OB Peter Rosenberger überreichte Gideon eine Mappe mit Archivmaterial zu seinen Horber Vorfahren. Foto: Schwarzwälder Bote

Besuch: Werner Gideon (83) ist Nachfahre des einstmals größten Arbeitgebers der Stadt

Sein Urgroßvater war in den 20er- und 30er-Jahren einer der größten Arbeitgeber in Horb. Bis die Nazis kamen. Jetzt kehrte Werner Gideon (83) mit seiner Ehefrau und seinen vier Kindern in die Große Kreisstadt zurück.

Horb. Bewegt betritt Werner Gideon das Bürgerkulturhaus. Es ist der Abschluss einer zweitägigen Reise in die Vergangenheit – seine Traumreise. Denn Gideon will seiner Ehefrau Sheila und seinen vier Kindern die Wurzeln ihrer Geschichte zeigen. Diese Wurzel wurde in der Nazizeit herausgerissen. Jetzt zeigen Barbara Staudacher, Andrea Dettling und Heinz Högerle sowie Oberbürgermeister Peter Rosenberger, was echte Versöhnung heißt. Zeit zu haben. Sich dem anderen widmen.

Gideon (83), der jetzt in Chicago lebt, ist sichtlich gerührt von den Führungen und Erläuterungen der vergangenen beiden Tage. Seine Ehefrau wollte unbedingt die Gräber seiner Vorfahren sehen, seine Kinder die Gebäude, in denen Salomon Gideon seit 1835 die Seifen- und Kerzenfabrik zu Horbs größtem Arbeitgeber gemacht hatte.

Werner Gideon schüttelt am Montagnachmittag herzlich Rosenberger die Hand: "Wir sind überwältigt von der Freundlichkeit, mit der wir hier empfangen wurden von den Ehrenamtlichen. Sie können stolz auf die Bürger ihrer Stadt sein. Horb ist eine Stadt des Ehrenamts."

OB Rosenberger wird auch ein bisschen sentimental: "Das stimmt. Heute Abend verabschieden wir viele ehrenamtliche Mitglieder des Gemeinderates. Auch einer ihrer Vorfahren – David Gideon – war 19 Jahre lang Mitglied im Gemeinderat." Gideons Ehefrau Sheila schaut sich neugierig die Bilder an, die im Bürgerkulturhaus hängen.

Dann kommt die offizielle Begrüßung. Rosenberger: "Wir freuen uns, dass sie mit ihrer ganzen Familie nach Horb gekommen sind. Die Seifenfirma ihrer Vorfahren war ein Wirtschaftsfaktor in der Stadt. Es gibt sogar die Gideonstraße in Horb, das zeigt, wie bedeutend ihre Vorfahren waren. Wichtig für mich persönlich ist, sie als Zeitzeugen kennenzulernen und über die Vergangenheit zu sprechen. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir 75 Jahre Frieden haben. In Horb gibt es viele Symbole, die uns an den dunklen Teil unserer Geschichte erinnern. Den jüdischen Betsaal, die Friedhöfe, die Stolpersteine. Eine Mahnung, dass wir in Zukunft klüger sein müssen."

Der Oberbürgermeister überreicht dann als Geschenk eine Mappe aus dem Stadtarchiv. Rosenberger: "Das ist in einem Deutsch geschrieben, was ich nicht mehr gelernt habe. Aber dort sind alle Unterlagen – die Gewerbeanmeldung und alles, was wir von ihrer Familie im Archiv gefunden haben. Danke, dass sie den Weg nach Horb auf sich genommen haben!" Und dann fragen die Gideons Rosenberger aus. Wollen wissen, was die größte Herausforderung für Horb ist. Wie groß die Schere zwischen Arm und Reich ist. Wie es mit den Flüchtlingen geht. Die ganze Familie diskutiert mit dem Stadtoberhaupt.

Dann muss der OB weiter. Von ihm verabschieden sich glückliche Gesichter. Werner Gideon: "Jetzt verstehe ich, warum sich meine Vorfahren hier in Horb so wohl gefühlt haben. Es hat mir geholfen, mitzubekommen, welche guten Dinge sie hier am Neckar bewegt haben. Auch unserer ganzen Familie hat es gut getan, hierherzukommen."

Die Gideons: Bedeutend in Horb durch Seife, Kerzenherstellung und Kosmetik. Steckt noch irgendetwas von diesen Horber Genen in ihnen? Vater Werner lacht: "Höchstens in mir. Ich bin Apotheker! Mein Sohn Jeremy ist in der Metallbranche, Michael ist Zahnarzt. Meine Töchter sind im sozialen Bereich tätig: Die eine ist Therapeutin, die andere kümmert sich um die Reha von Schlaganfall-Patienten."

Salomon Gideon (1815-1897) gründete in Mühlen eine Seifensiederei. 1869 wurde sie auf den Marktplatz verlegt – in den Grabbach. Angebot: Seife, Parfümerie, Soda, Talglichter. Sein Sohn David (1860-1932) expandiert, eröffnet 1902 eine neue Seifensiederei mit Talgschmelze am Starzelbach. Dort, wo jetzt das Kö 23 und Thomas Philipps-Sonderposten sind. David Gideon war 19 Jahre Mitglied im Gemeinderat, schied 1928 aus.

1936 verschwand die Gideon AG Horb aus dem Handelsregister. Sie hat damals 25 Mitarbeiter. Blendax übernimmt. In den Akten heißt es: "Keine Beschäftigten, an eine arische Firma verpachtet."

Werner Gideons Vater Robert Rafael hatte bis 1926 Prokura in der Gideon AG. Er zog 1931 nach Villingen. Er konnte in die USA flüchten – mit Werner. Der sagt heute: "Mein Vater hat nicht viel von der Firma in Horb erzählt. Dafür Wilhelm, mein Onkel. Der hat mir alle Bilder von damals gezeigt."