Links: Die Synagoge in Mühringen stand dort, wo heute die Spielstraße von der Hauptstraße abzweigt. Rechts: Das Ehepaar Bella und Gustav Schwarz mit ihren Kindern Margot und Justin im Garten ihres Hauses in der Schillerstraße in Horb. Fotos: Träger- und Förderverein Ehemalige Synagoge Rexingen Foto: Schwarzwälder Bote

Holocaust: Am Freitag, 9. November, Kundgebung zur Reichspogromnacht in Horb / Berichte von Zeitzeugen

80 Jahre nach den Novemberpogromen ruft der Träger- und Förderverein Ehemalige Synagoge Rexingen mit dem Landkreis Freudenstadt, der Stadt Horb und den katholischen und evangelischen Kirchengemeinden zu einer Kundgebung am Freitag, 9. November, auf.

Horb. Bei der Kundgebung vor dem Museum jüdischer Betsaal in Horb sprechen Oberbürgermeister Peter Rosenberger, Landrat Klaus Michael Rückert, Jugendgemeinderat Tom Schmidt, die Pfarrer Elmar Maria Morein und Michael Keller, Barbara Staudacher und Heinz Högerle vom Synagogenverein und der Landtagsabgeordnete Timm Kern. Zu Beginn der Veranstaltung um 19 Uhr läuten in Horb und den umliegenden Kirchengemeinden die Glocken zum Zeichen des Innehaltens, des Nachdenkens und der Verbundenheit aller, die sich gegen Antisemitismus und Rassismus zur Wehr setzen. Dann wird der Geschehnisse der Reichspogromnacht gedacht.

Fotos von brennenden Synagogen, von zertrümmerten Fensterscheiben in Wohnungen und Geschäften, von betreten, begeistert oder gleichgültig wirkenden Zuschauern und Passanten sind in großer Zahl vorhanden und in vielen Veröffentlichungen dokumentiert worden. Meistens sind es Fotos aus Großstädten, die am Morgen des 10. November 1938 aufgenommen wurden. Aus Horb sind bislang keine Fotos bekannt. Deshalb hat der Synagogenverein bei der Rekonstruktion der Ereignisse auf die Berichte der Zeitzeugen und auf die Vernehmungs- und Gerichtsprotokolle nach 1945 zurückgegriffen. Dabei förderten sie einige Geschichten zu Tage.

So gab beispielsweise die Horberin Anna Diesch 1946 vor der Staatsanwaltschaft Rottweil zu Protokoll: "Mein Mann ist Eigentümer des Gebäudes Badgasse 2 in Horb. In ihm war früher der Betsaal der Juden untergebracht. Er nahm den ganzen unteren Raum des Erdgeschosses ein. Wir bewohnten den zweiten Stock. Am 10. November 1938 kam der verstorbene M. aus Isenburg mit Schülern der hiesigen Oberschule vor unser Haus und betrat alsbald durch unseren Hauseingang die Synagoge. Mein Mann, der M. unter der Haustüre den Zutritt zum Betsaal verwehren wollte, sagte mir, als er in die Wohnung zurückkam, M. habe gesagt, dass er wohl wissen würde, was in der vergangenen Nacht vor sich gegangen sei."

Oberschüler randalieren im jüdischen Betsaal

Ein Teil der Schüler habe in der Zwischenzeit ebenfalls durch den Hauseingang den Betsaal betreten, berichtete Diesch der Staatsanwaltschaft. "Ehe mein Mann wieder in den ersten Stock kam, hatten die Schüler bereits begonnen, die Gewänder der Juden, die Stuhlkissen, die Fußschemel und so weiter zu den zuvor geöffneten Fenstern hinauszuwerfen." In der Badgasse wurde von den Außenstehenden alles auf einen Haufen geworfen und das, was im Innern der Kirche noch nicht beschädigt wurde, draußen zerschlagen, so Diesch. "Wie man aus dem Lärm hörte, sollte alles verbrannt werden. Um dem Unfug ein Ende zu bereiten, ging mein Mann alsbald an das nächste Telephon, von dem er das hiesige Bürgermeisteramt und dann die Gendarmerie verständigte." Bald darauf seien zwei Polizeibeamte erschienen, die dem Treiben ein Ende bereiteten. Sie ließen das Feuer ablöschen und mit ihrem Erscheinen verließen auch die Zuschauer und die Schüler den Schauplatz. "Die Gewänder wurden anschließend in die Synagoge geschafft und später von einem mir nicht mehr erinnerlichen Lumpenhändler aus Horb abgeholt. Das auf der Straße liegende Holz wurde von der armen Bevölkerung zu Brennholz verwandt. Ein Teil der nicht beschädigten Stühle und Bänke kam nach und nach in das naheliegende NSV-Heim nebenan."

Auch in Rexingen und Mühringen wurden die Synagogen im Innern verwüstet, Thorarollen und Gebetbücher verbrannt, Leuchter und andere Gegenstände zertrampelt oder gestohlen. Die Gebäude selbst blieben erhalten, denn der Kreisleiter hatte seine eigenen Vorstellungen von ihrer späteren Nutzung.

Die Ausgrenzung, Entrechtung und Beraubung der jüdischen Familien, die schon 1933 nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten eingesetzt hatte, erreichte mit diesem gewalttätigen und niederträchtigen Vorgehen gegen jüdische Menschen, ihre Gotteshäuser und Geschäfte, ihre Wohnungen und ihr Hab und Gut eine bis dahin nicht vorstellbare Brutalität.

Das bekam auch Margot Schwarz, die mit ihren Eltern Bella und Gustav Schwarz und ihrem Bruder Justin in der Schillerstraße wohnte, wo der Vater einen Textilhandel für Aussteuerwaren betrieb, zu spüren: "Am 9. November war der Geburtstag meines Vaters. Meine Eltern waren bei Freunden, und wir blieben mit dem Großvater zu Hause. Meine Eltern kamen früher als gewöhnlich zurück und waren sehr blass", erinnerte sie sich. "Ich bin aufgewacht vom Zersplittern von Glas. Durch alle Fenster flogen Steine ins Haus und machten alles kaputt. Mein Vater hatte ein Hobby, er züchtete Kakteen, die auf den Fensterbänken standen. Sie waren die Zielscheiben für die Steinewerfer. Das Geschäft meines Vaters gegenüber war aufgebrochen, und die Stoffballen lagen auf der Straße herum. Früh am Morgen kamen sie und verhafteten meinen Vater", berichtete Schwarz. Den 80-jährigen Großvater nahmen sie nicht mit. "Horb war eine kleine Stadt und jeder kannte jeden. Der Mann, der meinen Vater verhaftet hat, ist mit ihm aufgewachsen. Sie waren zusammen im Ersten Weltkrieg gewesen. Er sagte zu meinem Vater: ›Tut mir leid, aber das ist ein Befehl.‹ Später sahen wir, wie die Gemeindevorsteher der jüdischen Gemeinde auf die Polizeiwache gebracht wurden."

In Horb wurden in dieser Nacht und am folgenden Morgen mehrere Geschäfte in jüdischem Besitz zerstört und geplündert. Am schlimmsten verwüstet wurden das Schuhhaus Tannhauser, das Bekleidungsgeschäft Wolfsheimer und das Textilgeschäft Esslinger. Vom Horber Gefängnis aus wurden am 12. November 35 Männer ins Konzentrationslager Dachau gebracht, dort misshandelt und nach zwei bis drei Wochen unter der Auflage wieder entlassen, sich umgehend und nachweislich um eine Ausreise aus NS-Deutschland zu bemühen. Gustav und Bella Schwarz hatten schon vorher ihre Emigration nach Palästina vorbereitet. Auf ihrer Flucht, die sie im Januar 1939 zunächst in die Schweiz führte, starb Gustav Schwarz an den Folgen seiner Haft in Dachau.

Nicht allen Familien gelang es, noch rechtzeitig Deutschland zu verlassen, bevor 1941 die letzte Phase der Vernichtung, die Deportationen, begann und der deutsche Staat sich endgültig allen zurückgelassenen Besitz der jüdischen Familien aneignete.

Ein e ökumenische Gedenkfeier zur Erinnerung an die Reichspogromnacht beginnt am Freitag, 9. November, um 18.30 Uhr in der evangelischen Friedenskirche in Mühringen. Unter dem Motto "Erinnerung und Verantwortung" wird vom Ortschaftrat Mühringen, von der katholischen Kirchengemeinde Mühringen und der evangelischen Kirchengemeinde Mühlen zu der Gedenkfeier eingeladen. Um 19 Uhr werden die Glocken der beiden Mühringer Kirchen geläutet. Während des Glockengeläuts ist ein gemeinsamer Gang zum Gedenkstein vor dem Rathaus geplant. Dort wird Ortsvorsteherin Monika Fuhl sprechen und Hans-Josef Ruggaber wird berichten, was er über die 80 Jahre zurückliegende Reichspogromnacht in Mühringen weiß.