Heimatgeschichte: Großes Interesse bei "jüdischem Themenweg" in Rexingen / Barbara Staudacher führt durch den Ort
Horb-Rexingen. Der Andrang war viel stärker als erwartet – und das trotz Corona. Lediglich 15 Teilnehmer durfte Barbara Staudacher bei ihrer Spurensuche nach jüdischem Leben in Rexingen begrüßen. "Ich habe vielen absagen müssen", sagt sie. "Auf dem jüdischen Themenweg" heißt die Veranstaltung des 1997 gegründeten Fördervereins Ehemalige Synagoge Rexingen – und vor dem einstigen jüdischen Gotteshaus beginnt denn auch der Rundgang. Man kann auch sagen: Das wiedererrichtete Gotteshaus, das heute als evangelische Kirche dient, ist so etwas wie das Highlight der gut zweistündigen Spurensuche.
Natürlich legen Staudacher und ihre Gäste brav den Mund-Nasen-Schutz an, als sie die ehemalige Synagoge betreten. "Rexingen ist etwas ganz Besonderes", beginnt die 76-Jährige ihre durchaus lebendigen Erklärungen und Fingerzeige. Als das stattliche jüdische Gotteshaus 1837 eingeweiht wurde, lebten 380 Juden im Dorf, die katholische Bevölkerung betrug knapp über 1000, rund 35 Prozent also waren Juden – eine Rarität im deutschen Südwesten.
"Das Gebäude ist heute von außen so, wie es früher war", berichtet die Führerin. Und dann fügt sie rasch hinzu: "Bis auf den Glockenturm, den gab es damals natürlich nicht." Über 100 Jahre sei es Zentrum des jüdischen Lebens im Ort gewesen. In der Pogromnacht, dem 9. November 1938, wurde die Synagoge in Brand gesetzt, wurde gelöscht, im Inneren jedoch verwüstet. Später diente sie den Nazis als Waffenlager, zeitweise waren russische Zwangsarbeiter hier tätig. Seit 1952 dient das Gebäude als evangelische Kirche – ein langer, verschlungener Weg.
"H ier ist nichts Anderes als Gottes Haus und hier ist die Pforte des Himmels", steht in Hebräisch über dem Eingang mit zwei stattlichen Säulen. In Holz gehauen ist das Mose-Zitat auch in Deutsch zu lesen. Der Gottesraum der heutigen christlichen Protestanten befindet sich im ersten Stock, ein schmuckloser, nüchterner Raum, an den Wänden hängen Fotos ehemaliger jüdischer Einwohner – als Synagoge dient das Gebäude nicht mehr. Es leben auch keine Juden mehr am Ort, im Online-Lexikon Wikipedia ist dazu der grausig-nüchterne Satz zu lesen: "Die jüdische Gemeinde existierte bis 1942."
Seit 15 Jahren macht die Kleinverlegerin Staudacher ("Ich verlege jedes Jahr ein Buch.") diese Führungen, sie erzählt locker und lebendig, spricht frei, liest nicht vom Blatt. Mitunter werde sie gefragt, warum sie das tue, warum sie die Führungen und die damit verbundene Arbeit auf sich nehme? "Ich antworte den Leuten dann: ›Warum tun Sie das nicht?‹" Und sie fügt hinzu: "Das ist doch unsere Geschichte, ob wir wollen oder nicht." Man dürfe nicht vergessen, nicht verdrängen.
"Rexingen ist etwas ganz Besonderes", sagt Staudacher immer wieder. Eine Besonderheit war die Auswanderungswelle von Rexinger Juden ins damalige Palästina. Shavei Zion heißt die Siedlung im heutigen Israel, nördlich von Tel Aviv. Mehrere Gruppen hatten sich angesichts des zunehmenden Naziterrors aufgemacht und die Siedlung 1938 gegründet, insgesamt seien wohl über 40 Personen aus Rexingen nach Israel geflüchtet. "Zwei Schwestern leben dort heute noch, sie sind hochbetagt." Mehr Rexinger Juden sind damals allerdings in die USA emigriert. Wie viele Rexinger durch die Nazis ums Leben kamen, lasse sich nicht ganz genau beziffern, so Staudacher. Man gehe von 120 Opfern aus, das zuständige Bundesarchiv spricht laut Wikipedia von 100 Toten.
Das Publikum bei dieser Spurensuche ist gemischt, viele kommen aus der näheren Umgebung. Die Aufmerksamkeit der Besucher ist hoch, es gibt reichlich Fragen. Was hat es mit dieser oder jener Inschrift in der Synagoge auf sich? Was ist aus der Mikwa, dem jüdischen Ritualbad, geworden? Das Interesse am Thema "jüdische Vergangenheit" ist also durchaus vorhanden. Was aber auffällt an der Veranstaltung ist der hohe Altersdurchschnitt der Besucher. Die Grauköpfe sind eindeutig in der Überzahl, es fehlt die Jugend. Wo sind die jungen Leute, möchte man fragen? Interessieren sie sich nicht mehr für das Thema?
Der Rundgang führt über die einstige Schule, wo Juden und Christen im selben Gebäude unterrichtet wurden, auf dem weiteren Weg betrachtet man "Stolpersteine", die an namentliche jüdische Opfer erinnern, und der Rundgang endet auf dem jüdischen Friedhof, hoch über Rexingen im Wald gelegen.
"Der Friedhof ist wunderschön", schwärmt Staudacher. Über 1000 Grabsteine, an vielen nagt der Zahn der Zeit, der Sandstein teilweise verwittert, aber viele Namen und Inschriften sind noch zu lesen. Hier etwa liegt Hedwig Schwarz, eine der drei Überlebenden der Nazi-Deportationen, sie war im Vernichtungslager Theresienstadt. Beerdigt wurde sie 1952. Das frischeste Grab ist aus dem Jahr 1961, hier liegt Hermann Lemberger, der in die USA flüchtete und später nach Deutschland zurückkehrte. Er starb in Rottweil.