Eine Horber Industriefirma erlebte eine doppelte Pleite – mit juristischen Konsequenzen. (Symbolfoto) Foto: Markus Bormann – stock.adobe.com

Unternehmerin muss sich vor Gericht verantworten - und Horbs Ex-OB verliert auch eigenes Geld.

Horb - Dieser Gerichtsprozess über eine Insolvenzverschleppung ist die Geschichte einer gebrochenen Frau. Einer Frau, die den Betrieb ihres Mannes und die Arbeitsplätze ihrer Angestellten retten wollte. Die sich nie persönlich bereichert hat und als "Mutter der Firma" bezeichnet wurde. Die heute schwer krank und hoch verschuldet ist. Aber dieser Prozess ist auch die Geschichte einer merkwürdigen Verquickung von Politik und Wirtschaft, von möglicherweise guten Absichten bekannter Persönlichkeiten der Stadt, die in einem Scherbenhaufen endeten.

Iris K. (Name von der Redaktion geändert) sitzt gebeugt im Gerichtssaal. Wenn sie aufstehen muss, weil der Richter hineinkommt, fällt ihr das sichtlich schwer. Nicht, weil sie nicht möchte, sondern weil Bandscheibenvorfälle große Schmerzen verursachen. Die 61-jährige Frau berichtet schonungslos, was geschehen ist.

Immer wieder bricht sie dabei in Tränen aus. Glaubwürdig und ehrlich – so bewerten es später Richter, Staatsanwalt und ihr eigener Verteidiger – erzählt sie, wie es zur ersten Insolvenz der Industriefirma ihres Mannes im März 2014 kam, wie der Rettungsversuch entstand und dieser so schiefging, dass sie nun auf der Anklagebank sitzt. "Sie machen es sich hier nicht leicht und ziehen sich nicht darauf zurück, dass Sie überhaupt keine Ahnung gehabt hätten", erkennt Staatsanwalt Wagner an.

Ehepaar sucht bei Freund Theurer Hilfe

Was war ab dem Frühjahr/Sommer 2014 passiert? Als das Familienunternehmen verloren zu gehen scheint, sucht das Ehepaar Hilfe. Es fragte bei seinem Freund, Ex-Oberbürgermeister Michael Theurer, nach, der zu diesem Zeitpunkt noch Europa-Abgeordneter war. Heute ist er Landeschef der FDP und Bundestagsabgeordneter, bei den Jamaika-Regierungsverhandlungen war er sogar im Gespräch als Bundeswirtschaftsminister. Ob es denn möglicherweise EU-Hilfen für solche Fälle gebe, lautet zunächst die Frage, erzählt Iris K. Leider nicht, lautet die Antwort von Theurer, dem aber das Thema offenbar keine Ruhe lässt. "Im Sommer 2014 haben mich die Eheleute, deren Handwerksbetrieb in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war, um Hilfe gebeten. Es ist allgemein bekannt, dass mir als FDP-Politiker Wohl und Wehe der heimischen Wirtschaft am Herzen liegen; dies gilt insbesondere für die kleinen und mittleren Unternehmen und Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter", erzählt er im Gespräch mit unserer Zeitung.

Zusammen mit einem Horber FDP-Freund und einem Dritten aus München gründen sie, so berichtet auch die Anklage, eine Auffanggesellschaft, eine eigene Holding. Mehrheitsanteilseigner wird Theurer mit 51 Prozent. Sein FDP-Freund übernimmt 30 Prozent und wird zum Geschäftsführer der Holding benannt. Der dritte Mann übernimmt die restlichen 19 Prozent. Theurer schildert es so: "Aus persönlicher Verbundenheit habe ich versucht, Hilfestellung zu geben. Zum einen habe ich den Kontakt zu einem Unternehmensrestrukturierer und einem Rechtsanwalt hergestellt, die meines Wissens nach auf diese Fragen spezialisiert sind. Darüber hinaus habe ich mich sogar mit privatem Kapital engagiert. Meine Motivation war, den Eheleuten zu helfen, die in gewohnter Weise weiterarbeiten konnten."

Die Ehefrau des Unternehmers wird zur Geschäftsführerin des operativen Geschäfts ernannt. "Sie war eine Marionette", sagt ihr Anwalt. "Ich war nur Steigbügelhalter", sagt sie selbst. Richter Albrecht Trick sagt es etwas abgemildert: "Sie waren nicht allein auf weiter Flur. Sie konnten nicht schalten und walten, wie Sie wollten. Vieles wurde an anderer Stelle entschieden." Dennoch: Ganz unschuldig sei sie nicht in dieser Situation gewesen, wie der Richter betont: "Sie waren sicher als frühere kaufmännische Angestellte nicht gänzlich untauglich und hatten ja schon Erfahrungen aus der ersten Insolvenz gesammelt."

Firmenrettung von Anfang an auf wackligen Beinen

Eigentlich sei der Versuch der Firmenrettung schon von Anfang an auf sehr wackligen Beinen gestanden, so der Richter. Das hatte der Insolvenzverwalter zuvor als Zeuge bestätigt: "Die Auffanggesellschaft war von Anfang an gerade so geschäftsfähig." Iris K. habe die Lage gar nicht komplett überblicken können. "Sie hat auch darauf vertraut, dass die Holding die Lage überblickt und eingreift." Sie schildert: "Ich habe dem Geschäftsführer der Holding oft mitgeteilt, dass etwas schiefläuft. Er hat dann immer gesagt: ›Ich kümmere mich drum.‹"

Gerade der Geschäftsführer der Holding rückt im Prozess immer mehr in den Fokus. Herrisch sei er aufgetreten, so die 61-Jährige. Bei Betriebsrundgängen habe er – von Haus aus Rechtsanwalt und kein Experte in diesem Industriesektor – Anweisungen gegeben. "Mein Mann und ich mussten uns auch von ihm unsere wenigen Urlaube abzeichnen lassen, die er uns oft nicht genehmigte." Der Geschäftsführer der Holding engagiert eine Unternehmensberatung aus München. "Die hat dann empfohlen, neue Maschinen zu kaufen, ein Tor einer Fabrikhalle aufwendig neu zu machen, weil es angeblich dort große Wärmeverluste gab. Das war alles völlig unnötig", erzählt Iris K. weiter.

Mit langjährigen Geschäftspartnern sei der Holding-Chef ruppig umgegangen. "Wir sollten sofort unsere Preise um zwei Prozent erhöhen. Daraufhin haben diese Partner erklärt, dass sie uns nicht benötigen, sondern dann die Aufträge weltweit ausschreiben werden. Ich kann mich an so ein Gespräch mit einem großen Unternehmen der Region erinnern, bei dem Herr Theurer und der Geschäftsführer zugegen waren."

August 2015 sei die Auffanggesellschaft zahlungsunfähig gewesen, berichtet der Insolvenzverwalter. Auch die Sozialbeiträge an die Krankenkassen und die Arbeitnehmerabgaben werden teilweise nicht mehr gezahlt. 30.000 Euro Rückstände sind es am Ende. "Das müssen wir Ihnen ankreiden, denn die Krankenkassen waren mit Ihnen im Gespräch, Frau K.", so der Staatsanwalt.

Insolvenzantrag wird viel zu spät gestellt

Allerspätestens jetzt hätte die Insolvenz beantragt werden müssen, die Anklage geht sogar vom 13. Mai 2015 aus. Doch es wird weitergemacht. Die Liquiditätslücken der einzelnen Tage gehen von 80 sogar auf 99,1 Prozent hoch. Eine Million Euro Verbindlichkeiten sind am Ende angehäuft. Erst am 4. Mai 2016, also fast ein ganzes Jahr zu spät, wird der Insolvenzantrag gestellt. Von Iris K.? "Der Holding-Geschäftsführer hat diesen Antrag selbst von meinem Computer aus geschrieben. Ich stand daneben."

Die Staatsanwaltschaft vermutet, dass die 61-Jährige zwar formal Geschäftsführerin gewesen sei, der Geschäftsführer der Holding aber mutmaßlich faktischer Geschäftsführer war. "Darauf deuten beispielsweise das Abzeichnen der Urlaubsanträge hin und auch weitere Unterschriften auf Dokumenten hin. Außerdem gibt es verschiedene Verflechtungen mit der Kanzlei des Mannes", so der Staatsanwalt. Deshalb hat der Insolvenzverwalter Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen den Mann angeregt, die laut Staatsanwalt in eine Anklage münden sollen. Der Holding-Geschäftsführer selbst möchte auf Anfrage unserer Zeitung nichts sagen und beruft sich auf seine Verschwiegenheitspflicht.

Michael Theurer äußert sich dagegen. Eine Anklage hat er nicht zu befürchten, so der Staatsanwalt. Aber er hat wohl viel Geld verloren. "Dass die Hilfe letztendlich nicht funktioniert hat und auch dass das Kapital verloren sein dürfte, muss ich akzeptieren. Selbstverständlich stehe ich zu meinem Engagement. Dass die Hilfestellung aber nicht zum Erfolg geführt hat, liegt nicht in meiner Verantwortung und muss ich akzeptieren. Ich bedaure zutiefst, dass es dem Ehepaar auch mit meiner Hilfestellung nicht gelungen ist, den Betrieb mit seinen Arbeitsplätzen zu retten."

Iris K. kommt am Ende rechtlich gesehen noch glimpflich davon. Der Staatsanwalt reduziert seinen Antrag. Statt einer halbjährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung beantragt er eine Geldstrafe. Der Verteidiger bezeichnet das als "sehr fair". Der Richter folgt dem Antrag des Verteidigers, dass aus der vorsätzlichen eine lediglich fahrlässige Insolvenzverschleppung wird. "Das rehabilitiert meine Mandantin ein Stück weit", so der Verteidiger. Bei den Sozialbeiträgen wird der Vorsatz bestätigt. Aufgrund der finanziellen und gesundheitlichen Situation wird auch die Geldstrafe noch reduziert: 120 Tagessätze à 20 Euro. "Ich habe noch fünf Euro weniger angesetzt. Medikamente sind teuer", so Richter Trick, der Iris K. noch alles Gute wünscht.