Lara Slink wird liebevoll von ihrer Muter Gerlinde betreut, die sich für ein möglichst normales Alltagsleben ihrer Tochter einsetzt und dabei den Konflikt mit Behörden und Einrichtungen im Kreis Freudenstadt nicht scheut. Foto: Morlok

Zwischen Kostenfragen, Anträgen und Sozialgesetzen ringt eine Mutter um ein besseres Leben für ihre Tochter.

Dornstetten/Horb-Dettensee - Inklusion. Das Wort steht für eine Gesellschaft, in der jeder Mensch akzeptiert wird und gleichberechtigt und selbstbestimmt an dieser teilhaben kann. Ein sozialpolitisches Ziel – vom Alltag weit entfernt. Das bekommt auch Familie Slink aus Dettensee zu spüren.

Lara Slink leidet unter dem RETT-Syndrom. Bei dieser Krankheit folgen auf eine anfänglich normale Entwicklung des Kindes zwischen dem sechsten und dem 18. Monat zuerst ein Stillstand und dann eine Rückentwicklung. Erworbene Fähigkeiten werden wieder verlernt, der normale Gebrauch der Hände geht verloren. Die sprachliche Entwicklung tritt verzögert auf oder bleibt in einem frühen Stadium stecken. Oft fehlt die Sprache völlig. Oder anders ausgedrückt: Lara ist derzeit auf dem Stand eines zweijährigen Kindes. Ein Zustand, der sich nie bessern wird. Lara, eine heute 20-Jährige, wird immer von der Hilfe und der Fürsorge anderer Menschen abhängig sein. Und gerade deshalb wird sie von ihren Eltern, ihren Geschwistern, der gesamten Familie und dem Bekanntenkreis besonders geliebt.

Thema Fluorn-Winzeln dürfte an den hohen Transportkosten scheitern

Ihre Mutter Gerlinde ist ständig um das Wohl ihres Kindes bemüht und kämpft auch um Kleinigkeiten, die Laras Alltag leichter machen. Derzeit geht es Gerlinde Slink jedoch nicht um eine Kleinigkeit, sondern um ein gewichtiges Anliegen. Sie hat das Vertrauen zu der Einrichtung, in der Lara zurzeit betreut wird, verloren. Die Mutter wirft den Verantwortlichen der Schwarzwaldwerkstatt Dornstetten vor, dass dem Bewegungsbedürfnis von Lara nicht ausreichend Rechnung getragen wird, dass sich die Heimleitung nicht an richterliche Fixierungsvorgaben hält und dass man nicht bereit sei, mit ihr, der Mutter, darüber in Dialog zu treten.

Vorausgegangen war der Fall, dass Laras Stammbetreuer im Februar dieses Jahres während der großen Erkältungswelle krankheitsbedingt für einige Zeit ausfiel. Gerlinde Slink bemerkte während dieser Zeit Veränderungen am Verhalten ihre Tochter und schaute eines Tages in Dornstetten vorbei. Dabei musste sie zu ihrem Entsetzen feststellen, dass ihr Kind festgezurrt in ihrem Buggy saß. "Von den Betreuern habe ich erfahren, dass Lara bereits den ganzen Vormittag bis zum Mittag im Buggy saß", erklärte Gerlinde Sling im Gespräch.

Gerlinde Slink möchte ihr Kind aus der Dornstetter Einrichtung herausnehmen. Als idealen Betreuungsplatz hat die Familie in Fluorn-Winzeln die dortige Behindertenhilfe, ein Haus der Bruderhaus-Diakonie, ausfindig gemacht. "Diese Einrichtung ist ideal", glaubt sie. Aber das Landratsamt hat den Kostenübernahmeantrag abgelehnt.

Was läuft im Fall Slink schief? Unsere Zeitung sprach mit Werner Wartusch, Sachgebietsleiter beim Sozialamt Freudenstadt, seinem Kollegen Wolfgang Seifried, Mitarbeiter der Eingliederungshilfe des Landkreises Freudenstadt, sowie den Verantwortlichen der Schwarzwald-werkstatt Peter Goldinger, Geschäftsführer, Petra Schausen, pädagogische Leiterin, und Marlene Ziefle, die den Förderbereich leitet, in dem auch Lara betreut wird.

Im Kreis Freudenstadt gibt es zwei Einrichtungen, die Menschen mit schweren Mehrfachbehinderungen, wie sie Lara Slink hat, aufnehmen. Dies ist neben der Schwarzwaldwerkstatt Dornstetten die Bruderhaus-Diakonie in Seewald-Schernbach. Diese Einrichtung soll bis 2019 durch Häuser in Horb, Freudenstadt und Altensteig ersetzt werden, die dann jeweils über 24 Betreuungsplätze mit Tagesstruktur verfügen. Vielleicht bietet sich dann dort für Lara die Chance, einen neuen Betreuungsplatz zu finden.

Das Thema Fluorn-Winzeln dürfte zumindest aus heutiger Sicht an den hohen Transportkosten scheitern. Lara könnte nämlich nicht wie jetzt zusammen mit einem anderen Fahrgast nach Dornstetten fahren, sondern man müsste für die rund 30 Kilometer lange Strecke in den Landkreis Rottweil ein Behinderten-Taxi chartern. Kostenpunkt pro Strecke: rund 60 Euro. Legt man dies auf den Monat um, kommen bei täglich vier Fahrten (Lara hin – Taxi zurück / Taxi hin – Lara zurück) 80 Fahrten zusammen.

Dies ergibt Kosten von 4800 Euro. Aufs Jahr gesehen wären dies 57 600 Euro. Ein Betrag, den man schon aus Gründen der Gleichbehandlung anderen Behinderten gegenüber nicht übernehmen könne, wie Werner Wartusch erklärte. "Es zählen immer noch Faktoren wie Wohnortnähe – nach Dornstetten sind es 24 Kilometer –, so kurze Wege wie möglich im örtlichen Bereich und die Effektivität des Transports."

"Wir sind bemüht, realistische Wünsche zu erfüllen und über Einzelfall-Lösungen nachzudenken, jedoch die Kosten müssen irgendwie passen", so die Auskunft von Seiten des Kostenträgers. "Was jedoch nicht mehr möglich ist, das ist die Eins-zu-Eins-Betreuung wie in der Schule", relativierte Wartusch die Betreuungsmöglichkeiten in den Einrichtungen. "Jedem Betroffenen seinen eigenen Betreuer zur Seite zu stellen ist schlichtweg unbezahlbar."

"Betreuungsschlüssel kann immer nur ein Durchschnitt sein"

Zu den Vorwürfen der Familie Slink nahm die Schwarzwaldwerkstatt schriftlich Stellung. Zum Vorwurf, das die Behinderten nicht richtig betreut werden, schreibt Petra Schausen: "Unser Förder- und Betreuungsbereich betreut derzeit 29 Menschen mit Behinderungen verteilt auf vier Gruppen. Jede Gruppe wird in der Regel von zwei Mitarbeitern betreut. Weiterhin stehen dem Bereich noch zwei Vollzeitkräfte und eine Mitarbeiterin im Freiwilligen Sozialen Jahr als Springer zur Verfügung, um die Urlaubs- und Krankheitsvertretung sicherzustellen. Kurzfristige Krankheit des Personals lässt sich leider nur sehr schwer planen – es kommt natürlich gelegentlich zu Situationen, in denen mehr Personal fehlt als gewöhnlich – im Gegenzug aber alle Menschen mit Behinderungen anwesend sind. Andererseits erleben wir auch oft Zeiten, in denen Menschen mit Behinderung urlaubs- und krankheitsbedingt fehlen, jedoch das Personal vollständig anwesend ist. Daher kann unser Betreuungsschlüssel immer nur ein Durchschnitt sein. Eine qualifizierte Grundversorgung der uns anvertrauten behinderten Menschen konnten wir bisher jedoch immer sicherstellen. In extremen Krankheitsphasen kann es natürlich auch mal vorkommen, dass die Förderung und Einzelbeschäftigung für ein paar Tage hinten runter fällt." Die Grippewelle im Februar habe zu "massiven krankheitsbedingten Personalausfällen" geführt.

Weiter ging Petra Schausen auf die Behauptung ein, die Einrichtung habe zugegeben, die Anforderungen nicht erfüllen zu können. Man könne nur den vom Landratsamt in Freudenstadt refinanzierten Personalschlüssel umsetzen; "besondere Einzelbetreuungen sind unter diesen Bedingungen leider nicht möglich, da diese ja immer zu Lasten der anderen Menschen mit Behinderungen gingen". In der Regel kümmere sich in diesem Bereich ein Betreuer um durchschnittlich drei Menschen mit Behinderung. Neben der personenbezogenen Förderung gebe es ein breites Angebot an regelmäßigen gruppenübergreifenden Angeboten, wie zum Beispiel Reiten, Schwimmen, Gymnastik, Musik, Kreativangebote und Möglichkeiten zur regelmäßigen Bewegung.

Zum für Gerlinde Slink besonders wichtigen Sachverhalt, der richterlich angeordneten Fixierung ihrer Tochter, laufen die Meinungen völlig konträr. Gerlinde Slink vertritt die Ansicht, dass Lara nur über die Mittagszeit und/oder bei besonders starken Krampfanfällen fixiert werden darf. In der Dornstetter Einrichtung sieht man dies anders: "Zur Anschuldigung an sich können wir lediglich sagen, dass richterlich angeordnete Fixierungen bei uns immer korrekt umgesetzt werden, das heißt, Fixierungen finden in dem Rahmen statt, in denen der Richter sie aufgrund einer bestehenden Gefährdung angeordnet hat, keinesfalls jedoch darüber hinaus."