An dieser Stelle lagen einst die Holzstämme der Flößer im Wasser des Mühlkanals. Sie eignet sich aus als Einstiegsplatz für eine Bootstour. Fotos: Hopp Foto: Hopp

Mit dem Schlauchboot auf dem Flüsschen. Er ist so alt wie die Stadt. Plötzlich fliegt das Ruder weg.

Horb - Er ist unser Canale Grande – der Mühlkanal. Doch während in Venedig Tausende von Gondeln unterwegs sind, fährt in der Großen Kreisstadt gar nichts. Bis gestern.

Es ist 13.42 Uhr. Eine Paketschnur ist an der Leine befestigt, die Schuhe sind ausgezogen. Die "MS Lück" liegt neben dem Bärensteg im Wasser.

Genau an der Stelle, in der vor 200 Jahren die Flößer ihr Holz im Wasser parkten, um im "Bären" einen kühlen Schluck zu nehmen.

Die Kamera eng um den Hals gebunden – und los geht’s. Gemütlich treibt das Boot über den Mühlkanal. Es ist schön kühl hier, die Enten sind meine einzigen Begleiter.

Die Idee zu der Bootstour – sie entstand einen Tag vorher im Café Tamino. Architekt und Künstler Jürgen Sesterheim schwärmte mir vom Canale Grande Horbs vor. Dann kam Annette Houri vorbei, die ich zuerst kennengelernt hatte, als sie mit ihren Kindern im Boot am Alten Freibad in den Neckar ging.

Also: Warum nicht mal die Bootstour über den Mühlkanal machen?

Gute 16 Stunden später sitzt Franz Geßler im "Tamino". Er klärt mich erst einmal auf, dass der Canale Grande von Horb wohl fast so alt ist wie das große Vorbild.

Geßler: "Meiner Meinung nach dürfte der Mühlkanal aus der Zeit der Stadtgründung von Horb im 11. Jahrhundert stammen. Denn die Wasserkraft war damals die Energiequelle für die Wirtschaft." Denn: Wo Wasser mit hoher Strömung ist, können Mühlräder angetrieben werden. Ein Wehr von der Inselspitze schräg rüber zum anderen Neckarufer sorgte dafür, dass die Hauptströmung den Mühlen am Kanal richtig Energie geben konnte.

Geßler vermutet, dass der Mühlkanal entweder damals ein Rinnsal war, welches von den Ur-Horbern erweitert wurde. Oder komplett künstlich angelegt wurde.

Denn: Weil der Mühlkanal höher liegt als der Neckar, konnte man bei Hochwasser das Wasser über Wehre an den Seiten einfach ablassen. Eins davon war das "Reichenbacher Schützle". Geßler: "Darüber gab es dann später Streit zwischen den Mühlen. Die Walkmühle am Anfang des Mühlkanals und die Mahlmühle weiter unten haben sich darum gestritten, wer wann wie oft das Wasser ablassen darf. Der Prozess wurde Siebzehnhundert-ungerad vorm Horber Stadtgericht geführt."

Zack, die Paddel ins Wasser und durchgezogen. Die Füße vorne raus und ab Richtung E-Werk. Hier von unten sieht es richtig schön aus. Tolle Arkaden am Haus mit dem Döner-Imbiss. Allerdings: Der könnte mal seine alten Stühle wegräumen...

Unter der Brücke Stadtapotheke-Schillerapotheke heißt es: "Kopf einziehen". Dafür kann man sich hier mit den Händen an den Betonstreben abstoßen. Dahinter Richtung Polizei – wo laut städtebaulichem Wettbewerb die Gebäude abgerissen werden sollen – gibt’s bisher nur kleine und nicht besonders schöne Durchblicke auf braune Bio-Tonnen.

Dann die Bundesstraßen-Brücke. Oben ist es laut, unten ist es lauschig. Zwar wirkt der Keller von pro-optik mit seinen kleinen Schießschartenfenstern ein bisschen wie ein Knast, doch das historische Gebäude daneben mit dem Horb-Wappen entschädigt. Und kurz vorm E-Werk hat sich ein Hausbesitzer wirklich was gegönnt: Eine Holz-Terrasse zum Mühlkanal mit Stühlen drauf.

Horbs Heimatgeschichts-Experte Franz Geßler: "Genau solche Holzvorbauten gab es damals viele. Dort haben Gerber und Metzger gearbeitet und ihre Sachen gewaschen. Als wir als Buben im Kanal geschwommen sind, schwammen da noch Därme und andere Schlachtabfälle."

Jetzt ist das Wasser sauber. Am Ufer sieht man neben Pflanzen deren Wurzeln. Und Geßler hat auch daran seine Erinnerungen: "Früher, als der Kanal abgelassen wurde, war das für uns Buben ein Abenteuerspielplatz. In den Tümpeln fanden wir Fische, in den sumpfigen Stellen am Ufer auch interessante Sachen für Jungs: Bajonette, MGs – da wurdest du immer fündig."

Bei mir ist alles ganz friedlich. Ruhig und kühl. Oben winkt Heiderose Raible, die mit ihrem Hund unterwegs ist. Es ist einfach idyllisch auf Horbs Canale Grande!

Jetzt will ich auch noch den oberen Mühlkanal genießen. Bauch und Kopf einziehen unter der Apotheken-Brücke. Schwupps, plötzlich ist ein Ruder weg. Es hat sich aus der Gartenschirm-Verschraubung gelöst. Wie Winnetou mit einem Paddel hinterher – eingefangen. Ich wundere mich noch, warum da ein schwarzes Gummistück ist.

Paddel gesetzt, kräftig Richtung Redaktion. Schwupps, das zweite Paddel löst sich auf. Okay, ist ja Arbeit und gibt Überstunden...

Dann stimmt aber alles. Ich bin schon am Ende von Schlosserei Thum angelangt, da ist das linke Paddel schon wieder weg. Nerv. Handy hab’ ich natürlich nicht dabei. Rettungsweste auch nicht. Also hinterher. Wieder unter der Brücke das halbe Paddel geschnappt.

Jetzt aber. Durchgezogen. Es gibt noch viel zu entdecken! Aber Pustekuchen. Jetzt ist wieder das rechte Paddel dran. Lück in Seenot! SOS!

Ich überlege, mich einfach nur bis zum E-Werk treiben zu lassen. Und das Boot schmachvoll zurück zu tragen. Da taucht Kollege Michael Stock auf. Er muss wohl schon vom Bärensteg meine Not gesehen haben. Mit Müh und Not kämpfe ich mich zum Einstieg an der Polizei hin. Kamera raus, Paddel raus. Schuhe an.

Es war einfach herrlich! Der Mühlkanal ist wirklich eine Bootsfahrt wert. Obwohl: Die schönsten Stellen sind auch ohne den Einsatz von Leib und Leben zu genießen. Von der Terrasse des Schillerpub ist das historische Wappen-Haus bestens zu sehen. Auch vom Bärensteg, der Wilhelms-Brücke bei den Apotheken und über das Wehr am E-Werk gibt es faszinierende Blicke in unseren Canale Grande.

Und wer es – wie der Schwabo-Reporter – mit dem Schlauchboot versuchen will. Bitte schön. Nur drauf achten: Die Gummipfropfen in den Schlauchboot-Rudern sind dazu da, damit das Metallrohr von außen dem Dreh-Druck was entgegenzusetzen hat. Wer die, so wie ich, ignoriert, dem dürfte das Ruder immer wieder auseinanderfliegen.

Wem das so wie mir erst hinterher einfällt, dem droht wohl Seenot auf dem Mühlkanal!