Auf Wahlkampftour in Horb, von links: Timm Kern, Bundestagskandidat Lutz Hermann und Gastredner Wolfgang Gerhardt. Foto: Morlok

Bundestagswahl: Wolfgang Gerhardt spricht im Gasthaus Schiff zu Wirtschafts-, Bildungs- und Europapolitik.

Horb - Während unten auf dem Flößerwasen der Fassanstich zum Stadtfest über die Bühne ging, lauschten am Freitagabend oben auf dem Marktplatz einige nimmermüde Liberale im Nebenzimmer der Traditionsgaststätte Schiff den Worten von Wolfgang Gerhardt, den der FDP-Landtagsabgeordnete Timm Kern als Redner für diese Wahlkampfveranstaltung gewinnen konnte.

Gerhardt als ehemaliger Bundesvorsitzender der FDP und heutiger Vorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung zählt zu den profiliertesten und bekanntesten Persönlichkeiten der Liberalen. Gemeinsam mit Kern warf er einen motivierenden Blick nach vorne.

Timm Kern, der als erster Redner des Abends das Wort ergriff, glaubt, eine gute Stimmung für seine Partei auszumachen, warnt aber davor, dass eine vermeintlich gute Stimmung noch lange keine Garantie für ein gutes Stimmenergebnis am Wahlabend sei. Wichtig sei für ihn, dass man bis zur Bundestagswahl mit möglichst vielen Menschen in Kontakt kommt. Gemeinsam mit dem Bundestagskandidaten Lutz Hermann und Peter Woikowski, dem Kreisgeschäftsführer, war Kern deshalb vormittags auf dem Freudenstädter Wochenmarkt auf Stimmenfang.

Auf der Rückfahrt hatte Kern ab Grünmettstetten vier Funklöcher, wie er berichtete. "Für ein Industrieland wie Baden-Württemberg ist das eher suboptimal", so seine Einschätzung. "Die Infrastruktur der Digitalisierung im ländlichen Raum darf nicht hinten runterfallen, das ist nicht akzeptabel" zeigte Kern klare Kante. "Deshalb muss ein Digitalministerium auf Bundesebene her", so seine Forderung.

Als weiteres wichtiges Thema brennt dem Bildungspolitiker ein ausdifferenziertes Bildungssystem unter den Nägeln. "Der baden-württembergische Wohlstand ist der, der zwischen den Ohren sitzt,und deshalb ist die weltbeste Bildung gefordert", so seine knackige Aussage, denn Bildung sei "die einzige Chance, Liberalismus echt zu realisieren", lehnte sich Kern an die Wahlplakate seiner Partei an.

Wolfgang Gerhardt, seit 1965 in der FDP, stieg dann in seinen Betrachtungen zur allgemeinen politischen Großwetterlage etwas früher in die Geschichte der deutschen und später auch der europäischen Politik ein. "Grundlegende Veränderungen gibt es in der Politik und im Weltgeschehen immer", lautete eine nachvollziehbare Feststellung von Gerhardt. Er erinnerte an die Ost-West-Annäherungen, die ganz am Anfang auch niemand für möglich gehalten hatte, um dann mit dem Brexit auf ein ganz aktuelles Problem zu kommen. Seiner Meinung nach haben die Engländer nicht bedacht, wie viel Europa zwischenzeitlich in den Produkten steckt. So überquert ein Mini-Cooper in seinen fünf Produktionsphasen bis zu fünf Mal den Ärmelkanal. "Die Kurbelwelle wird in Frankreich gegossen, zwei Produktionsschritte werden in Deutschland, zwei in England gemacht", gab’s Nachhilfeunterricht in puncto globale Wirtschaft. "Man kann als Engländer nicht sagen, das habe ich nicht gewusst – man kann sich erkundigen."

Integration und Flüchtlingsströme waren ebenfalls ein Thema. "Ungarn und Polen verlieren vor Gericht und wollen trotzdem ihre Quoten nicht erfüllen – wenn alle so handeln und denken, fliegt uns das europäische System um die Ohren."

Auf seinen Hinweis, dass er schon als Koalitionspartner von Helmut Kohl ein Einwanderungsgesetz gefordert habe, erntete er unlustiges Gelächter seiner Zuhörer. "Wir wehren uns mit aller Gewalt gegen die bare Notwendigkeit der Außengrenzkontrolle, so eine weitere Einschätzung im Rahmen seiner tief greifenden Überlegungen zum Block Einwanderung und Asyl.

Zum großen Sammelsurium "soziale Gerechtigkeit" merkte er an, dass einige Sozialdemokraten in Sache Renten Adam Riese wiedersprechen wollen und seine Partei die Meinung vertritt, dass auch Starke ein Recht auf freie Entfaltung haben und nicht immer nur als Bringer auftreten müssen.

Bei seinem Gedanken zum Schulsystem steht bei Gerhardt die Person des Lehrers an erste Stelle. "Er prägt die Leistungen der Schüler ganz entscheidend." Aber auch die Eltern müssten im Boot der Bildungsgemeinschaft ihren Beitrag leisten. Bevor Wolfgang Gerhardt auf die eigene Partei zu sprechen kam, merkte er unter anderem noch an, dass der Klimawandel nicht ideologisch zu bekämpfen sei. "Ich glaube nicht an die Apokalypse."

Im Bundestagswahlkampf attestierte er Christian Lindner einen guten Wahlkampf und gab zu, dass man vor vier Jahren durch eigene Schuld aus dem Bundestag geflogen sei. "Nun haben wir uns Millimeter um Millimeter wieder jener Tür genähert, die am Abend des 24. Septembers wieder für uns aufgehen soll – die Tür zum Deutschen Bundestag." Wolfgang Gerhardt ist überzeugt von dem was er sagt. Obwohl sein Vortrag eine Polit-Welt zeichnete, in der die FDP eigentlich immer in Regierungsverantwortung sein müsste, war seine Rede nie überzogen, nie unglaubwürdig. Er ist noch einer der alten Garde, die das Prinzip der Ehrbarkeit und denen zu dienen, die einen in ein Amt gewählt haben, immer noch lebt.

Eine kleine Diskussionsrunde rundete diese bemerkenswerte Wahlkampf-Runde ab.