In einer Broschüre ihres damaligen Wohnorts erzählt die Frau von Idyad B. die Geschichte ihrer gemeinsamen Flucht nach Deutschland. Foto: Screenshot

Prozess geht weiter. Ehefrau sagt aus. Teures Handy als Geschenk nach Tat erhalten.

Rottweil/Horb-Nordstetten - Er ist laut Gericht angeklagt, Michael Riecher überfallen und mit ermordet zu haben: Iyad B. Dabei will er laut seiner Aussage bei der Polizei das Opfer lediglich überfallen haben. Nun spielte eine Aussage seiner Ehefrau eine wichtige Rolle beim Prozess.

Bisher stand Iyad B. nicht im Mittelpunkt des Riecher-Mordprozesses. Bis zu seinem Fluchtversuch am 5. August. Mehr Klarheit über seine Persönlichkeit soll die Aussage der Richterin liefern, die Iyads Ehefrau Saida (Name geändert) vernommen hatte. Die Richterin: "Sie hat gesagt, dass sie aussagen will. Und dass sie die ganze Wahrheit erzählen will."

Teures Handy als Geschenk nach der Tat erhalten

Im Frühjahr des vergangenen Jahres habe sich Saida von ihrem Ehemann Iyad getrennt. Irgendwann im Oktober hätte man sich wieder getroffen. Kurz vor dem Tattag habe sie einen Anruf mitbekommen: das Telefonat des Friseurs Hesham (Name geändert) mit Iyad. Saida erzählte dazu in der Vernehmung: "Das habe ich mitgehört. Hesham erzählte, dass er jemanden mit starkem Herzen braucht. Dann kann Iyad von Geldsorgen befreit werden." Auf Nachfrage erklärte Iyad ihr, dass es sich dabei um eine Drogenkurierfahrt von Holland nach Deutschland handele. Die Richterin: "Daraufhin gab es Streit, weil die Ehefrau sehr empfindlich auf Drogen reagiert. Als Iyad dann nach zwei Tagen wiederkam, bekam sie ein Geschenk von ihm: ein teures Handy. Er selbst hatte sich Schuhe gekauft."

Iyad benahm sich auffällig nach seiner Rückkehr aus Horb, so erzählt die Ehefrau in der Vernehmung. Er habe besorgt gewirkt und über Schmerzen in der Seite geklagt. Um seine Saida wieder zu versöhnen, habe Iyad mit ihr zwei Reisen gemacht. Eine nach Straßburg und eine nach Berlin. Die Ehefrau in der Vernehmung: "Ich wollte Berlin mal sehen. Dort wollte ich eine schöne Zeit verleben und zwei Tage bleiben. Ich habe dafür auch die Tickets gebucht." Auf dieser Zugreise wurde Iyad dann in Darmstadt von der Bahnpolizei festgenommen und verhört (wir berichteten). Auch Saida, so erzählte sie in der richterlichen Vernehmung, wurde in Handschellen gelegt.

Fluchtgeschichte in einer Broschüre einer Stadt veröffentlicht

Der psychiatrische Sachverständige Charalabos Salbasidis will dann von der Richterin wissen, ob die Ehefrau was darüber gesagt habe, wie sie Iyad als Mensch sehe. Die Richterin: "Der Beschuldigte sei sehr nett, lieb und schüchtern. Und weil er so schüchtern sei, würde er Sachen tun, die andere von ihm abverlangen."

Interessant: In einer Broschüre ihres damaligen Wohnorts in Baden-Württemberg erzählt Saida ihre Fluchtgeschichte. Sie ist abgebildet mit Iyad. Im Vorspann heißt es: "Was sie sich wünschen? Eine Zukunft jenseits von Konflikten."

Saida erzählt von ihrer Flucht: "Iyad und ich haben dann schnell geheiratet, im September 2015. Zu ihm habe ich gesagt: Ich möchte nicht in Palästina bleiben, ich möchte in einem anderen Land leben. Aber ich hatte keine Ahnung, dass es Deutschland sein wird." Weiter sagt sie: "Für unsere Hochzeitsreise im Dezember haben wir ein Visum für Spanien bekommen. In Madrid haben wir einen Freund von Iyad getroffen, der sagte uns: ›Für eine gute Zukunft müsst ihr nach Deutschland.‹"

Das erzählt Hesham, der Friseur, ganz anders. Iyad und Saida hätten mit ihm geplant, mit ihm nach Deutschland zu gehen. Dafür hätte er ihnen 5000 Euro vorgestreckt – Geld aus dem Verkauf seiner Niere. Das habe Iyad bisher noch nicht ganz zurückbezahlt.

Und was erzählt Saida in der "Ankommen"-Geschichte über Iyad? Nicht viel. Nur soviel: "Ich möchte hier arbeiten, mich als Friseurin verbessern. Mein Traum ist ein eigener Salon, eines Tages. Iyad besitzt einen Lkw-Führerschein in Palästina. Vielleicht wird er Fernfahrer. Er hat keine Angst vor harter Arbeit."

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Sonderkommission ging von vier Beschuldigten aus

Am letzten Prozesstag im August kommt raus: Im Dezember ging die Soko "Pfand" immer noch von vier Beschuldigten aus. Das sagte die Richterin, die Iyads Ehefrau am 5. Dezember 2018 verhört hatte. In der Verhandlung vor dem Schwurgericht sind noch zwei Angeklagte aus den Ermittlungen im Mordfall Riecher übrig geblieben: der syrische Flüchtling Mohammed O. und Iyad B.

Doch wer ist der damals vierte Beschuldigte? Der dritte dürfte nach jetzigem Kentnisstand klar sein: Es dürfte Hesham A. – der Friseur – sein. Er schmiedete wohl mit den beiden anderen die Überfallpläne. Bis er – so seine Aussage vor dem Amtsgericht Horb – ausgestiegen ist. Weil er Angst hatte, dass Riecher beim Überfall sterben könnte. Hesham wurde wegen "Nichtvereitelung einer Straftat" zu einer Geldstrafe verurteilt (wir berichteten).

Aber war der "Friseur" womöglich doch bei der Tat dabei? Iyads Verteidiger Kristian Frank hatte in der vorletzten Verhandlung eine "neuropsychologische Untersuchung" des Friseurs beantragt: "Im Rahmen der Hauptverhandlung gab der Zeuge folgendes an: Er hat Probleme mit dem Gedächtnis. Die Aussage ist so zu bewerten, dass der Zeuge einmal Gedächtnislücken aufweist. Und dass er aufgrund der Gedächtnislücken unwahre Behauptungen gegenüber dem Landgericht aufgestellt hat."

Widersprüchliche Angaben

Dazu nahm jetzt Oberstaatsanwalt Christoph Kalkschmid Stellung: "Die Fragen der Verteidigung haben darauf abgezielt, die Zeugen zu verunsichern. Suggestiv, mit unkorrekten Vorhaltungen. Der Zeuge sagt, dass es in seinem Gedächtnis Dinge gibt, die sich einbrennen und andere, die gänzlich aus der Erinnerung gelöscht sind. Ist das nicht die allgemeine Funktion des menschlichen Gedächtnisses?" Die Verteidiger hatten auf widersprüchliche Zeitangaben des Friseurs angespielt. Kalkschmid dazu: "Das ist ein allgemeines Problem von Zeugen vor Gericht – Zeit, Mengen, Geschwindigkeiten und Entfernungen exakt aus der Erinnerung wiedergeben zu können."