 30-Jährigen schwer verletzt worden. Die Folgeschäden der Gewalttat sind tief greifend. Foto: Hopp

Vor knapp sechs Monaten wurde Mann brutal zusammengeschlagen. Folgeschäden sind tief greifend.

Horb - Das ist schon ein Wunder: Gerhard H. steht wieder in der Salatschüssel bei den Gästen. Mehr als ein Wunder für Salatschüssel-Inhaberin Sue Graf: Vor knapp sechs Monaten wurde der Mann brutalst von einem Koma-Schläger zusammengeschlagen.

Es passierte am Donnerstag, 23. Juni. Ein Nordstetter Familienvater (30) kam abends in die Salatschüssel. Gerhard H. war allein. Sue Graf: "Der Täter kam hinter den Tresen, doch Gerhard H. sagte ihm, dass er dort nichts zu suchen habe. Dann ging er in die Nebenräume, um Getränke aus dem Kühlschrank zu holen. Plötzlich stand der Typ im Raum und schrie: ›Ich bring dich um, ich schlag deinen Schädel zu Brei.‹ Dann nahm er den Kopf von Gerhard und schlug ihn mehrmals auf den Heizpilz mit unvorstellbarer Macht." . Der Koma-Schläger ließ sich damals freiwillig in die Psychiatrie einliefern.

Und seitdem fühlt sich Sue Graf alleine gelassen. Die Mutter von drei Kindern: "Mein Eindruck ist, dass man mehr Recht hat, durchzudrehen, als Pflicht, Selbstverantwortung zu tragen." Sie selbst trägt diese Verantwortung – nicht nur als Selbstständige, die dafür sorgen muss, dass die Salatschüssel funktioniert. Nicht nur Essen kochen, sondern auch Vorbereitung, Buchhaltung, Steuern zahlen. Mit allen Konsequenzen.

Der Koma-Schläger, so das Gefühl der Gastronomin, will sich aus der Verantwortung stehlen. Der Täter – er hat mit Gerhard H. ein Stück des Lebensrahmens von Sue Graf kaputt gemacht.

Graf erzählt: "Ich kenne Gerhard, seitdem ich 14 Jahre alt bin. Als ich im Jahr 2011 ein Haus kaufen wollte, habe ich mir überlegt, ob ich ein kleines kaufe oder ein großes, in dem Gerhard mit wohnen kann. Ich habe ihn gefragt, er hat Ja gesagt. Er gehört zu meiner Patchwork-Familie, die das Leben so zusammengefügt hat."

Pulverisierte Knochen in einer Gesichtshälfte

Das Zusammenwohnen mit Gerhard – für die Mutter natürlich auch eine Erleichterung – vor dem brutalen Überfall. Graf: "Ich bin tanzen gegangen, er hat auf die Kinder aufgepasst. Doch das ist jetzt vorbei." Denn: Graf hat für Gerhard als Teil ihrer Familie die Vollmacht. Das heißt: Sie hat nicht nur die dramatischen Stunden im Krankenhaus der Berufsgenossenschaft in Tübingen mitgemacht, in der Gerhard lag. Die Gastronomin: "Gerhard hatte ein schweres Hirntrauma und völlig pulverisierte Knochen in einer Gesichtshälfte. Der Chirurg sagte mir, dass es ein Wunder war, dass er das überlebt hat."

Nach zweieinhalb Monaten in der Klinik kam Gerhard Anfang September in die Reha. Seitdem kümmert sich Sue Graf darum, dass er wieder auf die Beine kommt. Und sein Recht bekommt. Doch das ist verdammt hart.

Graf: "Er hört nicht mehr richtig. Das Schädel-Hirn-Trauma ist bis heute zu merken. Er kann nicht mehr die Preise rechnen, ist teilweise hier in der Salatschüssel zu 60 Prozent nicht mehr da. Mit Terminen oder Telefonaten ist er völlig überfordert. Nachts höre ich, wie er ängstlich ruft. Dann gehe ich rüber und muss ihn beruhigen."

Extrem hart für die Gastronomin. Das jüngste Kind ist zwei Jahre alt. Auch die achtjährige Tochter und der zehnjährige Sohn brauchen ihre Hilfe, Liebe und Erziehung. Dazu noch die Gastronomie.

Graf: "Ich muss mit Gerhard immer wieder nach Tübingen zu Ärzten, um ihn medizinisch checken zu lassen. Dazu bin ich gerade dabei, eine Pflegestufe für ihn zu bekommen. Da gehen mal locker sechs Stunden weg, wenn ich mit ihm ins Krankenhaus fahre."

Täter offenbar zahlungsunfähig

Ein Riesen-Streß für Sue Graf: "Ich weiß nicht, wenn ich verunfall. Alles hängt an mir. Wenn ich sehe, dass der Täter auf freiem Fuß ist, habe ich das Gefühl: Es ist bizarr. Ich trage die Verantwortung für den Schaden, den er angerichtet hat. Und er muss keine Verantwortung tragen."

Der Anwalt von Graf hat eine Schadenersatzforderung an den Täter gestellt. Antwort von dessen Rechtsanwalt, so die Gastronomin: "Der Täter sei zahlungsunfähig. Weil er der Alleinernährer seiner Familie ist."

Auch an die Legende, dass der Koma-Schläger die furchtbare Tat unter Alkohol und einer "extremen psychischen Belastung" quasi ungeplant gemacht hat, glaubt sie nicht. Die Gastronomin: "Er ist ohne Führerschein von Nordstetten hier her ins Industriegebiet gekommen. Er hat das Handy von Gerhard über die Theke geworfen – und zwar so versteckt, dass Gerhard keine Hilfe rufen konnte."

Auch die Justiz und das deutsche Rechtssystem greifen nicht durch, so die Gastronomin: "Der Täter wurde damals nicht mal dem Strafrichter vorgeführt – weil er freiwillig in die Psychiatrie gegangen ist. Auch beim Autokratzer von Nordstetten passiert nichts. Ich denke, dass wir bald Anarchie haben, wegen der falschen Art, mit der wir miteinander umgehen. Das liegt nicht an Einwanderern oder Flüchtlingen, sondern weil unserer Gesellschaft das Rückgrat fehlt. Wenn all solche Täter verknackt werden würden, müsste an jedem Ort ein Knast sein. Dabei ist Gefängnis die einzige Möglichkeit, die Gesellschaft vor solchen Tätern zu schützen. Wenn man die Schicksale von Straftätern liest – die werden alle nicht geheilt, sondern immer wieder rückfällig."

Gerhard ist wieder in der Salatschüssel. Wie immer kümmert er sich um die Gäste. Sue Graf: "Ich lasse ihn hier mitwurschteln. Das ist die beste Therapie für ihn. Für mich ist das Ganze hart: Du hast immer wieder Ängste. Kannst du Gerhard alleine im Haus lassen, hast du es abgeschlossen? Das raubt dir die Energie."