Stephanie Müller, Mimosa Pale und Helena Hartmann im künstlerischen EinsatzFoto: Dietl Foto: Schwarzwälder Bote

Kultur: Internationaler Musikaustausch aus dem Horber Künstlerhaus / Musik mit singender Säge und Gegenständen des Alltags

Ein Lied, eine Melodie, vielleicht nur ein paar improvisierte Töne, einzelne Worte oder ein Gedicht können mehr als eine Brücke sein. Sie können zum künstlerischen Rettungsboot in einem Meer der Pandemie werden.

Horb. St ephanie Müller, Mimosa Pale, Helena Hartmann und Klaus Erich Dietl, die aktuellen Bewohner des Horber Antonie-Leins-Künstler/innenhauses nutzten das Transportmittel Ton, um mitten im Lockdown an ein früheres Projekt, das bereits im Jahr 2016 gestartet wurde, anzuknüpfen.

Es handelt sich um einen internationalen Musikaustausch, der sich Alligator Gozaimsu (sprich: Alligator Goh-sai-mahs) nannte und nennt. Aus einigen wenigen Aktiven wurde schnell eine Vereinigung von mehr als 60 Menschen, die sich hier weltumspannend treffen, um über ihre Erfahrungen während des Lockdowns, der Zeit der Lockerungen aber auch der erneuten Einschränkungen auf ihre besondere Art berichten. Der Bandname bezieht sich auf den japanischen Begriff "Arigato Gozaimasu" (deutsch: Vielen Dank), nur eben mit dem augenzwinkernden "Alligator"-Biss.

Noch vor Bekanntwerden des Coronavirus, im Januar dieses Jahres, luden Stephanie Müller und Klaus Erich Dietl Interessierten aus Horb und Umgebung an zwei Tagen zu einer gemeinsamen Aufnahmesessions ins Künstlerinnen-Haus ein.

Das war so etwas wie der Startschuss für das aktuelle Projekt. "Als es dann hieß, dass wir uns erst mal nicht mehr live treffen können, haben wir nicht klein beigegeben. Im Gegenteil: Wir haben angedockt an die Horber Basis und einen internationalen Musikaustausch gestartet", so Initiatorin Müller.

"Am kommenden Montag, 20. Juli, veröffentlichen wir unser gemeinsames Album ›Solange bunte Balken durchlaufen‹. Nach dem Alligator Gozaimsu Debüt, das 2016 auf Vinyl erschienen ist, veröffentlichen wir dieses Mal online", so die Künstlerin weiter.

Bewusst haben sich die vier Macher dieser Musikaustausch-Fortsetzung für eine Art Episoden-Album entschieden, denn bei der Vielzahl an Beiträgen und den sehr unterschiedlichen Lebensumstände, unter denen die Lieder, Instrumentaltitel, Worte und Geschichten zustande kamen, musste eine gewisse Grundstruktur in der Auswahl der Titel her. So entstand ein Rahmen, der Zeit lässt und offen bleibt für die verschieden Tempi und Stimmungen eines Gruppenprozesses. Niemand wurde ausgebremst, keine Musikrichtung und kein Stil ausgeklammert. Klassik trifft hier mit natürlicher Selbstverständlichkeit auf Pop. "Sprachbarrieren reiben sich an Randnotizen und gemeinsam wird die Harmonie des Brüchigen erkundet. Der Mundschutz löst sich auf, wenn die Worte klingen. Erforscht wird ein Soundtrack, der Momente des Wartens der Unterbrechung zum Off-Beat umkodiert und Raum für Fragen aufmacht", beschreibt Müller die Basis der gemeinsamen Arbeit.

Kein Mensch wundert sich hier, wenn Masako Ohta, eine zeitgenössische Komponistin und Pianistin, die normalerweise in großen Konzertsälen auftritt, auf jemanden trifft, der mit Alltagsgegenständen Krach macht oder wenn Colin Djukic, ein Münchner Musiker, mit Kochlöffeln eine Free-Jazz-Performance trommelt und dabei von den Tränen seiner Kinder erzählt, die nicht verstehen, warum sie während des Lockdowns auf dem Spielplatz nicht mit anderen Kindern spielen dürfen. Hier griff Dietl zum ersten Mal zum Mikrofon und sang bei diesem Mantra im Stil von Leonard Cohen im Hintergrund mit.

Mit eingebracht haben sich auch die Bewohnerinnen des Horber Künstlerhauses. Star war die erst sechsjährige Tochter der finnischen Projektkünstlerin Mimosa Pale. Rauna heißt das Mädchen, das ganz spontan und ohne Konzept gut eine halbe Stunde aus ihrem Alltag erzählte. Sie war dabei dicht am Thema und beschrieb instinktiv, dass man nicht raus ins normale Leben darf. Ihre Mama ließ die Säge singen und spielte Akkordeon, während Helena Hartmann, die ausgebildete Sängerin, neben klassischen Gesangspartien selbstverfasste, politisch progressive Textelemente rezitiert. Müller trug zum Gelingen der Aufnahmen durch vielseitige Percussion – meist mit Alltagsgegenständen – bei.

Einnahmen für Sea-Watch

Insgesamt ist dieser erste Teil "die Hintergrundmusik zum inneren Film", so die Essenz dieser ersten Episode. Und solange bunte Balken beim Schneiden und Verknüpfen der einzelnen Tracks durchlaufen, ist Material für weitere Episoden da, freuen sich die Protagonisten aus dem Künstlerhaus, die noch für weitere Überraschungs-Projekte gut sind. Nun geht aber zuerst einmal das Alligator-Gozaimsu-Episoden-Album online an den Start.

Man kann die Tracks unter www.alligatorgozaimasu. bandcamp.com kaufen. Erste Höreindrücke gibt es ab Montag. In Episode Eins werden zunächst 17 Kollaborationen online veröffentlicht. Die gesamten Einnahmen werden an die zivile Seenotrettung Sea-Watch gespendet. Die klangliche Fortsetzung folgt dann monatlich bis Ende des Jahres.