Die Stifterin des Gerlinger Lyrikpreises Petra Schmidt-Hieber und der Horber Gewinner Walle Sayer Foto: Lück Foto: Schwarzwälder Bote

Literatur: Walle Sayer bekommt Gerlinger Lyrikpreis / Eindrückliches Gedicht über Vergänglichkeit

Er ist Horbs Meister-Poet: Walle Sayer wurde am Dienstagabend der Gerlinger Lyrikpreis verliehen. Für leise Worte, die wie Donnerhall wirken. Bei allen, die zuhören können.

Gerlingen/Horb. Es ist mucksmäuschenstill in der Gerlinger Stadtbibliothek, als Walle Sayer eins seiner Siegergedichte vorträgt. Auf dem Lesepult – ein Rosenquarzbaum von Petra Schmidt-Hieber. Begründung der Lyrik-Preisstifterin: "Wenn man es ans Licht hält, glänzt es wie Perlen. Ein Symbol für die Perlen der Kunst und der Lyrik."  

Geigerin Katharina Wibmer vom Trio Bluesette trifft mit dem Tango nicht nur die Herbst-Stimmung mit den herrlichen Farben und dem Geruch der Vergänglichkeit, sondern leitet auch mit Worten auf die nachdenklich-poetische Lyrik zwischen Leben und Tod des Horber Dichters ein: "Tango ist eine Wunde aufreißen, bis sie blutet. Er ist ein trauriger Gedanke, den man tanzen kann." Die perfekte Einleitung zu Sayer. Der Horber Dichter zeigt mit seinen Worten im "Handgeschriebenen Gedicht", dass er zu einer der Perlen im deutschsprachigen Raum gehört: "Stattdessen, vielleicht oder einfach – mit dem Staubwedel die Möbel dirigiert. In die Wirkungspause der Redner hineinhusten, auf gerader Strecke den Leichenwagen überholen, das Hermetische mit dem Sakristeischlüssel öffnen, zur Luftschlossruine hinterm Wolkengetüm hindeuten, dem Schneefall zuhören, dem Laudator der Welt."

Iris Ferchl, Jurymitglied und Herausgeberin des Literaturblatts Baden Württemberg: "116 Gedichte wurden anonym eingereicht. Mit einem Codewort. Das zu diesem Gedicht hieß Mitbringsel. Bei der ersten Zeile hatte ich einen Verdacht, beim Sakristeischlüssel war ich mir fast sicher, dass es Walle Sayer ist. Die Jury war einstimmig der Meinung, dass Sayers acht Gedichte die Besten sind."

Die acht Gedichte, denen Sayer den Gerlinger Lyrikpreis verdankt – ein Teil seines neuesten Buches. Sayer: "Sie sind noch in der Abhängphase. Aber ein paar sind schon in Sinn und Form, der Zeitschrift Manuskripte erschienen. Und drei werden in der Anthologie ›Aus Mangel an Beweisen‹ erscheinen. Ich denke, das Buch wird nächstes Jahr fertig."

Deutlich zu spüren, dass der Horber Dichter natürlich seine Gegenwart verarbeitet. Sein Vater ist jetzt im Pflegeheim, und so sind das Thema Konfrontation mit dem Tod und die Pflegeheim-Situation sowie Erinnerungen des Vaters eine tragende Rolle in seinen Gedichten. Sayer: "Ich habe auch in der Nachtbereitschaft im Pflegeheim gearbeitet – und in meinen neuen Gedichten steckt alles drin."

Deutlich wird das in folgenden Zeilen aus dem Gedicht "Trauerkarte". Der Horber Dichter: "Zwischen den beiden Jahreszahlen die Fließrichtung des Bindestrichs. Der schmale Steg. Die Zeitkapsel." Eindringlich. Fachfrau Ferchl: "Bewundern muss man seine Fähigkeit, uns oft Gesehenes in neuem Licht zu zeigen, der das eigene genaue Hinsehen, wohl auch verwundertes Staunen vorausgeht."

Kein Wunder, dass Sayer auch diesen Lyrikpreis verdient hat. Stifterin Petra Schmidt-Hieber, die Gedichte liebt und deshalb diesen Preis ins Leben gerufen hat, ist auch ganz begeistert vom Horber Dichter: "Ich liebe seine Gedichte. Mein Lieblingsgedicht von ihm ist das mit der Injektionsnadel. Allein optisch sieht man, wie die Zeilen wie die Nadeln nach unten pieksen."

Sie hat ihre Stiftung ins Leben gerufen, um die Dichter zu fördern. Eine Idealistin und Mäzenatin. "Ich schreibe selbst gerne Gedichte. Natürlich nicht auf dem Niveau von Walle Sayer oder Anne Nimmesgern, die den Förderpreis bekommen hat. Die Lyrik ist eher das Stiefkind, und ich weiß, wie schwierig es Dichter haben, mit ihrer Kunst über die Runden zu kommen. Deshalb habe ich den Preis gestiftet."

Und das freut natürlich auch Walle Sayer, der als Hauptpreisträger 7500 Euro mit nach Hause nehmen kann: "Klasse. Mit dem Geld kann ich wieder etwas ruhiger schlafen, da ein bisschen Reserve da ist." Denn: Der eher zurückhaltende Mann mit den Sätzen wie Donnerhall für die, die zuhören können, ist Hausmann. Kellnert. Macht Projekte mit Schülern an der Hilde-Domin-Schule in Herrenberg. Und wohnt nicht mehr in Dettingen, sondern in Horb. Sayer: "Wir sind seit zwei Jahren am Grabenbach. Wir haben die Bopps als Nachbarn, das Projekt Morgenland und das Kloster. Dazu haben wir einen Garten in der Sommerhalde. Es ist herrlich – und sogar unser Kater hat es endlich geschafft, sich einzuleben." Der Gerlinger Lyrikpreis ist übrigens nicht der erste für Walle Sayer – im vergangenen Jahr bekam er den Basler Lyrikpreis verliehen. Dazu stehen noch der Thaddäus-Troll-Preis von 1994 oder der Ludwig-Uhland-Förderpreis in seiner Vitrine.

Der Gerlinger Lyrikpreis wurde 2016 von Petra Schmidt-Hieber ins Leben gerufen. Erster Preisträger war Rainer René Müller. In diesem Jahr gab es neben dem Hauptpreis einen Förderpreis. Den mit 2500 Euro dotierten Preis bekam Anne Nimmesgern aus Stuttgart-Botnang.