Er sieht etwas, was andere nicht sehen: Walle Sayer stellt am Mittwoch seinen neuen Lyrikband "Mitbringsel" vor. Foto: Schwarzwälder Bote

Lyrik: Walle Sayer stellt am Mittwoch, 2. Oktober, im Kloster seinen neuen Gedichtband "Mitbringsel" vor

Für viele Lyrik-Freunde bringt dieser Herbst ein Glanzlicht: Walle Sayers neuer Band "Mitbringsel" ist erschienen. Sayer richtet seine lyrische Lupe aufs Alltägliche. Was er dort findet, ist aber eine ganz andere Welt, die nur er in Worte fassen kann.

Horb. Oft wirken Walle Sayers Gedichte wie Stillleben, in denen die einzige aktive Handlung einem Zauber gleicht: Drei Bäume, die den Horizont anbeten, jemand, der sich anhört, was ein abgebröckelter Stein zu sagen hat, Menschen, die über eine Rennstrecke den Richtungswechsel der Erinnerungen entlang gehen – alles mehr oder weniger Anleitungen zum Wachträumen oder Sich-weg-Träumen in eine Welt der bedeutungsvollen Dinge. Sachen, die auf den ersten Blick banal und alltäglich erscheinen, dann aber plötzlich Teile einer geistigen Welt werden, wie bei einer schamanischen Reise. Hier das Gedicht "Nah am Ohr": Einen Würfelbecher schütteln, darin / eine Kastanie ist, ein Strandkiesel / und eine schillernde Murmel.

Andere Gedichte wirken in ihrer schlichten Schönheit wie Kleinode aus dem Alltag. Das Reinigen des Teppichs im ersten neuen Schnee wird ein Winterritual, die Fahrt auf dem Mähdrescher öffnet den Blick auf ein Weizenmeer oder das Leuchten der Lichtflecken am Boden des Schwimmbeckens, wenn man beim Spielen untergetaucht wurde.

Hier knüpft Walle Sayer an scheinbar bedeutungslose Moment-Erfahrungen an, die jeder aus seinem Leben kennt. Beim Lesen fühlt sich das wie ein angenehmes Déjà-vu an, eine Erinnerungstäuschung, die aber im nächsten Moment aus einem verblassten Bild ein klares, kostbares zaubert.

Regelmäßig geht’s mit Walle Sayer auch in diesem 120-Seiten-Band auf den Fußballplatz. Nicht in die große Liga, aber auf die Plätze, wo die Altherren-Mannschaften in den Dörfern spielen. Wie ein "Gedankenleser" sitzt dort der Platzwart während eines abgesagten Spiels auf einer nassen Auswechselbank – dazu gibt es ein Gedicht, das viel schöner im Buch nachzulesen als hier zu beschreiben ist.

In anderen Gedichten spielt Sayer mit Paradoxien – ein Obdachloser trägt sich ins goldene Buch der Stadt ein – oder hebt vertraut-vergessene Lebenskleinigkeiten hervor, in dem er sie neu deutet. Zum Beispiel bei "Runtergefallene Ereigniskarten" das Monopoly-Spiel mit seinen zweischneidigen Glücksmomenten. Nur dass auf der gezogenen Karte steht (Auszug): "Du spendest die Hälfte / vom erhaltenen Gotteslohn. / Stürzt in das Dekolleté / einer tiefen Schlucht hinab."

Ein ganz anderes Land öffnet sich in den Gedichten, die Walle Sayer seinem in diesem Jahr verstorbenen Vater Oskar Sayer gewidmet hat. Nicht traurig, aber durchwirkt von einer Sehnsucht nach Langsamkeit bis hin zum Stillstand: "Das dunkle Stellwerk / mit den eingeworfenen Scheiben / an der stillgelegten Strecke: davor / ein paar Silhouettenstriche mitnehmen / für den Trauerrand."

"Mit seinem bedachten Schreiben und dem ungekünstelten Blick auf das Einfache, gelingt Walle Sayer eine Weltbetrachtung, die den Menschen hinter den Dingen hervortreten lässt. Seine Gedichte bestechen die Lesenden mit ebenso reduzierten wie intensiven Fein- und Feinstarbeiten", heißt es in der Begründung zum Basler Lyrikpreis. Das kann auch als Leseempfehlung gelten.

Am Mittwoch, 2. Oktober, liest Walle Sayer im Kloster in Horb aus seinem neuen Gedichtband, der im Klöpfer-Narr-Verlag erschienen ist.

Weitere Informationen: "Mitbringsel", Gedichte, Lesung und Buchvorstellung mit Walle Sayer am Mittwoch, 2. Oktober, ab 19.30 Uhr im Kloster; Musik: Horst Köhler, klassische Gitarre; Einführung: Annette Rieger, Klöpfer-Narr-Verlag. Eintritt 6 Euro oder ermäßigt 4 Euro. Lesung am Sonntag, 6. Oktober, ab 15.30 Uhr im Atelierhaus der Paul-Kälberer-Stiftung in Glatt.