Falscher Mediziner erzählt seine Version der "Arztkarriere" / Erste Details über sein Wirken am Horber Spital

Von Florian Ganswind

Horb. Stundenlang verhandelten wurde gestern im Stuttgarter Landgericht hinter den Kulissen über "Dr. Sascha Schenk". Aber dann erfolgte doch noch der erste große "Auftritt" des falschen Notarztes. Und auch zu seinem Engagement in Horb nahm er das erste Mal Stellung.

Im Laufe des Vormittags war aber lange nicht klar, wie viel die Öffentlichkeit noch über die "Dr. Schenk-Story" erfahren wird. Denn Verteidiger Jens Rabe und Oberstaatsanwalt Otto Rieleder verhandelten abseits der Öffentlichkeit über einen Deal, was das Strafmaß und eine Verfahrensverkürzung angeht. Nach fast drei Stunden einigte man sich auf eine Strafobergrenze von drei Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe. Einige Verhandlungstage könnten nun wegfallen. Doch Richter Ulrich Klein will dennoch einige Zeugen hören.

Gestern gehörte die "Gerichtsbühne" aber nur Sascha S. Wer allerdings erwartet hatte, dass er mit seiner falschen "Arztkarriere" prahlen würde und versuchen würde, sich effektreich ins rechte Licht zu setzen, lag nicht ganz richtig. Ruhig und sachlich gab er dem Gericht Auskunft. Er brachte die Prozessbeteiligten und -beobachter dennoch zum Staunen. Denn der 27-Jährige zeigte sich redegewandt, wie auch der psychiatrische Gutachter Peter Winckler am gestrigen zweite Verhandlungstag feststellte. "Wenn man Sie so reden hört, kann man nicht glauben, dass sie ein Hauptschüler mit den Noten drei und vier waren."

In gewählter Ausdrucksweise und in fast immer fließenden Rede erzählte er über seine Biografie, die von seiner Faszination für die Welt der Medizin, von Lebensbrüchen, Selbstbetrug und Betrug erzählt.

Sascha S. wuchs in einem schwierigen Elternhaus in Böblingen auf, wie er selbst erzählte: Scheidung, Alkoholprobleme des Vaters, wechselnde Bekanntschaften der Mutter. Die schulischen Leistungen litten darunter. Die vierte Klasse der Grundschule wiederholte er. In der Hauptschule lief es zunächst sehr schlecht, doch ab der neunten Klasse sei es leicht aufwärts gegangen. Er fing eine Ausbildung als Konstruktionsmechaniker an, die er bereits nach einem Monat wieder hinschmiss: "Das war mir zu eintönig."

Seine Interessen lagen woanders. Die medizinische Seite reizte ihn. Deswegen trat er ins Jugendrotkreuz ein. Mit 18 ging er in die DRK-Bereitschaft. Hier verdiente er ein wenig Geld, allerdings musste er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten. Beim DRK ging es weiter: Er absolvierte eine Rettungshelfer-Ausbildung auf der DRK-Landesschule in Pfalzgrafenweiler. Er benötigte hierfür aber noch ein 80-stündiges Praktikum, das er angeblich am Krankenhaus in Bad Cannstatt absolviert hat.

Hier könnte die Fälscher- Energie bereits zum Ausbruch gekommen sein, meint die Staatsanwaltschaft, die die Echtheit des gefundenen Zeugnisses bezweifelt. Sascha S. bestreitet dies aber.

Wie groß das medizinische Interesse des jungen Mannes ist, zeigt die Vielzahl der Praktika in den folgenden Jahren, die er an Krankenhäusern absolvierte: in Stuttgart, Mühlacker und Pforzheim. Dabei erwarb er sein medizinisches Wissen. Er schaute vielen Ärzten über die Schulter und liest einschlägige Fachliteratur. Für das DRK gab er Erste-Hilfe-Kurse, half bei Konzerten und bei der Fußball-WM in Stuttgart mit.

Doch es gab auch Momente, die ihn aus der Bahn werfen. Sein Freiwilliges Soziales Jahr am Kreiskrankenhaus in Nürtingen im Jahr 2002 schloss er zwar ab, eine Verlängerung wurde in Aussicht gestellt. Er habe dort auch unter Blut abnehmen dürfen, berichtet er. Weil es einen Engpass gab, sei er später sogar als Vollpflegekraft eingesetzt worden. Doch am Ende erhielt er Hausverbot. Die Pflegedienstdirektorin warf ihm eine gestörte Persönlichkeit vor. Warum, dass kann sich Sascha S, der mittlerweile bei einer gefängnisinternen Firma nach eigenen Angaben Vorarbeiter für 26 Arbeiter sein soll – nicht erklären.

Dazu kamen massive finanzielle Probleme. Bis heute haben sich rund 100 000 Euro Schulden angehäuft. Er bestellte sich Elektronik, Kleider und Möbel im Internet, konnte aber die Raten nicht bezahlen. Wegen Betrugs wurde er bereits mehrfach verurteilt. "Warum haben sie nicht einfach auf legalen Weg einen Beruf wie Rettungsassistent erlernt", fragte Richter Ulrich Klein. Er sei bei der Berufsberatung gewesen, antwortete Sascha S. Doch dort habe man ihm gesagt, er sei zu alt.

Doch wie wurde aus Sascha S. im Jahr 2009 "Dr. med. Sascha Schenk"? Nicht aus Geldnot, wie die Staatsanwaltschaft vermutet, meint der 27-Jährige. Er habe den Menschen helfen wollen, die von anderen schon aufgegeben worden seien. Er bastelte sich eine neue Identität. Er habe sich über ein Medizinstudium informiert und sei dann bei Google auf eine Approbationsurkunde gestoßen. "Nur zum Spaß" habe er sie sich heruntergeladen und seinen Namen hineingesetzt. Ein Jahr später, Anfang 2009, schrieb er jedoch einen falschen Namen hinein: "Sascha Schenk". Diesen Namen habe er gewählt, weil ein Bewohner im Mietshaus, in dem er selbst wohnte, so hieß. Falls es zur Überprüfung gekommen wäre, wäre der Name dort gemeldet gewesen. Zur Urkunde kam ein schlüssiger Lebenslauf. Er gab sich hier nicht einmal Bestnoten.

Seine neue Identität habe er dann in das Internet-Geschäfts-Netzwerk "Xing" gestellt. Eine Leiharbeits-Firma aus Bielefeld kontaktiere ihn darauf hin. Im August 2009 fing er in der Paracelsusklinik in München an. Hier legte er Infusionen, nahm Blut ab und verabreichte Narkosen verschiedenster Art. Die jeweilge Dosis legte er selbst fest. Vor Gericht zeigte er sich gestern kenntnisreich.

Das große Geld verdiente er nicht, wie auch Richter Klein bemerkte. 20 Euro pro Stunde habe er in München erhalten. Noch finanziell unattraktiver sei das Engagement in Horb gewesen, das gestern auch zur Sprache kam. Man habe nur die Vergütung für die Einsätze bekommen, wie viele Stunden man Dienst schob, sei egal gewesen, zeigte er die Unattraktivität dieser Tätigkeit und die damit verbundene verzweifelte Suche nach Notärzten – zumindest zur damaligen Zeit – auf.

In Horb sei er als Notarzt mit gesamtem Tätigkeitsfeld im Rettungswagen eingesetzt worden. Zum Aufgabenspektrum habe die Kreislaufstabilisierung bis zur Erstversorgung eines Herzinfarktes gehört – zum Beispiel durch Einsatz von speziellen Medikamenten. Auch habe das Versetzen eines Patienten ins künstliche Koma dazugehört.

Mehr Erkenntnisse über das Wirken von "Dr. Schenk" und vielleicht auch Fakten, die er bisher selbst ausblendete, sollen folgen. Die Verhandlung wird am 3. Mai mit der Befragung des Angeklagten fortgesetzt.

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