Gebosste (von Mittelhochdeutsch "Bosse", das heißt geschlagen in diesem Fall mit Hammer) Eckquader weisen darauf hin, dass die unteren Turmgeschosse der Nordstetter Mauritiuskirche noch von dem Vorgängerbau stammen, in dem mit Christoph Wendler von Pregenroth, ein angeblicher Hexer, 1608 seine letzte Ruhestätte fand.Foto: Lipp Foto: Schwarzwälder Bote

Heimatgeschichte: Statthalter und "Hexer": Teil 3 / Weingärtner treten bei Prozessen besonders aggressiv auf

Eine jahrelange fehlende Oberaufsicht hatte bei dem Statthalter Christoph Wendler von Pregenroth zu eigennützigem Denken, Bestechlichkeit, Selbstbereicherung, Rechtsmissbrauch und Rechtsbeugung geführt.

Horb. Der korrupte Statthalter begünstigte Oberschichtsangehörige, die in Hexereiverdacht geraten waren, indem er die Urgichten (die Geständigen) entsprechend manipulierte oder ihnen aktiv zur Flucht verhalf. Die Innsbrucker Kammer schätzte das Gesamtvermögen Wendlers ein Jahr vor seinem Ableben auf die gewaltige Summe von über 122 000 Gulden.

Im Zuge der Hexenverfolgungen, die während Wendlers Amtszeit als Statthalter ihren Höhepunkt erreichen sollten, war seine Parteilichkeit ebenfalls nicht völlig uneigennützig. Großzügige Geschenke, die zum Beispiel der reiche Handelsmann und Bürgermeister Martin Gerber 1598 aus dem Besitz des Horber Spitals anlässlich der Besagung seiner Frau Anna und seiner Tochter Christina gemacht hatte, dürften das Vorgehen des Statthalters entsprechend beeinflusst haben.

Wendler handelte in Horb wie in Rottenburg und tat alles, um Verdächtige aus der Oberschicht von dem Vorwurf der Hexerei zu entlasten. Hexenprozessen gegen Angehörige der Unter- und Mittelschicht stand Wendler auffällig passiv gegenüber. Diese Fälle von Begünstigung und Korruption verschärften die populären Prozessforderungen nur noch weiter. Seine Passivität genügte, ihn schärfster Kritik zu unterziehen. Er wurde nämlich dafür verantwortlich gemacht, dass die Hexen angeblich weiter großen Schaden anrichten konnten. Wendlers Parteilichkeit wurde von der Mehrzahl der Bürger und Bauern das unerbittliche Vorgehen des Horber Stadtrats als Vorbild gegenübergestellt, der Arme und Reiche im Hexenprozess gleich behandelte.

Obgleich in den Hohenberger Landesordnungen von 1514 und 1541 eine spezielle Magiegesetzgebung fehlte und die Innsbrucker Regierung durch die konsequente Orientierung an der 1532 von Kaiser Karl V. ratifizierten Constitutio Criminalis Carolina in Sachen Hexenprozesse eine insgesamt restriktive Haltung einnahm, zählte die Grafschaft Hohenberg zu den verfolgungsintensivsten Territorien Südwestdeutschlands.

Der Wetterzauber bildete den Schwerpunkt der Hohenberger Hexenprozesse, und der Glaube daran führte nach extremen Witterungsverhältnisse zu fatalen Verfolgungsausbrüchen. Die dämonische Wettermacherei wurde als Akt von einer gegen die Christenheit verschworenen Gemeinschaft gesehen, was zwangsweise zu einem Ausufern der Hexenjagden führte. Der Zauberer hatte sich vom Einzeltäter zum Mitglied einer kriminellen Bande verwandelt, die als Teufelsbündler ihre Magie nur mit Hilfe des Teufels ausüben konnte. Die Zugehörigkeit zu einer den Teufel verehrenden Sekte, in der man Zauberei trieb, wurde als neues Delikt erdacht.

Sich schnell bereichernde Aufsteiger ließen als neue Oberschichtsangehörige aus ihrem täglich erlebten asozialen Verhalten Hexerei-verdacht entstehen

Unter den aus der Unter- und Mittelschicht stammenden Anklägern traten bei den Hexenprozessen in der niederen Grafschaft Hohenberg rund um Rottenburg und Horb vor allem die Weingärtner besonders aggressiv auf. Ein später oder früher Frost, ein zerstörerischer Hagel oder ein Pilzbefall auf den Reben bedeutete für die vielen meist in Zwergbetrieben wirtschaftenden Weinbauern eine Bedrohung der Lebensgrundlage. Die Angst vor Hexen bestand also nicht nur wegen einer theoretischen Bedrohung der Christenheit, sondern auch vor allem wegen der konkreten Sorge um das eigene Überleben.

Darüber hinaus fiel die Produktionskrise im Gefolge der sogenannten Kleinen Eiszeit zusammen mit einer einsetzenden Strukturkrise des Hohenberger Weinhandels. Mit billigen und qualitativ besseren Importen aus dem klimatisch günstigeren Elsass konnten die Winzerfamilien in Niederhohenberg nicht konkurrieren und die Einführung des Gregorianischen Kalenders wirkte 1582/83 durch die verschobenen Markttage als massives Hemmnis beim Warenaustausch mit dem protestantischen Umland. Dieser Strukturwandel machte sich zur Zeit der Hexenprozesse erstmals bemerkbar, und eine massive ökonomische Krise bildete in Hohenberg Hintergrund und Ursache des populären Verfolgungsbegehrens von unten.

Die Hexentheorie der Dämonologen sowie die Hexenprozesspraxis der Juristen identifizierten vornehmlich arme, vagabundierende, alleinstehende, verwitwete oder ältere Frauen als Hexen. Von diesem Muster wich allerdings das Hexenbild in Hohenberg ab, und die reiche Hexe aus der Oberschicht war hier von Beginn an ein fester Bestandteil der Hexenimagination. Reiche Hexen konnten im Gegensatz zu Hexen aus unteren Schichten angeblich sogar ihre eigenen Felder oder Weinberge vor dem ernteschädigenden Wetterzauber schützen, um die Preise für Getreide oder Wein über die Verknappung noch zu steigern.

Der Hexereiverdacht fiel auf Angehörige der Oberschicht, die durch aggressives Wirtschaftsgebaren oder Korruption in den Augen der Mehrheit den sozialen Konsens aufgekündigt hatten. Sich schnell bereichernde Aufsteiger ließen als neue Oberschichtsangehörige aus ihrem täglich erlebten asozialen Verhalten Hexereiverdacht entstehen. Der neue Status der Aufsteigerfamilien, die zum Teil miteinander verwandt waren und Sympathien für den Protestantismus unterhielten, kam durch die Aufnahme in den Adelsstand zum Ausdruck: Hipp von Remmingsheim, Lutz von Lutzenhartt, Wendler von Pregenroth, Precht von Hohenwart sowie die Verbindung der Gerber mit den Liesch von Hornau.

Das weibliche Geschlecht galt in einer frauen-verachtenden Tradition als moralisch labil und konnte so als leichtes Opfer des Teufels denunziert werden

Ein weiteres Kennzeichen der Aufsteigerfamilien war ihre Nähe zur oberösterreichischen Regierung. Der enge Kontakt mit dem Innsbrucker Regiment war Mittel zur Erreichung eines neuen Status. Die Orientierung zum frühmodernen Staat führte zum Bruch mit der althergebrachten Ordnung. Die Aufsteigerfamilien gerieten in Konflikt mit den auf größte Unabhängigkeit bedachten Stadtratsautoritäten.

Stellvertretend richtete sich der Hexereiverdacht in den Aufsteigerfamilien gegen die Ehefrauen, Witwen, Schwiegermütter oder Töchter, die mit den Zielen ihrer Angehörigen selbst rigoros politisch und wirtschaftlich konform gingen. Das weibliche Geschlecht galt in einer frauenverachtenden Tradition als grundsätzlich moralisch labil und konnte so als leichtes Opfer des Teufels denunziert werden. Außerdem war es viel einfacher, eine Frau vor Gericht mit Aussicht auf Erfolg anzuklagen, weil sie in der frühen Neuzeit nicht rechtsmündig war.

1596 wurden Barbara Lutz, die Schwiegermutter des Statthalters Wendler, und die mit ihr verwandte Witwe des zwei Jahre zuvor auf mysteriöse Weise ermordeten Horber Obervogts Basilius Hipp von Remmingsheim als Hexen diffamiert. Maria Hipp gelang die Flucht nach Basel, und Barbara Lutz wich samt Ehemann vor der Lynchjustiz der Rottenburger Weingärtner nach Schwäbisch Gmünd aus. Zumindest bei seiner Schwiegermutter agierte der Statthalter auf Anraten des Landeshauptmanns und mit Unterstützung des Rottenburger Schultheißen als Fluchthelfer. Im Falle der Maria Hipp ließ Wendler nach ihrer Flucht aus Horb deren "verlassenen Hausrat" nach Nordstetten führen und nahm ihre Gülten und ihr Geld an sich.

Der Verdacht richtete sich auch gegen Wendlers dritte Ehefrau Anna, die als geizig, habsüchtig, bestechlich sowie rachsüchtig bezeichnet wurde und in Rottenburg ziemlich verhasst war. Nach Aussage des Marschalls Haug würde man die "Statthalterin" wegen ihres "grossen Geützes" für eine Hexe halten, die ihrer Mutter nachschlägt. Allerdings fügte er hinzu: "Do Sy gleich khaine ist, möchte Sy aine werden." Hexereiverdacht war keine Frage des Unterstellens, sondern eine Frage des Zutrauens.