Ginger Streibig (links) war ein gefeierter DDR-Tanzstar. Heute führt sie erfolgreich eine Ballettschule in Horb (Kreis Freudenstadt). Foto: Hopp

In der DDR waren sie und ihr Mann Tanzstars - nach der Wende fingen sie im Schwarzwald von vorne an.

Horb - Zwei Welten. Zwei Leben. Wenn Ginger Tatjana Streibig zurückblickt, dann sind es zwei Lebenswege, zwei Karrieren, zwei Schicksale, zwei Chancen – und auch zwei Mal Glück. "Ich bin kein Mensch, der rummeckert. Ich bin eine Optimistin, die nicht auf ihr Leben schimpft", sagt sie. Ihre beiden Leben werden durch drei feste Bande verbunden: ihr Mann Michael, ihre beiden Kinder – und das Tanzen.

Ginger und Michael Streibig gehörten zu den erfolgreichsten Tanzpaaren der Deutschen Demokratischen Republik. Sie wurden gefeiert, gefördert und bespitzelt. "Wir waren privilegiert. Natürlich gab es damals viele Neider", erzählt die energiegeladene Streibig, die nach 20 Jahren Schwarzwald natürlich ihre Berliner Schnauze nicht abgelegt hat.

Dass sie eine Tanzkarriere einschlägt, war ihr in die Wiege gelegt. Ihre Eltern waren bereits Tanzartisten, die durch Europa tourten. Auch Ehemann Michael kommt aus einer Künstlerfamilie. Streibigs Vater gab ihr den Namen Ginger in Anlehnung an Ginger Rogers, Film-Tanzpartnerin von Fred Astaire. "Wenn andere Kinder gespielt haben, habe ich trainiert. Aber ich fand das herrlich", erzählt sie mit Funkeln in den Augen.

Eigentlich ist Ginger Streibig ein "Wessi", wie sie sich selbst bezeichnet. Sie ist in München geboren. Doch als die Mutter aufgrund einer Tanzverletzung krank ist und sich von ihren Eltern in Leipzig pflegen lassen will, wird eine wichtige Weiche im Leben von Ginger Streibig gestellt – in Richtung DDR. Der Vater bleibt im Westen. "Einmal war er noch im Osten, vor dem Mauerbau, um uns ›rüberzuretten‹. Doch meine Mutter wollte nicht. Und ich habe nach der Schule gebummelt und meinen Vater verpasst. Ich wäre mitgegangen."

Eine Stunde Karstadt anschauen ist erlaubt. Zwei Tänzerinnen des Ensembles nutzen das, um "rüberzugehen"

Ihre Ausbildung ist hart, aber sie genießt sie. Erst an der Sportschule in Leipzig, dann an der staatlichen Ballettschule Berlin. 1969 lernt sie ihren Mann Michael kennen, ein Jahr später heiraten sie. Und gemeinsam starten sie in der DDR eine große Tanzkarriere. Sie kommen in den Auswahlkader des Staatsensembles der DDR, das Tor der Welt steht plötzlich offen. Es folgen Reisen nach Ägypten, Indien oder eben auch West-Berlin. Eine Stunde Karstadt anschauen ist erlaubt. Zwei Tänzerinnen des Ensembles nutzen das, um "rüberzugehen". "Klar haben wir manchmal auch selbst daran gedacht, doch der Staat hatte unsere Kinder als Pfand. Und ohne unsere Kinder hätten wir das nicht gemacht." Für das Ensemble bedeutet die Flucht der beiden Mittänzerinnen: schnell umstellen und improvisieren.

In Zypern werden die Streibigs und ein weiterer Mittänzer von einem anderen Hotelgast spontan ins "Hilton" eingeladen. Am nächsten Tag sind sie verraten, der Dritte im Bunde entpuppt sich als Stasi-Mann. "Wir haben schon gedacht, unsere Karriere ist beendet. Aber sie konnten nicht auf uns verzichten." In Mosambique, beim Weltfest der Folklore, tanzen sie (unter anderem den Pfälzer Tanz!) in einem vollen Amphitheater.

Zwischen den Zuschauerreihen stehen die Soldaten mit ihren Gewehren. "Da hatte man Angst, etwas Falsches zu machen." Auch einen schlimmen Erpressungsversuch der Staatssicherheit erlebt das Paar. Ihnen will man den Mord an einem Kind, der eigentlich seit zwei Jahren aufgeklärt war, andichten. "Zum Glück konnten wir beide beweisen, dass wir an diesem Tag nicht in Leipzig waren", erzählt Streibig. "Am schlimmsten war die Stasi, nicht die Entbehrungen, die man in der DDR hatte", sagt sie voller Wut.

Ab 1984 sind die "Ginger’s" freiberuflich unterwegs. Das Tourneeprogramm ist voll, auch in der Fernsehsendung "Ein Kessel Buntes" treten sie auf. Doch dann kommt die Wende. Als die Mauer fällt, touren sie gerade durch die DDR. In Aschersleben haben sie eigentlich einen Auftritt in der Parteischule. "Doch als wir dort ankamen, war keine Menschenseele da." Die erfolgreiche Tanzkarriere erhält einen Bruch. Es folgen noch eine Tournee in Australien, Auftritte auf dem Traumschiff, doch dann ist: Leere. Sie gibt Unterricht, ihr Mann schlägt sich zwischenzeitlich als Bofrost-Fahrer durch. 1991 wird den DDR-Tänzern, die mindestens 15 Jahre in Staatsdiensten getanzt haben, die kleine Zusatzrente gestrichen. "Da haben sich viele Tänzer aus Verzweiflung das Leben genommen."

Ginger Streibig hadert nicht mit ihrem Schicksal. Sie ist einfach zu sehr Optimistin. "Mein Mann sagt manchmal, ich bin blauäugig", erzählt sie schmunzelnd. Eine frühere Kollegin, die in Rottenburg (Kreis Tübingen) als Tanzlehrerin arbeitet, erinnert sich an Streibig und engagiert sie für eine Unterrichtseinheit. "Da habe ich zu ihr aus Spaß gesagt, ob ich eine der drei Tanzschulen übernehmen könnte."

Tatsächlich bekommt sie diese Chance: Ihr zweites Leben nimmt in Horb (Kreis Freudenstadt) so richtig Fahrt auf. Seit 20 Jahren leitet sie nun erfolgreich die "Ballettschule Ginger". "Der Schuldenberg ist inzwischen auch abgebaut", sagt sie lachend. Mittlerweile will die Großstadtpflanze auch nicht mehr weg aus der Provinz. "Ich wurde hier gut aufgenommen, fühle mich sauwohl."

Eine Wand in der Tanzschule ist vollgepflastert mit Fotos. Von Auftritten in der DDR, im Ausland oder auf dem Traumschiff und in der Tanzschule. An dieser Wand vereinen sich die beiden Leben der "Ginger’s".