Stadtrandlage mit viel Grün: Die Panoramastraße sieht nach einer attraktiven Wohngegend aus. Doch für die bevorstehende Sanierung der Straße werden die Anlieger mit hohen Beteiligungsbeiträgen zur Kasse gebeten. Foto: Schülke

Gesetzliche Neuregelung der Erhebungsgrundlage laut Experte trügerisch.  

Horb - Die Anwohner in Panoramastraße und Pilgerweg kämpfen gegen die aus ihrer Sicht viel zu hohen Erschließungsbeiträge, die das Rathaus von ihnen kassieren will. Ihre Hoffnung: Die Neufassung des Kommunalabgabengesetzes kann dieser Ungerechtigkeit endlich ein Ende machen. Der Schwarzwälder Bote fragte Rechtsanwalt Johannes Mascha aus Schwäbisch Gmünd, der gegen Erschließungsbeiträge kämpft, die als sogenannte "erstmalige endgültige Herstellung" für die Sanierung älterer Straßen erhoben werden.

Was finden die betroffenen Anwohner an den bestehenden Regelungen so ungerecht?

Das beste Beispiel ist die Oberdorfstraße in Horb-Mühringen. Wir gehen mal davon aus, dass jeder, der dort Grundeigentum hat, sein Leben lang Steuer bezahlt hat. Jetzt, so die Planungen des Rathauses, soll die Reparatur ein und derselben offensichtlich maroden Straße bis zu einer Hälfte für die Eigentümer kostenlos – finanziert aus Steuermitteln des Landessanierungsprogramms und der Stadt Horb – durchgeführt werden. Umgekehrt müsste ab Hausnummer 19 jeder Eigentümer mindestens 90 Prozent der anteiligen Ausbaukosten für sein Grundstück aus eigener Tasche bezahlen. Ich habe eine fast 90-jährige Mandantin, die plötzlich rund 30.000 Euro Erschließungsbeitrag bezahlen soll. Als sie dem Bürgermeister vor Ort gesagt hat, das könne sie nicht, hat er ihr angeboten, das Grundstück unter Abzug der 30.000 Euro abzukaufen und sie fortan in ihrem vormals eigenen Häuschen zur Miete wohnen zu lassen...

Eine Änderung des Kommunalabgabengesetzes soll angeblich Abhilfe schaffen. Was halten Sie von dem Gesetzentwurf?

Wenn der Entwurf so verabschiedet wird, wird das Land Baden-Württemberg ein Gesetz geschaffen haben, dessen Versprechen einer Beitragsbefreiung für die betroffenen Bestandsstraßen-Anlieger von vorneherein gar nicht einlösbar ist. Ich halte das nicht für einen Zufall.

Warum könnte dieser Gesetzentwurf eine Mogelpackung sein?

Ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2013 verpflichtet alle Bundesländer – also auch Baden-Württemberg – mit jahrzehntelanger Unabsehbarkeit einer Beitragserhebung Schluss zu machen. In dieser Entscheidung (Aktenzeichen 1 BvR 2457/08) heißt es: "Das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit schützt davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können." Mit der geplanten Gesetzesfassung wird dieses verfassungsrechtliche Gebot aber faktisch ausgehebelt.

Aber der vorgelegte Entwurfstext verspricht doch die Einführung einer zeitlichen Obergrenze von 20 Jahren.

Ja. Aber gerechnet ab der sogenannten Vorteilslage. Die Verwaltungsgerichte definieren diese Vorteilslage nun so, dass sie für die Anwohner überhaupt erst dann entstehe, wenn durch eine aktuelle Straßensanierung sämtliche Ausbauvorgaben vollständig erfüllt sind, die die Kommunen in ihre Erschließungsbeitrags-Satzungen und technischen Ausbaupläne hineingeschrieben haben. Das ist zugleich jedoch regelmäßig der Zeitpunkt, in dem die Kommunen die Sanierung bereits abrechnen müssen. Nachdem aber eine so definierte Vorteilslage und die Abrechnung stets zeitnah zusammenfallen, kann dazwischen nie eine Zeitspanne von 20 Jahren entstehen. Damit wird die als Entlastung angepriesene 20-Jahres-Obergrenze, die die Anlieger eigentlich von der Beitragspflicht befreien soll, in Wirklichkeit de facto niemals erreicht werden. Nach meiner Überzeugung wäre diese Regelung von Anfang an verfassungswidrig.

Aber eine alte kommunale Straße wie die Oberdorfstraße in Mühringen ist ja schon seit vielen Jahrzehnten da. Haben die Anlieger damit überhaupt juristisch gesehen noch einen Vorteil, wenn die jetzt saniert wird?

Aus meiner Sicht nicht. Viele Kommunen verstehen nicht, dass Erschließungsbeiträge noch nie dazu bestimmt waren, sich den Vorteil einer Ortsverschönerung durch Erfüllung aller Ausbauvorgaben (dazu könnte im Prinzip sogar ein Luxus wie Marmor-Bordsteine bestimmt werden) von Anliegern bezahlen zu lassen. Anlieger müssen vielmehr grundsätzlich nur ihren eigenen Erschließungsvorteil abgelten, der sich darauf beschränkt, dass sie durch die Benutzbarkeit der Straße ihre Grundstücke mit Fahrzeugen erreichen und sie bebauen können. Diesen Erschließungsvorteil gibt es bei Bestandsstraßen aber schon seit deren erstmaliger Anlegung, das bedeutet gegebenenfalls schon viele Jahrzehnte oder sogar bis zu weit über 100 Jahren.

Wie man jetzt in Horb sieht, bedeutet die Umlegung von Straßensanierungskosten auf die Anlieger jede Menge Ärger für die Kommunen. Warum nehmen die das auf sich?

Jede Kommune weiß: Wenn sie Erschließungsbeiträge für alte Bestandsstraßen erhebt, gibt es Streit. Aber das Land verpflichtet sie per Gesetz dazu, obwohl Schätzungen zufolge der durch das Erhebungsverfahren verursachte Verwaltungsaufwand und eventuelle Kosten für Rechtsstreitigkeiten 30 bis zu 50 Prozent der Beitragseinnahmen erreichen könnten. Diese Aufwendungen schmälern maßgeblich die mit der Beitragserhebung doch eigentlich beabsichtigte Baukosten-Refinanzierung.

Steckt dahinter ein möglicher Konflikt ums Geld zwischen Land und Kommunen?

Ich habe den Eindruck, hier geht es um die Verteilung der Mittel zwischen Land und Kommunen. Wenn die Kosten für den Ausbau alter Ortsstraßen nicht mehr durch die Kommunen über Erschließungsbeiträge von den Bürgern erhoben werden könnten, dann müsste das Land den Kommunen wohl anteilig mehr Mittel dafür zur Verfügung stellen. Der Gemeindetag Baden-Württemberg hat im Übrigen schon 2016 den Kommunen eine "zügige" Erhebung von Erschließungsbeiträgen für Bestandsstraßen empfohlen, weil er schon damals befürchtete, dass dies aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eventuell bald nicht mehr möglich sei. Vielleicht scheint deshalb in jüngerer Zeit eine vermehrte Erhebungsaktivität bei den Kommunen Einzug gehalten zu haben.

Hat die Politik die Brisanz schon erkannt?

Offenbar. Mit einem förmlichen Berichtsantrag vom 24. August 2020 an den Landtag stellen Abgeordnete der FDP der Landesregierung zumindest die auch aus meiner Sicht richtigen Fragen. Unter anderem, ob die Landesregierung es für sinnvoll hält, bei der Erhebung von Erschließungsbeiträgen weiterhin nicht zu differenzieren zwischen Bestandsstraßen in längst bebauten Gebieten und Straßen in Neubaugebieten, die jetzt erst entstehen und bei denen es deshalb – anders als bei Bestandsstraßen – eine in der Vergangenheit entstandene "Vorteilslage" gar nicht geben kann. Und auch, wie die Landesregierung die "Vorteilslage" als Anknüpfungspunkt für die geplante zeitliche Obergrenze von 20 Jahren definiert. Im Übrigen scheinen der Landesregierung bis heute auch keinerlei verlässliche Daten darüber vorzuliegen, welchen Aufwand die Beitragserhebung durch die Kommunen tatsächlich verursacht.

Könnte das auch Wahlkampfthema werden?

Weil 2021 Landtagswahl ist, hoffe ich, dass dieser Streit-Dauerbrenner auch zum Wahlkampfthema wird und endlich die Situation der Bürger so verbessert wird, wie es das Bundesverfassungsgericht verlangt. Schon im vergangenen Dezember habe ich mit Nachdruck an Herrn Ministerpräsidenten Kretschmann appelliert, sich persönlich dafür einzusetzen, dass Bürgerinnen und Bürger künftig darauf vertrauen dürfen, nicht mehr mit unzumutbaren und zum Teil sogar existenzvernichtenden, ihre langfristigen Lebensentwürfe zerstörenden Geldforderungen überzogen werden, deren Erhebung ihnen unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten schlicht nicht mehr vermittelbar ist.