Alkohol, Medikamente und Tabak – legale Mittel, die zur Sucht führen können. In Horb trifft sich ein Freundeskreis von Suchtkranken und Angehörigen, die es gemeinsam schaffen, mit ihrem gemeinsamen Problem besser klarzukommen. Foto: Witschel/Gewa/Albert

Betroffene sollen nicht rückfällig werden, sondern zufrieden abstinent bleiben. Selbst Rum-Aroma ist Feind.

Horb - In der Runde beim Freundeskreis sitzen neun Leute, trockene Alkoholiker und ihre Angehörige. Jeder sitzt hier mit seiner eigenen Geschichte. Die Wege zur Sucht sind ebenso individuell wie das Loskommen von ihr. Eines aber verbindet die Gruppe: Nicht rückfällig werden, sondern zufrieden abstinent bleiben.

Die Teilnehmer des Freundeskreises wollen anonym bleiben. Deshalb werden hier weder Namen noch Alter und Wohnort genannt. Der Freundeskreis, der sich zweiwöchentlich am Dienstag im Steinhaus trifft, ist offen für alle Suchtkranken. Alkoholiker, Spieler, Nikotin- oder Drogenabhängige. Die meisten Teilnehmer derzeit sind trockene Alkoholiker.

Eine Angehörige bringt es auf den Punkt: "Alkohol ist wie eine Krücke. Ohne ihn können die Suchtkranken nicht fest im Leben stehen." Das gelte übrigens für alle Suchtarten, egal ob Alkohol, Medikamente oder synthetische Drogen im Spiel sind: "Die Betroffenen werden mit irgendetwas im Leben nicht fertig. Das eigene Selbstwertgefühl leidet." In der Gruppe können die Suchtkranken alles ansprechen, was sie bedrückt. Das können Alltagssorgen sein oder Probleme mit der Sucht. Die einen reden, die anderen hören nur zu. "Wer nur zuhört, kann für sich selbst aber auch viel mitnehmen", sagt einer. Jeder zieht sich das raus, was grade für seine Situation passt. Man gebe keine Ratschläge, aber viel Zeit zum Zuhören. Er betont: "Alles, was hier drin geredet wird, bleibt auch hier drin." Verschwiegenheit ist oberstes Gebot. Verantwortung nehmen wir keine ab, sagen die Teilnehmer. Denn so wie der Alkohol nicht schuld an der Sucht sei, sondern derjenige, der trinke, liege auch der Weg aus der Sucht in der eigenen Verantwortung.

Der kleinste Tropfen Alkohol reicht, um wieder rückfällig zu werden

Hier komme den Selbsthilfegruppen eine wichtige Rolle zu, sagt der Leiter des Freundeskreises. Wer eine Gruppe besuche, habe größere Chancen von der Sucht loszukommen. Von den Suchtkranken, die eine Selbsthilfegruppe besuchen, bleiben 80 Prozent trocken. Von denen, die keiner Gruppe angehören, werden 80 Prozent rückfällig. Wer sich mit seiner Sucht beschäftige, sei besser vor dem Rückfall gefeit. "Ein klein bisschen gesunde Angst, dass wir alles noch mal durchmachen müssen, hilft auch vor dem Rückfall", sagt ein Gruppenteilnehmer. Und, der zweite Entzug sei schlimmer als der Erste.

Spielt es eine Rolle, wie lange die Mitglieder des Freundeskreises trocken sind? Nein, diese Statistik ist unwichtig. "Von zwei bis knochentrocken", scherzt ein Teilnehmer, der schon seit Jahrzehnten trocken ist. Ob einer zwei Jahre oder 25 Jahre trocken ist, spiele keine Rolle, weil das Alkoholgedächtnis selbst nach Jahrzehnten noch funktioniert. Der kleinste Tropfen Alkohol reicht, um wieder rückfällig zu werden. Wer glaube, ein Gläschen Wein nach vielen Jahren der Abstinenz schade nicht, irre gewaltig.

Die Suchtkrankheit ist nicht nur ein körperliches Problem. Die psychische Komponente ist nicht zu unterschätzen. Deshalb sei die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe so wichtig. Hier geht es darum Wege zu finden, um zufrieden abstinent zu sein. Ein Teilnehmer erzählt, dass die schlimmste Zeit erst nach der Therapie komme. Während der Entzugstherapie befinde man sich wie unter einer Käseglocke. Abgeschirmt und gut betreut. Danach komme dann die Herausforderung.

Selbst wer jahrzehntelang trocken ist, muss auf die versteckten Alkohole achten. Trockene Alkoholiker und ihre Angehörigen lesen deshalb die Zutatenliste bei ihren Einkäufen sehr genau. Oft versteckt sich der Alkohol in Süßwaren oder Backwaren. Selbst Rum-Aroma ist wegen des alkoholähnlichen Geschmacks eine Gefahr und alkoholfreies Bier ist nicht vollständig alkoholfrei.

"Weil ein Alkoholiker nichts haben darf, wo Alkohol drin ist, verzichte ich auch auf Alkohol", sagt eine Angehörige und lacht. Sie ist stolz, dass es ihr Mann geschafft hat.

Abstinent zu leben bedeutet meistens auch den Bruch mit dem alten Bekanntenkreis. "Die alten Saufkumpane sind gefährlich." Aber man werde als Abstinenter auch bald als Spaßbremse wahrgenommen, sodass diese vermeintlichen Freundschaften bald auslaufen. Echte Freunde hingegen seien voller Anerkennung, dass es der Freund, die Freundin geschafft haben. Für sie sei es selbstverständlich, alle Gefahrenquellen auszuschalten.

Die Gesellschaft könnte mehr Rücksicht auf die Suchtkranken nehmen, meinen die Gruppenteilnehmer. Ist es notwendig, dass bei allen Betriebsfesten oder Stehempfängen Sekt oder Alkohol gereicht wird? Muss beim Kindergartenfest oder St.-Martins-Umzug Bier oder Glühwein ausgeschenkt werden? Ein Umdenken wäre gut und man wäre ein Vorbild für Kinder und Jugendliche. "Und müssen alkoholfreie Getränke in der Wirtschaft teurer sein als Bier und Wein?", fragt eine Teilnehmerin. Sie findet das ungerecht.

Im Freundeskreis für Suchtkrankenhilfe nimmt man das Wort "Freund" sehr ernst. Sie sehen den ganzen Menschen und setzen auf persönliche Beziehungen. Deshalb verbringen sie auch Freizeit zusammen, unternehmen Ausflüge oder grillen gemeinsam. Gemeinsam stolz auf das Erreichte zu sein, macht eben auch mehr Spaß. Und das darf man feiern, ohne Alkohol, versteht sich. "Wir können auch ohne Alkohol lustig sein. Manchmal sogar lustiger als die, die nie abhängig waren", sagt einer aus der Gruppe.