Die "High Street" in Haslemere ist in der Corona-Krise wie ausgestorben. Foto: Bawtree

Erste Infektion im Vereinigten Königreich in Haslemeres festgestellt. Pulsierendes Leben ist erstarrt.

Haslemere/Horb - "Haslemere ist die Partnerstadt von Wuhan", ist auf einem Schild am Straßenrand von Horbs englischer Partnerstadt zu lesen. In der Stadt, die etwa eine Stunde südwestlich von London liegt, wurde der erste Corona-Fall im Vereinigten Königreich bekannt.

Newsblog zur Ausbreitung des Coronavirus in der Region

Nach der Erkrankung des britischen Premierministers Boris Johnson an Covid-19 hat die Dramatik der Corona-Krise im Vereinigten Königreich zugenommen. Horbs englische Partnerstadt Haslemere im County Surrey hat es in der Krise zu ungewollter Berühmtheit gebracht. In ihr wurde der erste Corona-Fall in Großbritannien bekannt. Ironischerweise hatte die BBC vor zwei Jahren in einer wissenschaftlichen Simulation ebenfalls Haslemere als Ursprungsort für eine Epidemie ausgewählt.

Die BBC hatte bereits Ende Februar berichtet, dass ein Mann aus Surrey im Londoner Krankenhaus Guy’s and St. Thomas behandelt werde, nachdem er die erste mit Corona infizierte Person im Vereinigten Königreich gewesen sei. Er habe sich zuvor nicht im Ausland aufgehalten. Das Haslemere Health Centre, ein Gesundheitszentrum, sei geschlossen und erst nach einer gründlichen Reinigung wieder geöffnet worden, nachdem der Patient die Einrichtung aufgesucht hatte.

Auch der Pub Prince of Wales in Haslemere habe damals vorübergehend geschlossen, da ihn die Betreiber grundlegend reinigen wollten, nachdem der Corona-Patient einen Besuch abgestattet hatte. An der Tür sei auf einem Schild zu lesen gewesen: "Ein Kunde, der uns besucht hat, ist positiv auf das Coronavirus getestet worden."

Eine dramatische Ironie ist, dass Haslemere schon vor rund zwei Jahren einmal der Ausgangsort einer Epidemie war – und zwar in einer BBC-Produktion. Die TV-Sendung hieß "Contagion: The BBC 4 Pandemic" (deutsch: Seuche: Die BBC-4-Pandemie). Michael Bawtree, Vorsitzender des Städtepartnerschaftsvereins Haslemere Twinning Association, erzählt, wovon die Sendung handelte: "Es war kurz gesagt eine Simulation, die veranschaulichen sollte, wie sich ein Virus ausbreiten und das tägliche Leben beeinflussen könnte. Der Moderator hatte Haslemere als den Ort ausgewählt, von dem sich das Virus ausbreitet. Dieses Jahr am 28. Februar kam der erste Patient, bei dem das Coronavirus festgestellt wurde aus Haslemere. Wie ironisch!" Den Bewohnern der 13 000-Einwohner-Stadt ist die Tragik bewusst. Das zeigt ein Schild, das ein Unbekannter aufstellte. Bawtree sagt: "In den Anfangstagen des Virus malte jemand ein Schild und stellte es an einer unserer Straßen auf. Auf ihm geschrieben steht in Anlehnung an die chinesische Stadt Wuhan als Ausgangsort der Pandemie: ›Haslemere ist Partnerstadt von Wuhan.‹"

Stadt könnte Epizentrum von Pandemie sein

Jetzt lebt und überlebt die Stadt, aus der der Virus sich möglicherweise im ganzen Land verbreitet hat. Zur aktuellen Lage sagt Bawtree unserer Zeitung: "Glücklicherweise habe ich noch von keinen Todesfällen unter Bewohnern von Haslemere gehört, die auf das Coronavirus zurückzuführen wären. Es gibt hier viele ältere Menschen, die alleine leben. Viele von ihnen haben weder einen Computer noch ein Smartphone. Für sie ist das Telefon die einzige Möglichkeit, zu kommunizieren. Mehrere Mitglieder des Partnerschaftsverein sind in einer solchen Situation."

Zahlreiche Hilfsangebote sind in Haslemere entstanden, damit die Krise überstanden werden kann. Eine Initiative nennt sich "Haslemere Help". "Das ist eine neue Organisation, die sich bemüht, die Probleme von Leuten zu lösen, die alleine leben, nicht mobil sind oder sich isoliert fühlen. Ein Anruf genügt, und die Helfer kümmern sich um Einkäufe, Gänge zur Post oder haben einfach ein offenes Ohr", erklärt Bawtree. Auch WhatsApp-Gruppen, die Menschen in der Nachbarschaft verbinden, seien viele entstanden. Bawtree sagt: "Die Gruppen fördern den Gemeinschaftssinn und bieten denen Hilfe, die nicht aus dem Haus können."

Viel mehr zu tun als normalerweise hat die "Haslemere Food Bank", eine Tafel. Die Zahl der Menschen, die Probleme haben, sich etwas zu essen leisten zu können, habe sich spürbar erhöht, sagt Bawtree. "Viele Leute haben ihre Arbeit verloren oder verdienen nicht mehr so viel wie zuvor und brauchen die Hilfe der Tafel."

Für viele Geschäfte in Haslemere ist die Corona-Krise eine Katastrophe. "Viele werden zweifellos aufgrund des Virus zugrunde gehen. Finanzielle Hilfe von der Regierung wurde zwar versprochen, aber es dauert sehr lange, bis sie dort ankommt, wo sie gebraucht wird. Dutzende Läden haben ihre Türen geschlossen und die Schaufenster geleert, bis diese Plage vorüber ist. Haslemere ist ein Schatten seiner einstigen Existenz, die einmal von eifriger Aktivität geprägt war, geworden", sagt der Vorsitzende der Haslemere Twinning Association.

Eine traurige Konsequenz der Krise ist auch, dass ein im Mai bevorstehender Besuch von Horbern in Haslemere abgesagt werden musste. Christine Dietz, die in Horb die Städtepartnerschaft koordiniert, sagt: "Das Treffen wird sich um ein Jahr verschieben." Ein genaues Datum stehe noch nicht fest.

Wie lang der Weg zurück zur Normalität ist, weiß aktuell niemand. Michael Bawtree sagt: "Wir lernen gerade viel über uns selbst, über andere und darüber, was wirklich wichtig ist. Und wir fragen uns, ob wir etwas aus diesen tragischen Erlebnissen lernen oder ob wir es einfach nur eilig haben, zu dem Leben zurückzukehren, das wir zuvor hatten."

Was aus den Partnerstädten Salins-les-Bains in Frankreich und Sant Just Desvern in Spanien bekannt ist:

 Salins-les-Bains

Von "massiven Einschränkungen" in Salins-les-Bains berichtet Thomas Bauer, Ansprechpartner für die an den Ausläufern des französischen Jura gelegene Partnerstadt von Horb. Er sei kürzlich mit drei Familien in Kontakt gewesen. Von ihnen seien alle gesund. Sie dürfen aber nach den Verordnungen der Regierung nur eine Stunde am Tag das Haus verlassen und sich maximal einen Kilometer vom Haus wegbewegen.

Das jährliche Treffen der Städtepartnerschaft musste aufgrund der Corona-Krise abgesagt werden. Auch ein geplanter Schüleraustausch kann nicht stattfinden. Bauer erzählt: "Drei Horber Schüler wären jetzt im April für drei Monate nach Frankreich gegangen. Sie hätten dort auch die Schule besucht."

Sant Just Desvern

Die 16 000-Einwohner-Stadt liegt mit dem Auto nur 15 Minuten nordwestlich von Barcelona entfernt. Udo Riefer sagt als Horber Ansprechpartner für die Partnerschaft: "Ich habe Kontakte zu unseren Freunden aus Sant Just." Zwar ist ganz Spanien heftig von der Pandemie betroffen, doch aus Sant Just Desvern gibt es wenigstens eine gute Nachricht. "Aus dem Kreis der Personen der Städtepartnerschaft sind mir keine Infizierungen bekannt. Alle haben geschrieben, dass sie wohlauf seien", sagt Riefer.