Die Aussage am Landgericht eines Zeugen über den Angeklagten Iyad B. (hier Bildmitte) brachte kaum neue Erkenntnisse zu dessen Person und Bewegründe. Foto: Ganswind

Fünfter Verhandlungstag von Prozess in Rottweil. Frühere Freundin von O. und Arzt von Riecher sagen aus.

Horb/Rottweil - Ein Angeklagter, der gerne flunkert und Märchen erzählt. Ein Arzt, der nicht nur Gutes über das Mordopfer aussagt. Und ein Zeuge, der provoziert. Der Rottweiler Mordprozess gestaltet sich schwierig.

Seit März läuft der Prozess, entscheidende Einsichten, was in der Mordnacht am 2. November geschehen ist, sind bislang ausgeblieben. Haben die beiden Angeklagten Mohammed O. (28) und Iyad B. (31) den 57-jährigen Michael Riecher in seinem Haus in Horb ermordet und beraubt? Nicht alle Zeugen sind an diesem fünften Verhandlungstag erschienen. Doch mitunter sind es kleine Szenen am Rande oder Zwischentöne von Zeugen, die viel über den Prozess und die Beschuldigten aussagen.

Da ist etwa der Auftritt des Zeugen W.: Der junge Mann trägt verwaschene Jeans, Turnschuhe und einen schwarzen Pullover, auf dem vier große leuchtendrote Buchstaben zu sehen sind: "FUCK." Der Vorsitzende Richter Münzer sagt: "Ob das passend ist, lassen wir mal dahingestellt." Mehr sagt er nicht, für zwei, drei Sekunden wirkt Münzer ratlos. Nach kurzer Pause: "Sprechen Sie Deutsch?" W. antwortet mit einem Wort: "Perfekt." Der Richter: "Ach ja, Sie sind ja in Ludwigsburg geboren."

"Alles Alkoholiker" im betreuten Wohnen

Mild scheint die Sonne durch die hohen Fenster des großen Sitzungssaals im Landgericht, in Fußfesseln werden die beiden aus Nahost stammenden Angeklagten zu ihren Plätzen geführt, gesteigertes Interesse an der Verhandlung oder gar Emotionen zeigen sie nicht. Bei den Zeugenaussagen geht es an diesem Tag vor allem darum, den Charakter, das soziale Umfeld und die möglichen Tatmotive der Angeklagten zu erkunden.

Der Zeuge W. hat mit dem Angeklagten Iyad B. in einem Heim gelebt, er spricht von "betreutem Wohnen". Haben Sie sich dort wohlgefühlt?, will Richter Münzer wissen. Antwort: "Wie kann man sich dort wohlfühlen? Alles Alkoholiker. Wenn Sie dort gewohnt hätten, wüssten Sie, dass man sich dort nicht wohlfühlen kann." Richter Münzer erwidert nichts.

Der Angeklagte B. habe im Zimmer gegenüber gewohnt, berichtet W. Über den Angeklagten wisse er kaum etwas, außer dass er "aus Palästina stammt" und kaum Deutsch spreche. Aber man habe öfter gemeinsam gekifft, auch Kokain habe man genommen. Unter der Woche, so W., habe man zu Cannabis gegriffen, am Wochenende zu Kokain. Nein, gezahlt habe der Angeklagte nichts dafür, "er war eingeladen". Mehr vermag der Zeuge über Iyad B. nicht zu sagen, ein "ruhiger Typ" sei er gewesen, freundlich und nett eben. "Wenn er Frühstück gemacht hat, hat er für mich mitgekocht." Es ist nicht eben viel, was Richter, Staatsanwalt und Verteidiger über den Angeklagten B. erfahren.

Von O. Briefe aus der Haft erhalten

Beim Auftritt einer weiteren Zeugin sind die Erwartungen höher, schließlich handelt es sich um die ehemalige Freundin des Angeklagten Mohammed O. Die Zeugin hat lange braune Haare, Jahrgang 1969, sie ist 23 Jahre älter als O. Sie bittet, Ihre Aussage in nicht-öffentlicher Sitzung machen zu dürfen. Das Gericht lehnt das ab. Der Frau fällt es nicht leicht, über ihren Ex zu sprechen, kennengelernt habe man sich im "Freundeskreis Asyl", "so nach und nach" habe sich eine Liebesbeziehung entwickelt, ein Jahr habe diese gedauert. Dann hätten O.s Eltern verlangt, dass ihr Sohn eine syrische Frau heirate. Man habe sich getrennt, "wir haben beide geweint wie die Schlosshunde". Die Zeugin erklärte ebenfalls, dass sie von O. Briefe aus der Haft erhalten habe – in perfektem Deutsch.

Doch dann berichtet die frühere Freundin Interessantes über den Charakter des Angeklagten. "Er hat manchmal die Neigung zu Übertreibungen", er flunkere, blase kleine Begebenheiten zu großartigen Ereignissen auf. Oftmals könne man ihm keinen Glauben schenken: "Wenn er eine Geschichte fünfmal erzählt, hört sie sich fünfmal anders an." Mohammed O. habe eben gerne im Mittelpunkt gestanden. Hier haken Staatsanwalt und Vertreter der Nebenkläger ein – die Aussagen über Unehrlichkeiten könnten später entscheidend werden.

Und das Verhältnis zu Riecher, dem späteren Mordopfer? "Es war eine sehr nette Atmosphäre zwischen den beiden", berichtet die Zeugin. Mohammed O. habe ja im elterlichen Haus Riechers gewohnt, "für sehr wenig Miete", habe aber für Riecher allerlei Arbeiten, quasi als Hausmeister, erledigen müssen. Ob Mohammed O. es nicht irritiert habe, als Hausmeister zu arbeiten, schließlich habe er doch in seiner syrischen Heimat Mathematik studiert, will der Richter wissen. Eine echte Antwort bleibt die Frau schuldig.

O. neigt laut Zeugin zu Übertreibungen, zum Flunkern

Nur langsam kommt die Zeugin dann zum entscheidenden Teil Ihrer Aussage: Kurz vor der Mordnacht am 2. November habe O. massive Geldsorgen gehabt. "Er war richtig fertig... ich hatte das Gefühl, dass ihn jemand bedrängt." Doch O.s Version, er brauche dringend Geld für eine Operation seiner Mutter – "das habe ich nicht geglaubt". Wie gesagt: Er neige zu Übertreibungen, zum Flunkern.

Und was geschah nach dem Tod Riechers? "Wie im schlechten Film" sei das gewesen. O. habe aufgeregt bei ihr angerufen, gesagt, dass die Polizei nach seinen Fingerabdrücken im Haus des Toten suche. "Aber das ist ja ganz klar", dass seine Fingerabdrücke dort gefunden werden, habe O. gesagt, auch im Schlafzimmer, schließlich habe er Riecher oftmals besucht, ihm geholfen. "Auch im Schlafzimmer?", fragt Richter Münzer irritiert. "Ich tue mich manchmal schwer, das alles genau zu verstehen", sagt die Zeugin. Und dann: O. "war nicht aggressiv, er ist eher sehr weich, er weint auch schon mal, wenn ihn etwas belastet".

Dann sagt einer der Ärzte Riechers als Zeuge aus. Man könnte auch sagen: Die Aussagen sind die Überraschung und das Interessanteste des Tages – und dabei geht es nicht nur um die Gesundheit des Toten. Der 67-Jährige, Arzt für Allgemein- und Sportmedizin, auch er trägt Turnschuhe. Er kennt Riecher seit vielen Jahren, auch privat habe man sich gesehen, "in der Kneipe", wie der Arzt sagt, auch sei man zusammen zum Essen ausgegangen. "Ein Extremraucher" sei Riecher gewesen, die Lunge habe schon lange schlecht gearbeitet, wenn er 100 oder 200 Meter zu Fuß gegangen sein, habe er sich dringend erholen müssen.

Arzt meint über Riecher: "Geld hatte bei ihm eine große Rolle gespielt"

Doch interessanter sind die Aussagen des Arztes über den Charakter des Toten. "Geld hatte bei ihm eine große Rolle gespielt." Freundschaften hätten bei ihm keinen langen Bestand gehabt, auch mit Frauen sei das so gewesen. Im Alter habe Riecher dann offenbar gelernt, "dass Reichtum nicht alles ist, dass menschliche Beziehungen fehlen". Wohl auch deshalb habe sich Riecher zuletzt in der Flüchtlingshilfe engagiert, meint der Arzt. "Ich hatte den Eindruck, dass er sich mit Geld Freunde gekauft hat." Zugleich habe Riecher aber auch deutlich gemacht, "dass er Gegenleistungen erwartet". Der Mediziner weiß, ein gutes Licht wirft er damit nicht auf den Toten.

Zum Abschluss des fünften Verhandlungstages sorgt Richter Münzer für eine echte Überraschung. Er bittet alle Beteiligten, sich weitere Termine freizuhalten – und das "bis Jahresende". Der Mordprozess in Rottweil gestaltet sich schwieriger als erwartet.

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