Schüler müssen sich warm anziehen: Wer in der GWRS Altheim zu sexy gekleidet ist, muss ein T-Shirt überstreifen. Foto: Klormann

Sexy Kleidung bei Schülern: Jede Schule geht anders damit um. GWRS verbucht positive Resonanz auf Verbot. Mit Glosse

Horb - Knappe Hosen und kurze Röcke sind passé: In Altheim an der Werkrealschule darf seit Montag niemand mehr zu sexy gekleidet sein. Gute Idee oder völlig überzogen? Darüber gehen sogar die Fachmeinungen auseinander.

An der Werkrealschule in Altheim ist am Montag eine neue Regel in Kraft getreten: Wer zu knappe und aufreizende Kleidung trägt, muss ein großes T-Shirt bis zum Ende des Unterrichts überziehen. Doch wie sieht es an den Horber Schulen aus? Ist die Kleidungsdiskussion hier ebenfalls ein Thema?

"Zur Zeit nicht", meint Heiner Kist, der Rektor der Realschule. Immer mal wieder käme das auf, besonders eben im Sommer, allerdings nur sehr selten und wenn, dann nur vereinzelt. "Ich finde es auch schwierig, eine Kleiderordnung festzulegen. Wann ist eine Hose zu kurz, wann ein Ausschnitt zu groß? Das sieht jeder etwas anders", erklärt Kist.

Er ist überzeugt, ein persönliches Gespräch bringe mehr. "Zuerst mit einem Klassen- oder Vertrauenslehrer, wenn das nicht hilft komme ich dazu und schließlich dann auch die Eltern", so Kist.

Auch an der Gemeinschaftsschule ist das kein Thema. "Ich habe noch nie Klagen von Schülern und auch nicht von Lehrkräften bekommen", meint Schulleiter Götz Peter. Deshalb habe man auch keine Notwendigkeit gesehen, in dieser Hinsicht etwas zu unternehmen.

"Ich laufe ja auch oft durch das Schulhaus", sagt Peter. "Wenn mir da etwas auffällt, spreche ich den betreffenden Schüler direkt an." Denn auch er findet ein persönliches Gespräch in dieser Situation sinnvoller.

"Angemessene, nicht störende Kleidung"

Am Horber Martin-Gebert-Gymnasium sieht das schon etwas anders aus. "Bei uns war es vor einigen Jahren Thema", berichtet der Rektor Georg Neumann. "Wir haben uns mit der Schülermitverantwortung (SMV) und dem Elternbeirat zusammengesetzt und gemeinsam überlegt, was man machen kann."

Letztendlich habe man folgenden Satz in die Schulordnung aufgenommen: "Aus gegenseitiger Rücksichtnahme achten wir auf angemessene, nicht störende Kleidung (zum Beispiel keine Strandmode, keine provozierenden Aufschriften)."

Wenn so etwas dennoch vorkommt, werde der Schüler darauf hingewiesen. Maßnahmen musste der Rektor noch nie ergreifen. "Wenn man die Schüler darauf hinweist, halten sie sich auch daran."

Daniel Wochner, der Gesamtelternbeiratsvorsitzende in Horb, hat von den Eltern noch keine Beschwerden bekommen. "Ich kann es allerdings verstehen, wenn man zu Maßnahmen wie in Altheim greift", meint er. "Wenn sich Schüler zu aufreizend kleiden, kann das den Schulalltag schwierig machen."

Manche Schüler fühlen sich verunglimpft

So weit so gut. Doch wie kommt die neue Regel nun in der Altheimer Werkrealschule selbst an? "In den Klassen wird es recht gut aufgenommen", berichtet Schulleiterin Bianca Brissaud. Auf jeden Fall habe die Vorschrift selbst für weniger Irritation gesorgt, als die ganze Diskussion, die seither um die Regel entbrannt sei.

Manche Schüler fühlten sich regelrecht verunglimpft, wenn sie über soziale Netzwerke gefragt würden, ob der Kleidungsstil tatsächlich so freizügig sei, dass man ihn verbieten müsse, erzählt Brissaud. "Wir sind doch keine Schlampen", sei eine der empörten Reaktionen gewesen, so die Schulleiterin.

Sie sieht die neue Vorschrift auch als eine Vorbereitung aufs Berufsleben und eine Förderung von Sozialkompetenz. "Natürlich habe ich das Recht, mich zu kleiden, wie ich möchte", bekräftigt Brissaud. Andererseits beinhalte jedes Recht auch Pflichten. Beispielsweise die Pflicht, Rücksicht zu nehmen, wenn andere Menschen sich gestört fühlen.

Dass die neue Regel wohl mehr Befürworter als entschlossene Gegner auf den Plan rufen wird, glaubt die Schulleiterin schon jetzt zu erkennen. So seien in manchen Klassenzimmern bereits Poster mit freizügig gekleideten Menschen darauf abgehängt worden. Eine Mutter habe sich bei ihr gemeldet, um sich für die Vorschrift zu bedanken. Und nicht zuletzt sei am ersten Tag der neuen Vorschrift keines der T-Shirts zum Einsatz gekommen.

Kleidungsregeln schließen auch Jungs ein

Die endgültigen Kleidungsregeln, die nach den Ferien von Eltern, Lehrern und Schülern gleichermaßen ausgehandelt werden, sollen indes auch Jungs einschließen. Bei letzteren fühlten sich vor allem Mädchen gestört, wenn zum Beispiel die Hosen zu tief getragen werden.

Doch nicht nur an offizieller Stelle, auch in den sozialen Medien wird das Thema eifrig diskutiert. Und spaltete die Internet-Gemeinde. "Im Büro und bei der Arbeit muss man auch angemessen gekleidet sein. Mittags im Schwimmbad oder zuhause kann man doch tragen was man will. Ich finde das gehört zum guten Anstand dazu", schreibt zum Beispiel Nadine A. auf unserer Facebook-Seite Schwarzwälder Bote Horb.

"VERRÜCKT", meint dagegen Hildegard K. dazu. Yvonne K. kommentiert: "Ich wäre eh für eine Schuluniform." Maik S.: "Schuluniform? Dann machen wir es doch gleich wie in Nordkorea, Schuluniform/gleicher Haarschnitt usw. Mensch lasst die Kinder doch Kinder sein, sie müssen sich noch früh genug anpassen."

So gesehen: Kampf der Kleidung

Von Ralf Klormann

Deutschland schwitzt, die Kleidung wird immer knapper? Nicht an der Werkrealschule in Altheim. Dort haben die Lehrkräfte allzu aufreizender Kleidung seit gestern einen Riegel vorgeschoben. Die Zeiten für Hotpants, kurze Röcke oder bauchfreie Oberteile sind damit deutlich härter geworden. Wer sich der Regel widersetzt, »bekommt von der Schule ein großes T-Shirt gestellt, das er/sie sich bis zum Schultagsende anziehen muss«.

Ein Maßnahme, die hart erscheint. Geradezu mittelalterlich prüde. Und die so manchen wohl sogar an eine Praxis erinnert, die im Mittelalter praktiziert wurde: den »Gesetzesbrecher« als Strafe nicht nur dem Spott des Volkes preiszugeben, sondern ihn zudem körperlich zu züchtigen.

T-Shirts mutieren zu Prangern, in denen die Hitze sich nahezu ins Unerträgliche steigert, während die Kleidung die Unbelehrbaren zugleich ein wenig lächerlich wirken lässt.

Sollte dieser Schritt nicht weit genug gehen, so könnten böse Zungen behaupten, wird die Schule ihre Schülerinnen wohl zwingen, Kartoffelsäcke oder gewaltige Pappkartons überzustreifen. Sollte es dann noch zu lasziven Blicken kommen, könnte ein Helm mit Visier das Bild abrunden.

Aber handelt es sich bei dieser neuen Regel in Altheim tatsächlich um eine ungerechte, aufgezwungene Verschleierung von Frauen – wie sie vor allem in westlichen Industrienationen doch so verpönt ist? Wird den Errungenschaften von Emanzipation und sexueller Revolution der Krieg erklärt?

Keineswegs. Denn die Vorschrift soll – so wird von der Schule argumentiert – niemanden bestrafen, niemanden an der freien Entfaltung der Persönlichkeit hindern. Die Vorschrift soll Grenzen aufzeigen. Und ein Bewusstsein für die Erfordernisse des sozialen Miteinanders im öffentlichen Raum fördern. Denn nicht nur als Moralapostel verschrieene Erwachsene fühlten sich bei der Kleidung mancher Jugendlicher unwohl. Sondern auch der eine oder andere Schüler.

Ob die als Hau-Ruck-Aktion anmutende Umsetzung der Regel nun der richtige Weg war, um das offenbar seit längerer Zeit schwelende Problem zeitnah zu beheben – darüber kann diskutiert werden. Auch, ob ein übergestreiftes T-Shirt ein geeignetes Mittel darstellt.

Der Altheimer Werkrealschule allerdings vorzuwerfen, sie schränke die Rechte oder die Individualität ihrer Schüler ein – oder zwinge den Jungen und Mädchen ein rigides Moralsystem auf – zielt daneben.

Im Übrigen: Die Rechte eines Menschen im sozialen Umfeld reichen ohnehin nur so weit uneingeschränkt, bis die Rechte anderer tangiert werden. Spätestens dann gilt es, gewissenhaft abzuwägen, zu beurteilen und letztlich gemeinsam einen Kompromiss zu finden.

Und genau das wird jetzt im kommenden Schuljahr in Altheim geschehen, in einer Diskussion mit Schülern, Eltern und Lehrern. Ein vorbildliches und demokratisches Vorgehen, von dem mancher Politiker sich eine Scheibe abschneiden könnte.

Darüber hinaus könnte der Streit um die Kleiderordnung ein interessantes Schlaglicht auf die Doppelmoral einiger Zeitgenossen werfen. Und eine andere Debatte wieder befeuern, die hierzulande hochemotional geführt wurde.

Denn eines muss klar sein: Wer gegen zu aufreizende Kleidung mit Verhüllung vorgehen will, darf Menschen aus fremden Kultur dieses Recht nicht verweigern – was nur allzu gerne geschieht.

Wie bitte? Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen? Nein. In gewisser Hinsicht ist es vielmehr Jacke wie Hose. Oder vielleicht eher Kopftuch wie T-Shirt.