Willkommen in der Medienhauptstadt Altheim: So ähnlich musste sich Rektorin Bianca Brissaud fühlen. Sie nahm den Ansturm mit Humor. Foto: Hopp

Das Altheimer Hotpants-Verbot und die Folgen: Werkrealschule im Twitter-, Candy- und Shitstorm. Schreiben "unglücklich formuliert".

Horb - Stille liegt über der Werkrealschule im Horber Stadtteil Altheim. Die Mittagssonne vertreibt die Menschen von der Straße. Es könnte ein Tag wie jeder andere sein – wäre da nicht der große weiße Kastenwagen, auf dessen Dach eine gewaltige Satellitenschüssel prangt. Auf der Seite des Fahrzeugs steht in großen Buchstaben SWR geschrieben. Und die Stille trügt.

Denn rund um die Altheimer Werkrealschule geht es derzeit laut und hitzig zu. Angestoßen durch einen Bericht des Schwarzwälder Boten bricht derzeit ein wahrer Sturm des Interesses über das beschauliche Schwarzwalddorf herein. Die Ursache: Eine umstrittene Kleiderordnung, die unter dem Stichwort "#hotpantsverbot" seit Montagabend in der Welt der Medien, bei Twitter und vermutlich auch in den Wohnzimmern vieler Menschen in ganz Deutschland für hitzige Debatten sorgt.

Unter anderem der Spiegel, die Süddeutsche Zeitung oder die Berliner Zeitung taz berichten über den Elternbrief, in dem die Schulleitung erklärt: "Wer zu aufreizend gekleidet ist (zum Beispiel bauchfreies Shirt, Hotpants...), der bekommt von der Schule ein großes T-Shirt gestellt, das er/sie sich bis zum Schultagsende anziehen muss."

Bianca Brissaud, die Rektorin der Altheimer Werkrealschule, steht vor dem Gebäude in der Sonne. Ein Reporter der Bild hantiert mit Videokamera und Mikrofon, versucht sie zu einem Interview zu überreden. Brissaud ist sichtlich überrascht von den hohen Wellen, die die Kleidungsvorschrift schlägt.

"Viele Schulen handeln bereits seit Jahren so. Ist denn schon ein Sommerloch?"

Die Formulierung des Briefes war sicher ein wenig ungeschickt, räumt sie ein. Es ginge nicht nur um Hotpants, sondern um eine angemessene Kleidung bei Mädchen und Jungen. Mit einem solchen Medienecho habe sie aber nicht im Geringsten gerechnet. "Ich habe am Dienstag nicht mal mehr Unterricht halten können", sagt Brissaud und lächelt ein wenig verhalten.

Konservativ? Prüde? So wirkt die junge Schulleiterin nun wirklich nicht. Sie selbst zieht kein Nonnen-Outfit an, ist eher eine moderne Vertreterin ihrer Zunft. Und kann mit den Medien umgehen, wie sie nun zeigen muss. Eine echte Reifeprüfung. Mehr als 20 Anfragen aus ganz Deutschland bereits um 11 Uhr morgens.

Das Telefon im Sekretariat der Schule hört einfach nicht auf zu klingeln. "Unsere Sekretärin tut mir leid", sagt Brissaud. Mit einer großen Pressekonferenz für alle interessierten Medien in den kommenden Tagen will sie dem Ansturm Herr werden. Das ist auch nötig. "Manche Medienvertreter drohen schon, ansonsten auf dem Schulhof mit den Schülern Interviews zu führen", berichtet Wolfgang Held, stellvertretender Amtsleiter des Schulamts Rastatt. Er selbst kann den Hype überhaupt nicht nachvollziehen. "Es ist keine große Besonderheit. Viele Schulen handeln bereits seit Jahren so. Ist denn schon ein Sommerloch?"

Nein, findet der Medienexperte Franco Rota. Der Professor für Kommunikationstheorie, Gesellschaft, Politik und Neue Medien an der Hochschule für Medien in Stuttgart sieht ein wichtiges gesellschaftliches Thema. Die Hotpants-Diskussion sei ein Symbol: "Ich denke, es ist ein gesellschaftliches Stadium erreicht, dass Menschen über ihre Freiheit sprechen. Die in Jahrhunderten und den vergangenen Jahrzehnten erkämpften Freiheiten will man nicht mehr widerstandlos aufgeben. Um es zugespitzt zu sagen: Wollen wir alle wieder verschleiert gehen müssen?"

Errungenschaften der sexuellen Revolution stünden auf dem Spiel, meint Medien-Experte

Die Gesellschaft sei empfindlicher geworden, und es werde eine undefinierte Bedrohung wahrgenommen. "Hier geht es um die Errungenschaften der bürgerlichen Freiheiten, aber auch der sexuellen Revolution. In der Debatte um den Islam geht es dabei auch um die Sorge, als Frau nicht hinterherzuschreiten."Die Debatte zum Fall Altheim sei auch nicht neu: "Es war ja auch schon vorher ein Thema. Beispielsweise im niederbayerischen Pocking, als vor wenigen Tagen ein Rektorat Kleidungs-Regeln insbesondere für seine Schülerinnen in der Nähe eines Asylbewerberheims gemacht hat, um Irritationen bei Migranten zu vermeiden."Auf Twitter wird das Thema #hotpantsverbot mal humorvoll, mal bitterböse kommentiert. Ausgelöst hat das Ganze die Netzaktivistin Anne Wizorek, berühmt geworden mit dem Hashtag #aufschrei, unter dem eine Debatte zum Thema Alltagssexismus angestoßen wurde.

Sie selbst ärgert sich in ihrem Beitrag darüber, dass es im Elternbrief nur um Mädchen geht. Mit ihrem Anstoß zur Sexismus-Debatte sorgt sie für manche kuriose Äußerung. "Ich möchte nicht, dass schlaue Männer neben mir sitzen. Ich finde das attraktiv und kann mich dann nicht mehr konzentrieren", schreibt "Huebscherei"ironisch. "Bald wird vor der Schule mit einem Zollstock die Länge von Hosen und Röcken kontrolliert... die 50er-Jahre lassen grüßen", textet Sue Reindke. Und Effy postet: "Anstatt ein Kleidungsstück zu verbieten, sollten Eltern ihren Jungs beibringen, dass der weibliche Körper kein Sexobjekt ist."

Manchmal gleitet eine Diskussion aber auch ab. Sie driftet vom "Candystorm"in den "Shitstorm". Als der Schulleiterin Brissaud in Twitter Prügel angedroht werden, schreitet die Initiatorin Wizorek selbst ein: "Das ist die Direktorin der Schule, und auch sie hat dafür keine Gewaltandrohungen verdient."

Hier sehen Sie die Twitter-Posts zum Thema: