Walle Sayer (links) und Michael Grüber am Klavier Foto: Lück Foto: Schwarzwälder Bote

Kultur: Walle Sayer und Michael Grüber lassen die Besucher den Wald in den Klostermauern bei der Premiere hautnah spüren

Der große Saal im Kloster. Dicke, uralte Steine und Balken. Doch plötzlich fühlt man sich wie im Wald. Spürt die Ruhe, den Wind, das Blätterrauschen, die Vögel zwitschern. Dieses Kunststück haben der Dichter Walle Sayer und der Musiker Michael Grüber geschafft.

Horb. Der Saal ist bis auf den letzten Platz belegt. Geladen hat die Bürgerinitiative (BI) "Hau und Holzwiese", die gegen das geplante Gewerbegebiet in Ahldorf kämpft. Dafür sollen 260 000 Quadratmeter Wald und Boden plattgemacht werden. Mit dieser Kunstaktion im Kloster soll auf ganz andere Art und Weise auf das Problem aufmerksam gemacht werden.

Poetisch schon der Einstieg von Michael Kaupp, einem der Mitglieder der BI: "Wir entführen sie in den Wald. Raus aus dem Pflaster, der schönen alten Häuser von Horb. Fahren über den Neckar. Den Berg hoch. Es geht für mich zur Arbeit, zur Hetze. Rauf auf die Autobahn. Dann fällt noch ein Blick nach links auf die Stille und den Frieden des Waldes!"

Dann setzt sich Michael Grüber ans Klavier. Startet die Stoppuhr. Es ist totenstill im Saal, nur die Geräusche der zwitschernden Vögel und des Verkehrs sind zu hören. Grüber bewegt sich nicht. Nach gefühlt einer Ewigkeit dreht er ein großes Baumblatt um. Wieder Stille – gefühlt minutenlang. Dann dreht Grüber das nächste Blatt um. Jeder kommt zur Ruhe. Die genau drei Minuten und 33 Sekunden lange Performance (nach dem Vorbild von John Cage) lässt jeden zur Ruhe kommen.

Dann steht Grüber auf. Gestikuliert zum Publikum, lässt ein Viertel die Windgeräusche machen, das nächste Viertel sorgt für das Blätterrauschen, die anderen mit Händeklatschen auf den Knien für Regentropfen und der Rest mit Füßeklopfen für den Donner. Grüber dirigiert das "Wald- und Naturgeräuschorchester", streut dazu Melodien von Johann Sebastian Bach und Frederic Chopin ein. Um mit der dramatischer werdenden Musik dann noch mal das Gewitter im Wald bei den Zuschauern auszulösen.

Dann startet Walle Sayer. Setzt Punkte und Emotionen durch seine Gedichte frei, die zeigen, wie Wald und Natur sein Leben berührt haben. Beispielsweise beim Fußballplatz in Bieringen. Er wurde am Waldrand gebaut – und plötzlich äsen die Rehe im Strafraum. Ein Bild, welches eindrucksvoll zeigt, was passiert, wenn die Natur in unbeobachteten Momenten versucht, ihr Terrain wieder zu erobern.

Im Publikum sitzt auch Walter Trefz. Baumkämpfer, Förster, Kniebis-Legende und auch Mitglied der BI "Hau und Holzwiese". Zu seinem 80. Geburtstag hat Sayer ein Gedicht verfasst, das die Idylle des Waldes herstellt. Und zeigt, warum so viele Menschen gegen die Abholzung in Ahldorf kämpfen.

Sayer: "Um danach eine dämmernde Abzweigung zu übersehen, die zu einem Ort hinführt, der Kniebis heißt. Farnwispern und dazu das Schimmernde eines Waldteichs als Feenspiegel. Gefährten sind Freunde, die mitgehen." Sayer weiter: "Dieser Satz passt natürlich auch zum Zusammenhalt in der Bürgerinitiative."

Eindrucksvoll dann ein Gedicht, was an die Eingangsworte von Michael Kaupp anknüpft, von verfüllten Dolinen spricht – die auch im geplanten Gewerbegebiet drohen. Es schildert die Tristesse des Lebens zwischen Gewerbebauten, Hetze, Gaspedal und Terminen. Es wurde lange vor dem Beginn des BI-Kampfes geschrieben. Und zeigt auch, warum Walle Sayer auch Baumpate geworden ist und damit dazu beiträgt, dass der Wald bei Ahldorf stehen bleibt.

Das Gedicht heißt "Außendienst". Sayer liest: "Abgeholzte Rastplatzschneise, mit Schutt aufgefüllte Dolinen. Wie weit man wohl käme, zu Fuß? Aussteigen sollte man und den Autoschlüssel hochwerfen in die kalte Luft: um weg zu sein, bevor er auf die Erde fällt."

Dann ist Michael Grüber wieder dran. Er verteilt kleine, selbst gebastelte ratschenartige Gebilde. Sechs Zuschauer nehmen sie in die Hand. Grüber: "Das sind Windräder." Spielt dann das Lied, "Oh Täler weit oh Höhen", an. Und während sich die Musik dem Höhepunkt nähert, dreht sich Grüber um und lässt die Zuschauer die Windräder drehen. Das Knarren stört die Melodie und nervt in den Ohren.

Grüber: "Unsere Wanderung beginnt unten im Tal und es geht hinauf in die Höhen. Oben die herrliche Aussicht. Aber: Viele, viele Windräder und Sendemasten. Die Bäume stören. Dem neuen Mobilfunknetz 5G werden Millionen von Bäumen zum Opfer fallen." Insofern kann man das Knattern der Windräder in den Zuschauerhänden auch als Klage der Bäume interpretieren.

Michael Kaupp von der BI: "Wir wollen jetzt mehr aus Ahldorf rausgehen und die Menschen überall in Horb und den Ortsteilen erreichen. Der Start ist diese Kunstaktion in Horb. Wir denken, dass ist auch ein Weg, den Menschen unser Anliegen näher zu bringen." Über Poesie und Performance der beiden Baumpaten Walle Sayer und Michael Grüber ist das bei der Premiere geglückt.

Wald. Die Ruhe, die er verströmt. Der Kontrast der Bäume, des Bodens, des Geruchs als wohltuendes Kontrastprogramm zur Hektik und zur gleichförmigen Zweckarchitektur überall um uns herum – das hat man in den Mauern des Klosters bisher so nicht zu spüren bekommen. Grandios.