Sie verschwinden ganz unvermittelt und hinterlassen Lücken: Ungeklärte Fälle von Vermissten. Auch in Horb und Umgebung gibt es solche Fälle. Fotomontage: Stahl Foto: Schwarzwälder-Bote

Vermisste Personen sind auch im Raum Horb keine Seltenheit / 2009 bearbeitete die Polizei 190 Fälle / Zwei Langzeitvermisste

Von Christof Schülke

Horb. Eine Frau geht Zigaretten holen und kehrt nicht mehr zurück. Diese Situation gilt inzwischen als Sinnbild für etwas Unerklärliches und Unheimliches: das scheinbar unvermittelte Verschwinden von Menschen, das Familien in Angst und Trauer stürzt – auch im Kreis Freudenstadt.

Montag, 23. August, in Dießen: Anwohner hören einen Hubschrauber, der über dem Dorf kreist. Ein medizinischer Notfall? Wahrscheinlich nicht. Ein sachkundiger Anwohner ist sich sicher, dass es sich um einen Polizeihubschrauber handelt. Die Anfrage bei der Polizei ergibt, dass es sich um die Suche nach einem Vermissten handelte – einer der leichteren Fälle.

Aus Sicht der Polizei kommt es zunächst einmal auf die strenge Definition des Begriffes Vermisster an, ist es doch das gute Recht jedes Erwachsenen, einfach mal abzutauchen, ohne jemandem davon zu erzählen. Personen gelten erst als vermisst, wenn sie ihren gewohnten Lebenskreis verlassen haben, ihr Aufenthaltsort unbekannt ist und eine Gefahr für Leben oder körperliche Unversehrtheit angenommen werden kann. Das sind zum Beispiel Opfer einer rechtswidrigen Tat oder eines Unglücksfall, hilflose Menschen, oder solche, die sich das Leben nehmen wollen. Minderjährige gelten in jedem Fall als vermisst, wenn sie ihren gewohnten Lebenskreis verlassen haben und ihr Aufenthalt unbekannt ist.

2009 bearbeitete die Polizeidirektion Freudenstadt 190 Vermisstenfälle. In 48 Fällen von Kurzzeitvermissten wurden die Personen in den ersten fünf Stunden wieder aufgefunden. Polizeisprecher Walter Kocheise: "Es sind zum Beispiel Kinder, die abends nicht rechtzeitig heim kommen, demente Personen, die nicht mehr nach Hause finden, oder Menschen, die nach Familien-/Beziehungsproblemen weglaufen."

Mit Hundestaffeln und Hubschraubern mit Wärmebildkameras sucht die Polizei nach den Personen. In weiteren Schritten wird die Öffentlichkeit eingeschaltet. Ein modernes Hilfsmittel bei der Suche ist die Handyortung.

Wesentlich umfangreicher wird die Arbeit, wenn die Person auch nach zwei Tagen nicht gefunden wird. 16 Menschen waren im Landkreis zwischen Januar 2009 und April 2010 länger als 48 Stunden vermisst. Diese Fälle von "Langzeitvermissten" werden dann – wie übrigens auch alle Fälle vermisster Kinder – von der Kripo bearbeitet. Die ermittelt dann im Umfeld des Vermissten und aktiviert das internationale Fahndungssystem.

Auch bei der Suche nach der Identität des unbekannten Toten, der im Juli in einer Schlucht im Egelstal gefunden wurde, musste die Polizei die Frage klären, ob es sich um einen Vermissten handelt, wobei eine überregionale Datei hilft. Ausgedehnte Fahndungen sind auch bei jenen Vermisstenfällen notwendig, die das größte Leid nach sich ziehen: Wenn ein geliebter Mensch plötzlich verschwindet und nichts hinterlässt als quälende Ungewissheit und den Verdacht, dass etwas passiert sein könnte.

Zwei solcher Fälle bearbeitet die Polizei im Landkreis. Es handelt sich um zwei Männer. Zwei verschiedene Schicksale, doch in beiden Fällen verliert sich die Spur bei beiden in Südfrankreich. Ein Zufall?

Bereits seit fünf Jahren wird ein 31-Jähriger aus dem Westkreis vermisst. Welche Probleme ihn quälten, verschwieg er seinen Eltern: das verpatzte Studium, die nicht angetretene Arbeitsstelle.

Als die Eltern es schließlich erfuhren, machte sich der 31-Jährige auf den Weg. "Sorry, bin mal ein Weilchen weg", lautete seine letzte SMS. Geldabhebungen von seinem Konto deuteten auf Südfrankreich als Aufenthaltsort. Sein Auto, in dem noch das Handy lag, wurde in Südfrankreich an einem Wassergraben gefunden. Die Heckscheibe war eingeschlagen. Die Ermittlungen blieben erfolglos.

Auch im Fall eines 22-Jährigen aus dem Ostkreis, der seit September 2009 vermisst wird, führt die Spur nach Südfrankreich. Er war mit einem Freund in Grenzgebiet von Südfrankreich und Italien unterwegs. Die beiden wollten dort bei Freunden einen Schafstall bauen.

So viel konnte die Polizei noch ermitteln: Beide waren zu Fuß zum Einkaufen unterwegs, als sich der 22-Jährige von seinem Begleiter trennte. Er wollte noch in ein Internetcafé, um dort mit seiner Freundin Kontakt aufzunehmen. Der 22-Jährige wurde zuletzt am 4. Oktober 2009 in Südfrankreich gesehen. Mehrere Suchaktionen vor Ort endeten erfolglos.

Für die Angehörigen eines Vermissten wird die Ungewissheit oft zur jahrelangen Qual. Kein Wunder, dass viele die Öffentlichkeit scheuen. Ein Betroffener sagte: "So schlimm es ist, eines Tages müssen wir das ja mal verarbeiten."