Wenn sie schon keine Fußball-WM in Brasilien erleben, dann spielen die brasilianischen Studenten in Horb wenigstens Tischkicker. Foto: Hopp

Studi-Seleção lernt Deutsch am Hesse-Kolleg in Horb. Lieber Stipendium und Fasnet als Fußball und Karneval in Rio.

Horb - Manchmal ist es ganz schön hart, auf das Hermann-Hesse-Kolleg zu gehen. Besonders für die Brasilianer, die dort gerade fit in Deutsch gemacht werden.

Denn: Während in ihrem Heimatland die Fußball-WM stattfindet, sind sie dazu "verdonnert", in Deutschland zu bleiben. Alvaro bringt es auf den Punkt: "Weil wir ein Stipendium vom brasilianischen Staat bekommen, dürfen wir nicht zurück. Das ist wirklich eine Strafe für uns."

Das ist der Lohn dafür, dass die Jungs und Mädels zur "Seleção" (zu deutsch Auswahl) des staatlichen Stipendien-Programms "Ciência sem Fronteiras" gehören: Die Studenten bekommen für 15 Monate den Deutschland-Aufenthalt und das Studium bezahlt. Während dieser Zeit dürfen sie aber nicht zurück in ihre Heimat.

Für Renan Maier aus Ferreira ist das weniger schlimm: "Wir Studenten haben bei uns in der Stadt gegen die WM protestiert. Weil es in Brasilien leider viel Korruption gibt, wird viel Geld geklaut, welches woanders dringend gebraucht wird." Carlos Eduardo Candido de Almeida ergänzt: "Es gibt Zahlen, die sagen, dass die FIFA mit der WM in Brasilien dreimal soviel Geld wie bei der letzten Weltmeisterschaft verdienen wird." Auch Alvaro hat schon gegen die WM protestiert: "Bei uns Studenten war alles friedlich. Leider gibt es den schwarzen Block – das sind Leute, die haben keine politische Idee, sondern wollen nur Gewalt und Läden plündern."

Der einzige, der sich auf die WM freuen kann, ist Tales Nazarena. Er arbeitet schon seit Juni in einem Praktikum bei Bosch-Rexroth und wird im Juni wieder nach Hause zurückfliegen. Er hat seinen Tischkicker mitgebracht – mit klarer Ansage: Die Figuren tragen die Trikots von Brasilien und Deutschland. Alvaro nimmt die Stangen seiner "Seleção" in die Hand: "Brasilien wird gewinnen, Deutschland holt den zweiten Platz."

"Ich habe den Karneval in Rio sehr genossen – er ist sehr witzig"

Bis März werden die Brasilianer ihr Deutsch noch in Horb verbessern. Dann geht es an die Uni in Karlsruhe. Eden Volohonsky, Leiter des Hermann-Hesse-Kollegs, hat ihnen die optimalen Bustickets besorgt und hilft dabei, dass alle noch einen Platz im Studentenwohnheim bekommen. Carlos Eduardo: Wir wissen erst im Februar, ob wir alle ins selbe Wohnheim kommen. Das wäre schon Klasse: Zusammen kochen, zusammen Fußball gucken."

Und ihre Zwischenstation in Horb genießen die Südamerikaner. Renan sagt: "Hier ist es zwar wesentlich kälter als in Brasilien. Aber da, wo ich wohne, gibt es nur große Städte mit 100.000 Einwohnern. Hier rund um Horb gibt es viele kleinere Städte, die näher zusammen sind – das finde ich schön."

Und während die Brasilianer sich mit heißen Samba-Rhythmen im Karneval in das Jahr der WM reinfeiern werden, sind die Gäste des Hermann-Hesse-Kollegs gespannt auf die Fasnet. Renan: "Ich stell mir das eher urig vor." Mattheus Pinto aus Rio de Janeiro: "Ich habe den Karneval in Rio sehr genossen – er ist sehr witzig." Und Tales hofft, dass er mit seinen Landsleuten jetzt während der Fasnet vielleicht mal zum Tanzen kommt. Er sagt: "Seit dem Sommer habe ich keinen Samba mehr getanzt. Das vermiss ich." Auch bei den Gasteltern fühlen sich die Brasilianer wohl. Alvaro: "Die Menschen sind sehr offen und sehr nett."

Und warum sucht man sich im Jahr der Fußball-Weltmeisterschaft gerade das ferne Deutschland für ein Studium aus? Flavia Hodecker-Rosa aus Joinville sagt: "Brasilien ist einer der großen Standorte der deutschen Wirtschaft weltweit. Da kann es nur gut für die Zukunft sein, hier zu studieren und die Kultur noch besser kennen zu lernen." Und Renan hofft, dass er nach dem Abschluss seines Studiums in Fahrzeug- und Motorentechnik in Deutschland arbeiten kann.

Lebensfreudige, fußballverrückte Brasilianer? Die Studi- Seleção aus Horb zeigt, dass ihnen die berufliche Zukunft wichtiger ist als das Feiern der WM im eigenen Land.