Gute Laune beim Europawahlkampf der Horber SPD (von links): Fraktionschef Thomas Mattes, Manuel Hellstern, Europakandiat Jérôme Brunelle, Jürgen Grassinger, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, und Stadtrat Uwe Klomfass. Foto: Engelhardt Foto: Schwarzwälder Bote

Politik: SPD-Europakandidat steht den Bürgern vor dem Bahnhof Rede und Antwort / Kurzweilige Gespräche bei Süßem und Kaffee

Horb. Horb, nachmittags um halb fünf. Jérôme Brunelle steht mit Parteigenossen vor dem Bahnhof und unterhält sich angeregt. Eigentlich hätte schon längst der Europa-Foodtruck der SPD aufgebaut sein und den belebten Platz in Waffelduft tauchen sollen. Doch das Vehikel steht im Stau, ist noch viele Kilometer entfernt von seinem Bestimmungsort.

Jérôme Brunelle nimmt’s gelassen und lächelt, während er sich um den Stromanschluss für den angekündigten Foodtrack kümmert. "Dann machen wir nachher einfach etwas länger." Damit meint der 49-Jährige die Gespräche, die er als SPD-Europakandidat mit Menschen auf der Straße führen möchte und die die Sozialdemokraten mit ihren kostenlos verteilten Waffeln versüßen. Letztlich wird das Waffeleisen erst eine Stunde später als geplant seinen Dienst antreten, die Zeit bis dahin bleibt allerdings nicht ungenutzt.

Auch ohne bunte Luftballons und Werbematerialien aller Art wird Brunelle von Passanten schnell erkannt. Ein junger Mann bleibt unvermittelt stehen und spricht den 49-Jährigen an. "Hallo Herr Brunelle", sagt er und diskutiert anschließend voller Elan über Autobahnen, Verkehrsnachrichten und Musikveranstaltungen. Er sei ein großer Fan, seit er ihm als Antenne-Reporter die Region näher gebracht hätte. Elf Jahre war Brunelles Stimme übers Radio zu hören, erzählte über Kleines und Großes, über Alltägliches und Kurioses.

Und nun gehöre seine Stimme Europa, betont der Familienvater, der mit einer Chinesin verheiratet ist und einen Sohn hat. Mit seinen deutsch-französischen Wurzeln habe er die europäische Entwicklung am eigenen Leib miterlebt, meint Brunelle. Heute noch unvergessen seien die Grenzübertritte in den 1970er-Jahren, als das Auto seines französischen Vaters regelmäßig "gefilzt" worden sei. "Das hat mich nachdrücklich geprägt", sagt er. Wenn er heute nach Frankreich fahre, frage sein Sohn, wann sie denn endlich dort seien, obwohl sie längst die deutsche Grenze passiert hätten. "Es hat sich vieles getan."

Über die Freizügigkeit in Europa und viele weitere Themen möchte er an diesem Nachmittag mit den Passanten sprechen. Der Schauplatz direkt am Bahnhof ist nicht von ungefähr gewählt. In diesem Bereich sei ein neues Zentrum entstanden und immer viel los. "Und von hier aus kommt man mit dem Zug zu Zielen in ganz Europa." Er sei dankbar, dass in Europa Frieden herrsche. Eine seiner vordringlichen Aufgaben sieht Brunelle daher auf EU-Ebene, dass dieses Friedensprojekt unbedingt bewahrt werde.

Durch seinen familiären Hintergrund sei er früher in Frankreich immer der Deutsche und in Deutschland der Franzose gewesen, erzählt Brunelle. Heute sei das längst nicht mehr so, trotzdem könne er sehr gut nachvollziehen, wie es Menschen mit Migrationshintergrund in einem fremden Land gehe. Die Asylfrage dürfe nicht weiter eskalieren, betont er. "Es kann nicht sein, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken und Mitarbeiter von Hilfsorganisatoren kriminalisiert werden." Dagegen sowie gegen die nationalistischen Strömungen müsse vehement vorgegangen werden, sonst würde die "Idee Europa" nicht bestehen können. "Der extreme Rechtsruck macht mir echt Sorgen", betont Brunelle mit Blick auf die Entwicklungen in Frankreich, Deutschland, Polen oder Ungarn.

"Gegen Großmächte wie China und USA haben wir nur noch als starkes Europa etwas zu melden", ist sich der Politiker sicher. Bei allem Wirtschaftsstreben dürfe aber der Klimaschutz nicht vergessen werden. "Ich bin besorgt darüber, wie die Welt in 50 oder 60 Jahren aussehen wird."

Zwei einschneidende Ereignisse hätten ihm sprichwörtlich den Schlaf geraubt: die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten und die Entscheidung über den Brexit. Er rechne damit, dass England aus der EU gehe – früher oder später. Umso wichtiger sei es, ein Abkommen wie mit der Schweiz oder Norwegen hinzubekommen.

Den Vorstoß von Juso-Chef Kevin Künert mit seinen Sozialismusthesen sieht Brunelle durchaus problematisch in Bezug auf die anstehenden Wahlen. "Über die Themen muss diskutiert werden, keine Frage", meint Brunelle. Die Wohnungsnot in Deutschland beispielsweise verschwinde ja nicht einfach so. Er hätte sich allerdings gewünscht, dass nicht direkt vor den EU-Wahlen auf den Tisch zu bringen. Schließlich gehe jetzt die notwendige Debatte im Wahlkampf weitgehend unter und es werde nur über Dinge wie die Enteignung von BMW und Co. gesprochen.

Auf die in den Medien heiß geführte Debatte über Künerts Thesen wird der Horber von den Passanten nicht nur einmal an diesem sonnigen Nachmittag angesprochen. "Ich war sehr überrascht darüber, dass mir die Menschen sehr gezielte Fragen zu ganz speziellen Gebieten gestellt haben", resümiert Brunelle die "Waffel-Aktion". So habe ein Passant ihn zum Thema Sanktionen gegen Russland befragt. "Für mich sind diese Sanktionen durchaus gerechtfertigt, mein Gesprächspartner war da etwas anderer Meinung." Umwelt- und Klimaschutz sei den Passanten ebenfalls am Herz gelegen.

Ob Fragen zur CO2-Steuer oder Wasserstoff als zukunftsweisende Energietechnologie, es habe jede Menge interessante Gespräche gegeben. Vor allem auch mit Erstwählern. "Da war mir wichtig zu vermitteln, wie wichtig es ist, zur Wahl zu gehen und eine demokratische Partei zu wählen." Die Waffeln seien dabei nicht nur bei der jüngeren Generation ein guter Türöffner gewesen. Und auch er habe viel von diesem Event mitnehmen können. "Denn die Gespräche mit Menschen ist mit das schönste, was man als Politiker machen darf."