Jonas Lade holt sich Lebensmittel aus den Mülltonnen von Supermärkten. Foto: Jethon

Jonas Lade ist Mülltaucher aus Überzeugung. "Dumpster" setzt Zeichen gegen Lebensmittelverschwendung.

Rottenburg/Horb - Es ist Punkt 23 Uhr. Die perfekte Zeit, um loszugehen und sich Lebensmittel zu holen. Jonas Lade (18) aus Oberndorf macht sich mit Kopflampe und großer Satteltasche auf den Weg Richtung Supermarkt in Horb.

Doch sein Ziel sind nicht die hell beleuchteten, immer frischen Lebensmittel in den Discounterregalen, sondern das Essen, das schon im Müll gelandet ist. Als der Jugendliche in dem dunklen Hinterhof eines Discounters ankommt, öffnet er einen Müllcontainer. Die Maden, die sich hier mehr als wohl fühlen, ignoriert Jonas. Er greift beherzt in den Container und sucht nach noch brauchbaren Lebensmitteln. Er muss den Müllcontainer zuerst ein bisschen durchwühlen, bis er endlich Bananen mit leicht braunen Stellen und einen Joghurt, der erst einen Tag abgelaufen ist, findet. Die Ausbeute wird heute groß sein, denn es ist Samstag und da findet man am meisten. Er sagt, er durchsuche die Container nicht aus Geldnot, sondern aus reiner Überzeugung. Wie geht das?

Menschen wie Jonas Lade nennen sich "Dumpster" – zu Deutsch: Mülltaucher. Er sucht nach noch brauchbaren Lebensmitteln aus den Müllcontainern von Supermärkten. Dabei nimmt er oft Bananen mit Druckstellen, angetrocknetes Brot oder Schokolade, die vielleicht einen Tag über dem Mindesthaltbarkeitsdatum liegt, nach Hause. Der Grund: Er will der Mentalität der Wegwerfgesellschaft entgegenwirken. Denn die Discounter werfen rund 20 Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr weg. Schließlich wollen sie ihr Image der Frische und der großen Auswahl stets aufrechterhalten.

Jonas findet es schade, dass noch genießbare Lebensmittel aufgrund eines einfachen Luxusproblems weggeworfen werden. "So verdammt viele Menschen leben in anderen Ländern unter Hunger und müssen sterben. Bei uns werden Lebensmittel einfach so weggeworfen, nur weil das Haltbarkeitsdatum nicht mehr stimmt.", so Jonas.

"Eklig wird’s erst im Sommer, wenn die Maden kommen"

Seiner Meinung nach hat die Gesellschaft den Respekt vor ihren Lebensmitteln verloren. "Früher wurde das viel mehr geschätzt, weil man sein Essen selbst produziert hat. Heute braucht man es sich nur im Supermarkt zu kaufen und wirft es hirnlos weg, wenn es auch nur einen kleinsten Makel aufweist. Das geht einfach nicht", so der Dumpster.

Mit dem Containern will er "Lebensmittel retten" und einen Akzent gegen die Wegwerfgesellschaft setzen. "Meine Aktionen sollen kein Appell an die gesamte Menschheit sein, denn das Containern geht auch nur, weil so viele Menschen in Supermärkten einkaufen gehen und die abgelaufenen Sachen nicht mehr haben wollen. Wenn jeder Containern würde, würde das Prinzip nicht klappen. Deshalb darf man es aber trotzdem nicht komplett lassen. Man sollte sich immer klarmachen, wie wertvoll Lebensmittel eigentlich sind."

Warum ausgerechnet in der Nacht aufbricht, hat einen einfachen Grund – Containern ist juristisch gesehen strafbar. Das liegt daran, dass der Müll Eigentum der Supermärkte ist – Eigentum, das nicht mehr gebraucht wird. Probleme mit der Polizei hatte Jonas bis jetzt aber noch nicht wirklich.

Wenn er von den Ladenbesitzern dabei erwischt wird, wie er ihren Müll durchsucht, lassen diese ihn meistens in Frieden. In manchen Fällen wird er gebeten zu gehen. "Es gab aber mal einen Fall, da ist die Polizei tatsächlich gekommen. Die hat mir und meinen Freunden dann aber nur gesagt, dass wir gehen und das Zeug zurücklegen sollen. Sonst hätten wir vielleicht eine Anzeige bekommen", erzählt Jonas.

Manche Supermärkte greifen dafür aber zu anderen Mitteln, um das Containern in ihren Supermärkten zu verhindern: Sie schließen ihre Container ab oder lagern sie im Inneren. So ist das zum Beispiel in Rottenburg. Verständnis zeigt Jonas bei diesem Fall schon: die Supermärkte in Rottenburg verschenken nämlich noch verwendbares Essen, das nicht mehr verkauft werden kann, an die Rottenburger Tafel weiter.

"Manchmal kommt es aber vor, dass die Discounter Waschmittelpulver über den Müll schütten. So können wir die Sachen überhaupt nicht mehr essen", ärgert er sich. Das Motiv: Wenn sich ein Dumpster das Essen aus dem Müll nicht holen kann, muss er es kaufen.

Jonas containert trotzdem. Und das schon seit eineinhalb Jahren. Das erste Mal sei er in Horb auf eigene Faust losgegangen, weil er im Internet davon gelesen hatte. Mittlerweile geht er oft mit Gruppen los: "Man findet so einfach mehr", erklärt der 18-Jährige.

Mit der Zeit hat er sogar herausgefunden, worauf es ankommt, wenn er Nachts loszieht. So gebe es für ihn zum Beispiel bestimmte Supermärkte in Horb und Tübingen, bei denen er sich sicher sein kann, etwas Verwertbares zu finden. "Außerdem gehe ich meistens Samstags los. Da werfen die Discounter oft Dinge weg, die am Sonntag erst ablaufen. Die Container werden Sonntags meistens von den Supermärkten geleert", erklärt er.

Dass die Container auch oft schimmelige oder matschige Lebensmittel beinhalten, findet Jonas nicht schlimm. "Im Winter ist das überhaupt kein Problem: da ist die Kälte wie ein natürlicher Kühlschrank für die Lebensmittel im Container. Eklig wird’s erst im Sommer, wenn die Maden kommen", meint er.

Den Spaß am Containern verliert er aber trotzdem nicht: "Man weiß nie, was sich in den Containern verbirgt. Es ist immer wieder spannend." Vor allem an Weihnachten sei das Angebot groß. So habe er beispielsweise einmal Unmengen an leicht zerbrochenen Schokoladen-Nikoläusen mitgenommen. "Das waren so Viele, dass ich sie an Freunde weiterschenken musste", erzählt er.

Ein netter Nebeneffekt sei, dass das ganze auch noch umsonst ist: "Schaden tut das Containern also auf jeden Fall nicht", grinst er.