Diese Aufnahme entstand kurz nach der möglichen Beute-Suche: Es zeigt den Hinterhof des Elternhauses von Michael Riecher. In der Nähe befand sich der Komposthaufen, in dem gegraben wurde. Foto: Ganswind

Zeugin berichtet von verstecktem Geld. Polizist: "Wir waren zum richtigen Zeitpunkt da."

Horb/Rottweil - Hat sich die Horber Polizei bei den Ermittlungen zum Mordfall Riecher in Nordstetten eine Panne geleistet oder nicht? Ein 61-jähriger Polizist sagt vor dem Landgericht Rottweil: "Wir waren genau zum richtigen Zeitpunkt in Nordstetten." Die Nebenkläger dagegen glauben, dass die Polizei es versäumt hat, die Ausgräber rechtzeitig zu schnappen.

Das Foto aus der Lichtbildmappe zeigt den Komposthaufen neben dem Elternhaus von Michael Riecher in der Ritterschaftsstraße. Die Erde ist frisch ausgehoben. Das Loch ist ungefähr 1,20 Meter mal 60 Zentimeter groß. An einer Wäscheleine hängen bunte Plastiktüten, weiß, durchsichtig, grün. War hier die vergrabene Beute drin?

Ein Prozessbeteiligter, der die Prozessakten kennt: "Die Tüten sehen sauber aus. Müllreste sind in ihnen nicht zu erkennen." Im Schnee daneben: Die Fußspuren von vier Männern. Drei hatte die Horber Polizei am verdächtigen grünen Polo vor der Volksbank erwischt. Aber erst, nachdem eine Zeugin vier Mal beim Polizeirevier Horb angerufen hatte.

Zeugin hatte bereits zweimal angerufen

Der Polizeihauptmeister (61) vom Revier Horb gibt sich selbstbewusst auf dem Zeugenstuhl. Er sagt: "Ich hatte Spätdienst – von 13 bis 19.30 Uhr. Als ich angefangen habe, wurde mir vom verdächtigen Auto nichts mitgeteilt."

Laut Richter Karlheinz Münzer hatte die Zeugin – die an diesem Verhandlungstag wegen Krankheit nicht erscheinen konnte – schon zwei Mal auf dem Polizeirevier angerufen. Beide Male kurz vor Mittag. Der Polizist: "Es kann sein, dass die Kollegin die Anrufe entgegen genommen hat. Uns hat sie nichts gesagt. Ich weiß nur, dass der erste Anruf, von dem wir etwas mitbekommen haben, um 16.20 Uhr war."

Auto mit LB-Kennzeichen vor Ort

Dann mussten die Beamten noch einen Unfall bearbeiten, so der Polizeihauptkommissar. Gegen 17.30 Uhr dann der nächste Anruf der Zeugin. Diese soll nach Informationen unserer Zeitung erklärt haben, dass sie den Verdacht habe, dass die fremden Männer etwas mit dem Riecher-Mord zu tun haben könnten. Denn sie seien mit einem Auto mit LB-Kennzeichen vor Ort. Die Zeugin kannte sich im Fall gut aus und wusste, dass die Spuren auch in den Kreis Ludwigsburg gingen, aus dem der Mitangeklagte Iyad B. stammte.

Sie habe beobachtet, wie Männer eine Skizze in den Schnee gemalt haben. Das war übrigens genau hinter dem Weihnachtsbaum, der auf dem Nordstetter Marktplatz stand. So waren die Männer von der Straße aus nicht zu sehen. Zwei seien dann mit einer Tasche weggegangen.

Der Polizist schildert: "Ein Fahrzeug, welches die ganze Zeit vor der Bank parkt, die geschlossen war. Das war für uns eine ganz normale Verkehrskontrolle. Im Fahrzeug war nur Emrah Ö. Wir haben ihn gefragt, was er hier macht." Man habe auch verdächtige Personen gemeldet bekommen. Ö. habe gesagt, dass die anderen beiden mit einem Kumpel spazieren laufen.

"Das kam uns sofort verdächtig vor"

Den Namen vom "Kumpel" weiß Ö. angeblich nicht. Er setzte sich auf den Beifahrersitz und telefoniert, so der Polizist. Den Inhalt des Gespräches hat der Beamte nicht verstanden: "20 Minuten später kamen noch einmal zwei Personen zum Fahrzeug dazu. Die beiden waren extrem dreckig – die Schuhe, die Hosen. Und die waren auch nass bis zum Bund. Das kam uns sofort verdächtig vor."

Als Ursache erklärten die beiden: "Sie sind beim Spazierenlaufen ausgerutscht. Wir haben das nicht geglaubt und die Personen kontrolliert. Wir hatten den Verdacht, dass die irgendwo in Gärten oder den Äckern rumgestöbert haben. Das sie Einbrecher sind oder etwas ausgekundschaftet haben."

Man habe die Personen kontrolliert. Die Daten abgeglichen. Interessant: Emrah Ö. hat schon eine dicke Polizeiakte. Der Polizist: "Er hatte eine große Anzahl von Eintragungen im Strafregister. Unter anderem wegen versuchtem Mord oder Totschlag. Er hat mir gesagt: Er hat bis vor einer Woche im Gefängnis gesessen und sei eine Woche vorher rausgekommen. Er würde sich niemals trauen, krumme Dinger zu drehen."

Verbindungen zum Blutrache-Prozess in Hechingen

Erst im Juli diesen Jahres hatte Emrah Ö. für Schlagzeilen gesorgt. Kurz vor der Urteilsverkündung wegen "Verbrechensverabredung zum Mord" – bekannt auch als Blutrache-Prozess – am Landgericht Hechingen war er geflüchtet und konnte erst in Stuttgart wieder gefasst werden.

Der Horber Polizist schildert: "Wir haben die drei gebeten, ob sie ihre Schuhe ausziehen und wir diese fotografieren können. Das haben sie bereitwillig gemacht. Wir haben dann alles durchsucht und die Personen dann weggeschickt. Das war eine normale Personenkontrolle."

Dass einer der drei Verdächtigen mitten in der Kontrolle die Polizistin gefragt hatte, ob er im Mülleimer gegenüber an der Bushaltestelle etwas entsorgen kann, erzählt der Polizist nur auf Nachfrage des Richters: "Dort hat die Kollegin eine Küchenrolle gefunden und sichergestellt." Der Polizist betont: "Zu diesem Zeitpunkt gab es keinen Zusammenhang zum Mordfall Riecher. Das hat die Presse so interpretiert. Die Zeugin hat das wohl nicht gesagt." Doch ihm sei das Ganze komisch vorgekommen. Weil die Männer laut der Zeugin eine Skizze in den Schnee gemalt hatten und mit einer Sporttasche weggegangen seien. Ö. und A. – auch am Auto angetroffen – hätten viele Vorstrafen gehabt. Deshalb, so der Polizist, seien sie den Fußspuren nachgegangen. Fanden vier Fußspuren: "Sie gingen zum Haus an der Fabrikstraße. Der Bauzaun links daneben war aufgeschoben. Ich sage noch: Die sind in die Baustelle eingebrochen! Dann sind wir weiter und standen an der frisch ausgegrabenen Miste. Davor war ein kleiner Abhang. Hier waren die Schleifspuren zu sehen, an denen die beiden Kontrollierten ausgerutscht sein müssen."

"Genau zum richtigen Zeitpunkt da"

Dann verfolgen sie den Fußspuren weiter. Die Treppe entlang am Elternhaus von Riecher zur Straße runter. Der Polizist berichtet: "Als ich auf der Straße stand und mich umdrehte, sah ich das Elternhaus von Michael Riecher. Ich dachte: Jetzt haben wir den Salat. Die haben hier die Beute ausgegraben, die vermutlich aus dem Überfall stammt." Dann wurden die Funkzentrale und der Dienstgruppenführer alarmiert.

Auf Nachfrage, warum man nicht eher gekommen sei, antwortet der Polizist: "Ich denke, wir waren genau zum richtigen Zeitpunkt da. Eine halbe Stunde eher hätten wir die verdächtigen Personen so nicht entdeckt. Eine halbe Stunde später wären alle wohl weggewesen."

Die Tasche, die die Zeugin gesehen hat, und den vierten Mann hat man bis heute nicht gefunden. Doch was könnte im Komposthaufen vergraben worden sein? Auskunft darüber gibt die Azubi-Kollegin des dritten mutmaßlichen Ausgräbers, der in Nordstetten von der Polizei angetroffen wurde. Melanie K. (19, Name geändert) arbeitet mit dem Ausgräber Hassan L. (Name geändert) in einer Spedition im Ludwigsburger Raum. Die Zeugin: "Er hat mir erzählt, dass es um Geld ging, das vergraben wurde. Sein Cousin weiß das. Jemand wurde ermordet, das Geld wurde vergraben. Er würde hinfahren und es holen, dann würde er auch etwas abbekommen."

Dann wird ein Whatsapp-Chat von Hassan L. mit Melanie K. vorgelesen. Am 3. Januar schreibt er ihr: "Ich habe dir ja von der einen Sache erzählt. Pscht. Das mache ich morgen früh!"

Was die Zeugin auch noch weiß: Der verdächtige Polo aus Nordstetten wurde offenbar nach der Ausgrabe-Aktion in Nordstetten noch einmal von der Polizei kontrolliert. Das hatte Melanie auch bei der Polizei gesagt: "Hakan hat mir erzählt, dass die Polizei aus Rottweil das Auto angehalten hätte. Weil es Ludwigsburger Kennzeichen hatte und das so weit weg war." Als mögliches Motiv von Hassan L. nennt Melanie: "Es ging wohl darum, Schulden zu begleichen. Hassan hat es schwer zu Hause. Seine Mutter ist alleinerziehend, es ist schwer für ihn, über die Runden zu kommen ohne den Vater."

Auch interessant: Emrah Ö., der zur gleichen Zeit in dem selben Gefängnis wie Mohammed O. gesessen hat, wurde vier Tage vor der JVB Rottweil gesehen. Dort versuchte er, mit einem Insassen in Kontakt zu treten. Wollte er O. sagen, dass die Beute erfolgreich gesichert wurde?

Der Hauptsekretär aus der Justizvollzugsanstalt Rottweil, in der auch O. gesessen hatte, sagt dazu vor Gericht: "Mir sind genaue Angaben nicht erinnerlich. Auch nicht, ob O. Kontakt zu Emrah Ö. hatte. Das wurde mir von Kollegen berichtet. Man kann im Haftraumverlauf nachschauen, ob beide zusammen gesessen haben."