Wie viele Organisten setzt sich auch Michael Grüber gerne mal ans Klavier. Archiv-Foto: Hopp Foto: Schwarzwälder Bote

Jahr der Orgel : Der Horber Michael Grüber veranstaltet Orgel-Reisen und -Akademien / Er recherchiert über die Orgel von Rimini

Was viele bei Rammstein, den Stones oder Deep Purple live im Stadion oder in der Halle genießen, hat die Orgel schon vor 500 Jahren in der Kirche gekonnt. Kein Wunder, dass 2021 das "Jahr der Orgel" ist. In einer Serie sagt der Schwarzwälder Bote, was Menschen an der Königin der Instrumente fasziniert. Heute: Michael Grüber.

Horb. Wer laute Musik liebt, hat einen Subwoofer im Auto. Weil dann die Bässe richtig in den Eingeweiden wummern. Ein geiles Gefühl! Doch das geht auch ganz mechanisch – die Kirchenorgel bringt durch ihre Riesen-Pfeifen die Luft zum Vibrieren und sorgt bei den Zuhörern für wohlige Schauer. Das Instrument, um die Gewalt Gottes musikalisch rüberzubringen. Und spielt der Organist nur die hohen Töne, hören wir die Engel singen.

Michael Grüber ist selbst Organist und Inhaber der Agentur "Organ Promotion". Diese Agentur veranstaltet Orgel-Reisen und Akademien mit Teilnehmern aus aller Welt. Grüber schmunzelt: "Wenn ich beispielsweise vor der Orgel in Sankt Margaret in München sitze und spiele, dann wackeln die ganzen Eingeweide! Das ist ein richtiger Brummer. Kein anderes mechanisches Instrument kann das – deshalb galt die Orgel bis vor 150 Jahren als die größte technische Meisterleistung der Menschheit!"

Denn, so erklärt der Organist: "Es gibt keine zwei gleichen Orgeln auf der Welt. Jede Orgel ist ein Einzelstück und so aufgebaut, dass sie in den Räumlichkeiten und der vorhandenen Akustik und den Umständen in der Kirche optimal klingt!"

Und genau das fasziniert viele Orgelfans in der Welt. Grüber: "Vor ungefähr 30 Jahren habe ich angefangen, die Akademien und die Reisen zu veranstalten. Da sitzen dann 50 Leute in einem Bus und fahren beispielsweise durch Frankreich – von Orgel zu Orgel. Die wird dann von dem dortigen Meister gespielt, und die Teilnehmer dürfen selbst auch an die Tasten. Wenn man die leuchtenden Augen der Teilnehmer sieht, erschließt sich hautnah, was Mozart schon damals gesagt hat: ›In meinen Augen ist die Orgel der König der Instrumente!‹"

Die Orgel-Fans. Grüber: "Da gibt es einen Arzt aus Australien. Der ist extra für einen Tag nach Straßburg geflogen, um die berühmte Silbermann-Orgel zu erleben! Er hat mir schon gesagt: Wenn Du es schaffst, dass ich die Orgel von Weingarten eine Stunde spielen kann, dann zahl ich Dir fast jeden Preis!"

Und bei diesen Orgelreisen gibt es immer wieder etwas zu entdecken. Grüber: "In Italien beispielsweise wurden im 18. Jahrhundert nur Orgeln ohne Pedal gebaut. Das heißt für den Laien: Auf die tiefen Basspfeifen wurde verzichten. Das ist dann wie ein Klavier mit Pfeifen und klingt so lieblich wie die italienische Musik."

Die Deutschen dagegen liebten es schon immer bassig und voluminös. Orgelbauer Arp Schnitger fing 1680 an, die voluminösen Orgeln in Hamburg zu bauen. Die reichen Hansestädter konnten sich das leisten, erzählt Grüber: "Johann Sebastian Bach wusste das, ist schon als 16-Jähriger mehrfach zu Fuß in den Norden gelaufen, um die Orgeln in den Hansestädten kennenzulernen und zu spielen. Er war so fasziniert, dass er diese Technik mit nach Mitteldeutschland brachte."

Und das war dort der Startschuss für die wohl berühmtesten Orgelbau-Legenden – die Silbermann-Brüder aus einem Dorf bei Dresden. Andreas und Gottfried. 1701 ging Gottfried nach Straßburg, um bei Andreas den Orgelbau zu lernen.

Michael Grüber: "Gottfried wurde dann mit seinen Orgeln in Deutschland berühmt, Andreas in Frankreich. Eine Orgel-Städtepartnerschaft Dresden-Straßburg. In Straßburg wusste das keiner. Am 14. Januar, dem Geburtstag von Gottfried, habe ich einen Brief an die Oberbürgermeister von Straßburg geschrieben. Inzwischen habe ich die Zusage für die Unterstützung einer Orgelwoche im August. Ein Dresdener spielt auf der Silbermann-Orgel in Straßburg – daraus kann eine tolle Orgel-Städtepartnerschaft entstehen!"

Michael Grüber – sein Herz brennt für die Orgel. Bei seinen Orgel-Akademien bringt er "Superstars" wie Ben van Oosten mit Studenten aus aller Welt zusammen. Grüber: "Da bewerben sich Musikstudenten aus der ganzen Welt um die paar Plätze, um mit van Oosten eine Woche lang zu spielen und zu lernen." Dieses Jahr auf der Agenda mit dem Niederländer: München und Paderborn.

Und ein großes Projekt will Grüber noch im Jahr der Orgel anstoßen. Der Horber: "Mich treibt seit Jahren die Geschichte der Orgel von Rimini um. Am Ende des zweiten Weltkriegs wurden 150 000 deutsche Soldaten am Strand als Kriegsgefangene interniert. Darunter der Orgelbauer Werner Renkewitz. Er hängte einen Zettel aus: Wer hat Lust, eine Orgel zu bauen? Zwölf gelernte Handwerker meldeten sich. Aus Kekskanistern haben sie die Orgelpfeifen gebaut – nach wenigen Monaten stand die Orgel. Als diese Orgel vom Bischof an Pfingsten eingeweiht wurde, haben 150 000 deutsche Soldaten ›Großer Gott, wir loben Dich!‹ gesungen."

Bei der Recherche, ob es noch Reste der Orgel gibt, fand Grüber nur noch verkohlte Überreste. Weil es 1963 einen Kirchenbrand gab. Grüber: "Ich habe damals aus den Listen recherchiert und Ex-Kriegsgefangene angerufen. Sobald ich das Wort Orgel erwähnte, kam bei jedem die Ergriffenheit am Telefon herüber. Fast jeder sagte: Der Klang dieser Orgel hat mich am Leben erhalten."

Unter diesen Kriegsgefangenen, so Grüber: Hans-Jochen Vogel (SPD, u.a. regierender Bürgermeister von Berlin) oder Kai-Uwe von Hassel (CDU, Ex-Bundestagspräsident). Grüber: "Von Hassel hat die Orgel von Rimini so ergriffen, dass er damals für die Bundestagskapelle auf einer Orgel bestanden hat."

Und diese Orgel von Rimini will Grüber wieder aufbauen. Sagt: "Dabei habe ich sogar Europaminister Guido Wolf an meiner Seite. Den habe ich im französischen Businessclub in Stuttgart kennengelernt. Ich hatte gesehen, dass er in Weingarten geboren ist, wo es eine tolle Orgel gibt. Damit habe ich genau die richtige Seite bei Wolf getroffen – er sagte mir gleich seine Unterstützung zu."

Tolle Projekte, die der Horber Michael Grüber im Jahr der Orgel rund um die Königin der Instrumente mit anschiebt. Ein Herzenswunsch ist aber bisher nicht in Erfüllung gegangen: Dass er mal wieder in der evangelischen Johanneskirche auch die Besucher begeistern kann. Grüber: "Die ist derzeit immer noch gesperrt. Letzte Woche war der erste Gottesdienst nach langer Zeit auf dem Hohenberg. Aber dort gibt es nur ein Klavier zum spielen!"

Für 2021 ist die Orgel von den Landesmusikräten zum "Instrument des Jahres" gekürt worden. Seit 2017 sind Orgelmusik und Orgelbau durch die Unesco als Immaterielles Kulturerbe anerkannt. Allein in Deutschland gibt es etwa 50 000 Orgeln. Auch Horb ist eine "Stadt der Orgeln". Unsere Serie gibt Einblicke in die hiesige Welt der "Königin der Instrumente".