Der Angeklagte vor Gericht. Foto: Ganswind

65-Jähriger erzählt über das Leben von Michael Riecher. Opfer wollte Kulturen miteinander versöhnen.

Rottweil/Horb - Führte die unglückliche Liebe von Michael Riecher dazu, dass er sich für Integration eingesetzt hat? Und sich im Rahmen dieses persönlichen Engagements irgendwann mit dem syrischen Flüchtling Mohammed O. anfreundete? Der jetzt vor Gericht steht, weil er Riecher umgebracht haben soll.

Die älteste Schwester von Michael Riecher ist 65 Jahre, Medizinerin und wohnhaft in der Schweiz. Sie erscheint vor Gericht in dunkler Kleidung, die ihre Trauer widerzuspiegeln scheint. Vor ihr auf dem Tisch – ein Buch. Lila Cover, der Titel: "Lexikon der islamischen Kultur." An der Seite eingesteckt sind jede Menge gelber Zettel mit Notizen. Die Nebenklägerin hält das Buch hoch und sagt: "Dieses Buch habe ich nach dem Tod meines Bruders im Regal gefunden. Es zeigt, wie stark sich Michael mit der islamischen Kultur beschäftigt hat und auch mit der jüdischen. Sein Bestreben war es, diese beiden Kulturen mit der christlichen zu versöhnen."

Doch wie kam der Geschäftsmann, der in Horb als "sehr vermögend" galt, dazu? Was brachte Riecher – der schon in der Jugend davon träumte, einen Baum mit Geld zu besitzen, zum Engagement für Integration? Später für Flüchtlinge? Ein Engagement, welches ihm seinen mutmaßlichen Mörder – so die Anklage der Staatsanwaltschaft – ins Haus brachte?

Riechers Schwester erzählt: "Mein Bruder und seine Zwillingsschwester wurden sechseinhalb Jahr nach mir geboren. Zu den Zwillingen habe ich ein sehr inniges Verhältnis. Ich haben sie mütterlich betreut, weil meine Mutter durch die Geburt krank geworden ist. Ich habe meinen Bruder sehr geliebt!"

Wie war Riecher wirklich? Die Schwester: "Michael war sehr emotional. Sehr gefühlsbetont. Er wurde sehr häufig von Menschen enttäuscht." Später sagt sie: "Michael war ein sehr kränkbarer, empfindsamer Mensch."

Richter Karlheinz Münzer will wissen, ob Riecher nach solchen Streits oder Verletzungen aggressiv wurde oder wie er reagierte. Die Nebenklägerin: "Er hat sich dann einfach zurückgezogen. Das war auch im Elternhaus so. Streit wurde nicht auf die Kinder übertragen."

Riecher umgab sich gerne mit Frauen. "Michael suchte immer die große Liebe. Da war einmal eine Türkin. Die durfte er aus religiösen Gründen nicht heiraten", erzählt die 65-Jährige. Die Eltern der Frau seien gegen die Hochzeit gewesen.

Auch die brasilianische Freundin mit ihrer Tochter, die wohl gut ein Jahr bei Riecher in Nordstetten gelebt hatte, enttäuschte den Immobilienunternehmer. Im Keller war immer noch das Kinderzimmer für die Tochter eingerichtet. Auf den Panoramafotos, die später ein Ermittler zeigt, ist im Kinderzimmer immer noch die Brasilien-Flagge an der Wand zu erkennen. Die Nebenklägerin: "Dabei ging es um Heirat oder nicht. Michael wurde auch von dieser Frau enttäuscht. Sie traf sich heimlich mit anderen Männern. Danach war er Single."

Irgendwann in dieser Zeit lernte Riecher die Publizistin Serap Cileli kennen, gründete mit ihr im Jahr 2008 den Verein Peri. "Er war sehr eng mit Cileli. Die hat auch meine Mutter besucht. Michael war bis zum Schluss für die Finanzen des Vereins zuständig", berichtet die Schwester.

Dann holt sie ein Foto heraus, zeigt es der Schwurgerichtskammer und den Prozessbeteiligten. Die Schwester: "Das ist von einer Demo in Stuttgart. Das muss so im Jahr 2011/12 gewesen sein. Mein Bruder ist der Fahnenträger links. Auf der Fahne steht: ›Für Menschenrechte, für Integration, gegen Ehrenmorde.‹ Ich fand es so toll, dass Michael sich für die Integration der islamischen und jüdischen Kultur engagiert hat."

Deshalb auch Riechers Engagement beim jüdischen Betsaal in Horb. Die Schwester: "Die Horber Gemeinde wollte das Gebäude abreißen. Er hat es saniert und mit Menschen vor Ort (gemeint: Barbara Staudacher und Heinz Högerle, Anm. d. Red.) eine Initiative gegründet. Danach haben sie das Bundesverdienstkreuz bekommen."

Die Immobilien haben Riecher reich gemacht. Die Schwester: "Nach der mittleren Reife war Michael Hausmakler und Versicherungsagent. Nach dem Vorbild meines Onkels, der in Horb viel mit Immobilien bewegt hat." Damit ist der inzwischen verstorbene Willy Kreidler gemeint.

Gemeinsam mit einem Freund, der ein Baugeschäft hatte, kaufte Riecher Häuser auf, die er sanierte, aufteilte und die Wohnungen weiter verkaufte. Die Schwester: "Unsere Schwester hat zwei Wohnungen in Leipzig gekauft. Ich war auch in solch einer Wohnung dort zu Gast. Sie war sehr schön saniert. Er hat es auch verstanden, im jüdischen Betsaal die alte Substanz wieder herauszuholen. Das hat ihm Spaß gemacht."

Der jüdische Betsaal war auch der Treffpunkt, an dem Riechers enge Freunde und Verwandten nach dem Mord am Immobilienunternehmer Abschied nahmen. "Michaels bester Freund pflanzte dort einen Pflaumenbaum. Walle Sayer las etwas zu seinen Ehren. Alle seine Freunde waren da", so die 65-Jährige.

Die älteste Schwester – sie hat nach ihrer Aussage ein sehr inniges Verhältnis zum Opfer. Trotzdem gab es Streit – um das Elternhaus. Dort zog 2018 Mohammed O. ein.

Nach dem Tod der Mutter im Jahr 2007, so hatte die Zwillingsschwester des Opfers erzählt, hatte es Streit um das Elternhaus gegeben: "Unter den Geschwistern war abgesprochen, ich bekomme es. Doch ich bekam nichts." Was war da los? Die ältere Schwester erklärt: "Michael wollte es nicht verkaufen. Das war gerade das Problem. Das führte 2009 zum Streit. Danach brach er den Kontakt ab. Im Jahr 2011 kam wieder eine Einladung von Michael an mich. Er lud uns ein, mit vielen anderen Gästen das von ihm in Horb neu gekaufte Casino zu besichtigen. Ich antwortete ihm: Ich würde ihn erst wieder persönlich treffen."

Das passierte dann auch, und die Geschwister versöhnten sich wieder, so die 65-Jährige. Später erzählt sie, dass Riecher die Idee hatte, das Elternhaus wohl zu vermieten. Die Nebenklägerin: "Ich habe nur mitbekommen, dass er Walle Sayer gefragt hat, ob der in die Ritterschaftsstraße 15 ziehen will. Doch der Horber Dichter wollte dort nicht einziehen."

Im August 2018 zog dann Mohammed O. in das Elternhaus der Riechers. Dafür sollte er Arbeiten für Michael Riecher erledigen. Am 2. November wurde Riecher in seinem Haus ermordet. Am 9. November wurde Mohammed O. verhaftet.

Die Nebenklägerin hatte auch bemängelt, dass die "gründliche Suche" der Ermittler im Elternhaus wohl nicht so gründlich gewesen sein kann. So hätten Nachbarn beim Ausräumen von altem Haus im Schuppen nach der Freigabe durch die Polizei unter dem Holz Pistolen und Munition gefunden. Die Schwester vermutet, dass diese Waffen alt sind und vermutlich vom Vater stammen.

Nicht nur deshalb wurde das Thema der Waffen unter dem Holzstapel im Mordprozess nicht weiter behandelt.