Timm Kern (von links), Margarethe Rebholz, Ernst Wolf und Michael Theurer beim politischen Aschermittwoch der FDP Fotos: Lück Foto: Schwarzwälder Bote

Aschermittwoch: Kreischef Wolf: "Diktatur der menschlichen Empörung" / Debatte um Thüringen

War es richtig, vor Merkel in der Causa Thüringen einzuknicken? Darüber brodelt es überall in der FDP. Das wird auch beim politischen Aschermittwoch in Nordstetten deutlich.

Horb-Nordstetten. Kreischef Ernst Wolf sagt zur Begrüßung: "Derzeit herrscht ein heftiger Wind. Der Wind von Thüringen wird auch durchs Nordstetter Schützenhaus wehen." Denn die FDP steht nach der Wahl von Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten von Thüringen bundesweit heftig unter Druck. War es richtig, diesem Druck nachzugeben?

FDP-Kreischef Wolf: "Das FDP-Leiden geht weiter – in einer feindlichen Medienlandschaft und einer staatsgläubigen Bevölkerung." Er spricht von einer "Diktatur der menschlichen Empörung", der sich die FDP beugen musste. Beim Dreikönigstreffen hing das Plakat an der Wand: ›Seien wir frei, denken wir groß.‹ Jetzt sehe ich nur noch Kleinmut."

Diese "Brandmauer" gegenüber der AfD – für Wolf fraglich: "Im Kreistag sitzen für die AfD gestandene Männer und Demokraten – darf ich denen jetzt nicht mehr die Hand geben? Was mach ich, wenn eine Kreuzung mit Ampeln geplant wird und die AfD den Antrag stellt, stattdessen eine Kreisverkehr zu bauen, wofür ich auch bin? Ich denke, das Brandmauerdenken vom Bund lässt sich in der Praxis nicht durchhalten."

Landtagsabgeordneter Timm Kern: "Ich kenne die AfD vom Landtag. Schauen sie sich mal live an, was da bei denen passiert. Ein Minimum an Anstand und fairen Umgang sollte im hohen Haus gelten – doch das ist bei denen selten zu erleben. Ich bin Christian Lindner dankbar, dass er das Problem mit Thüringen innerhalb von 24 Stunden gelöst und den Fehler ausgebügelt hat."

Michael Theurer, Vize-Fraktionschef der Bundes-FDP: "Das Hamburg-Ergebnis ist bitter. Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein hat wie blöd gekämpft. Am Samstag vor der Wahl fuhr sie ins Krankenhaus, wo ihre Mutter gestorben ist. Die Beschimpfung gegenüber uns durch Lars Klingbeil und der SPD muss aufhören, dass wir angeblich nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Das ist eine Unverschämtheit!"

Theurer bestätigt, dass es vor der Ministerpräsidentenwahl genügend Warnungen an Kemmerich gegeben habe. Baden-Württembergs FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke hätte ihm noch eine Warn-SMS geschickt: "Lass es bleiben." Theurer: "Wenn es eintritt, dass Kemmerich mit den Stimmen der AfD gewählt wird, wäre der Schaden für die FDP enorm. Trotzdem hat er im dritten Wahlgang kandidiert. Ein Kollege hat mir gesagt: Im föderalen System entscheiden wir das selbst. Nach der Wahl von Kemmerich war mir klar: Das wird ein Erdbeben auslösen. Das führt dazu, dass die Verfassungsfeinde von der AfD die Verfassung gegen die anderen Parteien richten."

AfD-Wähler nicht permanent verurteilen

Horst Bäuerle, Ehrenvorsitzender des Deutschen Beamtenbundes: "Die FDP ist bei Thüringen zu sehr in Demut gegangen. Die Grünen haben dort mit fünf Sitzen genauso viele wie die Liberalen. Kemmerich werfen die Grünen Machtgelüste vor, obwohl die selbst auf Ministerposten schielen."

Andreas Stark, Ortsvorsitzender FDP Freudenstadt: "Ich habe Erfurt immer noch nicht verdaut. Es kann nicht sein, dass man die Bürger, die AfD gewählt haben, permanent verurteilt. Ich kann den Umgang mit den Menschen aus meiner Heimat Thüringen nicht mehr ertragen. Ich kenne die Helden von der CDU und der FDP mit ihren blühenden Landschaften. Ich war im August zum letzten Mal im Supermarkt in meiner Heimat. Der ist jetzt geschlossen, seitdem muss ich 26 Kilometer fahren, um Brot zu kaufen."

Der Vorwurf gegen die Linken, das DDR-Unrecht mit verantwortet zu haben, weist Stark zurück: "Ich kenne da viele Leute, die sind nicht mal so alt wie ich. Warum werden die mit einem Etikett beklebt, mit dem sie noch nicht einmal geboren wurden? Als Ost-Bürger frage ich mich: Warum werden wir so pauschalisiert behandelt, obwohl wir uns 30 Jahre lang im selben Land entwickelt haben?"

Theurer war nach seinen Angaben viel in Thüringen unterwegs. Er sagt dazu: "Diese Aussage erklärt viel mehr über die Wahlergebnisse. Viele Thüringer fühlen sich der AfD näher als der Linkspartei. Jetzt erleben wir, dass nicht Thüringer über Thüringen entscheiden, sondern die veröffentlichte Meinung. Ich wehre mich gegen den Mainstream der Hauptstadtmedien. Die jetzt einen Antifaschismus aus Links, SPD und Grün möchte. Ich befürchtet, der Umgang aus Berlin mit der AfD macht diese Partei noch stärker und führt zu weiterer Destabilisierung."

Für Theurer war es eine bittere Stunde, als Demonstranten vor der FDP-Landeszentrale den Liberalen Faschismus vorgeworfen haben. Der baden-württembergische Landeschef: "Als OB von Horb war ich Gründungsmitglied des Synagogenvereins. Ich habe jede Menge anonyme Drohungen deswegen erhalten. Ich lass mich nicht als Faschist angreifen."

Zuhörer: Mitte hat ihren Job nicht gut gemacht

Doch so einfach machen es die Zuhörer den Politikern nicht. Einer fragt: "In den 80er-, 90er-Jahren war Deutschland überall Weltspitze. Doch die Mitte hat ihren Job nicht gut gemacht. Das, was der normale Bürger wichtig findet, wird nicht gehört. Dafür kommen Themen wie Gender von der Politikerkaste. Und um davon abzulenken, schimpft man auf links oder rechts." Theurer sieht den Grund in der Struktur des Bundestags: "Parlamente, die Regierungen stellen, sind regierungsfreundlicher. Ein Drittel der Abgeordneten sitzt in der Regierung, das nächste Drittel will rein. Deshalb sagt keiner was."

Doch warum lässt sich die FDP so "prügeln", wollen die Zuhörer wissen. Warum kommen ihre Themen so wenig zur Sprache? Theurer: "Die Grünen und die AfD vertreten Eckpositionen. Mit solchen Eckpositionen kommt man sehr leicht über die Aufmerksamkeitsschwelle." Der FDP-Fraktionsvize warnt davor, die AfD zu wählen. Er sagt: "Wer die AfD wählt, sorgt am Ende für eine Linksruck. Das wollen auch deren Spitzen wie Alexander Gauland. Denn die CDU wird damit zu einem Mus und links. Dann wählen deren Wähler richtig rechts."