Nach dem peinlichen Verhör auf der Schlossfeste Hohentübingen wurde Karsthans im Turmverlies der bei Backnang über dem Tal der Murr gelegenen Burg Reichenberg gefangen gehalten, wo sich seine Spur im Jahr 1525 während des großen deutschen Bauernkriegs im Nichts verliert. Foto: Schwarzwälder Bote

Heimatgeschichte: Wer war Karsthans? – Teil 3 / Aus der Schweiz führt sein Weg zurück nach Horb – und endet im Ungewissen

Seine Predigten am Oberrhein erregten Aufsehen, und ständig musste er auf der Hut sein: der Laienprediger Karsthans, der mit richtigem Namen Johannes Murer hieß und wahrscheinlich aus Horb stammte. Joachim Lipp erzählt die Geschichte des Karsthans, der selbst den reformationsfreundlichen Schweizern nicht behagte.

Horb. Karsthans betrachtete sich nicht als Ketzer und war bereit, sich jederzeit anhand der Heiligen Schrift berichtigen zu lassen. Dieses Anerbieten findet sich ebenfalls im Beschluss der Zwölf Artikel, den Sebastian Lotzer allerdings noch um eine salvatorische Klausel erweiterte: "Wenn sich auf Grund der Wahrheit der Schrift noch mehr Artikel finden sollten, die sich gegen Gott richten und eine Beschwernis für den Nächsten wären, so wollen wir sie uns vorbehalten und schon beschlossen haben." Nachdem Karsthans in Straßburg erneut für Unruhe gesorgt hatte, ließ ihn der Rat der Stadt am 15. September 1522 in den Turm werfen und am nächsten Morgen gegen Urfehde aus der Stadt verweisen.

Daraufhin soll sich Karsthans nach Aussage eines Zeugen, der Murer in Freiburg begegnet war, in Bern und anderswo in der Eidgenossenschaft aufgehalten haben. Einige Geistliche berichteten, dass Karsthans auf "zuricher gebiett der massen gehandelt und gepredigt" hätte, dass er selbst dem Züricher Rat nicht ganz geheuer war, weshalb die Beschützer des Reformators Huldrych Zwingli den Laienprediger gleichfalls ausweisen ließen. Das "Turning Swiss" des Karsthans gibt Anlass zu Vermutung, dass er wie Joß Fritz bezüglich eines allgemeinen Aufruhrs seine Hoffnung ebenfalls auf die Schweiz setzte. In Wirklichkeit war aber die Eidgenossenschaft lediglich ein Ideal, von dem in keinem Fall militärische Unterstützung zu erhoffen war.

Im Dezember 1522 taucht Karsthans wieder in Horb auf

Nachdem sich die Schweizer weder als Mitstreiter noch als Heilsbringer erwiesen hatten, tauchte Karsthans im Dezember 1522 eigenartiger Weise im kleinen Horb auf, wo er im Wirtshaus des Henslin von Nagold logierte. Vermutlich suchte der auf der Fahndungsliste der österreichischen Regierung stehende Johann Murer zunächst in seiner in der schwäbisch-österreichischen Grafschaft Hohenberg gelegenen Heimatstadt Unterschlupf, weil hier unter dem Landeshauptmann Graf Joachim von Zollern der antireformatorische Druck bislang noch nicht so stark ausgeprägt war wie in Freiburg oder den übrigen habsburgischen Vorlanden.

Für Horb als Geburtsstadt des Karsthans spricht auch der Umstand, dass er hier sehr schnell eine große Anzahl an Freunden fand und in relativ kurzer Zeit eine evangelische Gemeinde aufbauen konnte, sodass im September 1523 schon von einer "Zwayung der Briesterschaft und Underthanen zu Horb" die Rede war. Johannes Murer beschränkte seine Tätigkeit als Laienprediger aber nicht allein auf Horb, sondern zog in der ganzen Gegend zwischen den Höhen des Schwarzwalds und der Schwäbischen Alb umher, bis er Anfang März 1523 von einem den Amtmann vertretenden Keller namens Gabriel Loser in Balingen ob seines Predigens gefangen genommen wurde.

Wollte Lotzer sich selbst und Karsthans aus der Schusslinie bringen?

Am 4. März 1523 wurde Murer auf Befehl der österreichischen Regierung in Stuttgart zur peinlichen Befragung auf die Schlossfeste Hohentübingen verbracht. Im Namen von Erzherzog Ferdinand, dem Statthalter und Bruder von Kaiser Karl V., wurde Murer vorgeworfen, "das gemain onverstendig volck der verfierigen Lutherischen opinionen zu underweisen, in winckeln zu predigen, und under einem evangelischen schein, weg und ursachen zu ongehorsam wider die obrigkeit und pundschuhischer handlung aufzurichten und zu erwecken."

Dieser Vorwurf deckt sich allerdings in keiner Weise mit der ersten Flugschrift des Sebastian Lotzer von Horb. Anlass für Lotzers "hailsame Ermanunge an die Ynwoner zu Horw" war die Verhaftung des Karsthans verbunden mit der Sorge um die Zukunft der noch jungen evangelischen Horber Gemeinde. Vorgeblich war Lotzer von der Verhaftung des Karsthans sowie über dessen Charakter und Wirksamkeit nur durch seine Horber Landsleute unterrichtet worden. Diese hätten ihm auch bescheinigt, dass der ihm mutmaßlich unbekannte Karsthans nur Gottes Wort gepredigt und ausdrücklich vor Aufruhr und Empörung gegen die österreichische Obrigkeit gewarnt habe.

Hat Lotzer angesichts dieser Ungereimtheiten versucht, seinen gefangen genommenen Landsmann Johannes Murer und auch sich selbst aus der Schusslinie zu bringen? Die Verbindung eines lutherisch gesinnten Laientheologen mit einem angeblich revolutionären Laienprediger hätte die beiden aufgrund der hausgemachten Hysterie der österreichischen Behörden mit Blick auf das Wormser Edikt nämlich Kopf und Kragen kosten können. Oder lässt sich gar aus Lotzers Beziehung zu Karsthans ein Zusammenhang mit jenem geheimen 24-Männer-Bund erschließen, dessen Mitglieder jedenfalls bereit waren, sich für die Verbreitung der neuen evangelischen Lehre in Todesgefahr zu bringen?

Lässt man den Einschub weg, mit dem Lotzer in seiner Flugschrift eigens auf seine Horber Informanten verweist, dann kommt sogar eine gewisse Vertrautheit zum Tragen. Es scheint, als ob Sebastian Lotzer wusste, aus welchem Holz Johannes Murer geschnitzt war: "Karsthansen halb, das der gefangen leut, sol euch nit bekümeren. … So gilts im gleych, man toedt in oder laß in leben."

Bemerkenswerter Weise setzte Lotzer auf das Titelblatt seiner ersten Flugschrift als Motto ein Psalmwort aus dem kurzen Psalm 20, der als Gebet des Volkes für seinen König in Kriegsnot überschrieben ist: "Herr, wir wollen jauchzen zu deinem Heil und in deinem Namen Fahnen aufwerfen."

Selbst die Folter bringt nicht genug Beweise für eine Hinrichtung

Hat Lotzer dabei möglicherweise an die geheimnisumwitterte Bundschuhfahne des Joß Fritz gedacht, die bei den drei gescheiterten Aufstandsbewegungen stets eine bedeutungsvolle Rolle spielte?

Jedenfalls scheint die österreichische Obrigkeit trotz Anwendung der Folter nicht genügend Beweise für eine Hinrichtung erhalten zu haben, weshalb Karsthans von Hohentübingen zur sicheren Verwahrung auf die in der Nähe von Backnang gelegene Burg Reichenberg verbracht wurde. Als sich im Frühjahr 1525 der Helle Christliche Haufen formierte, erhielt der Forstmeister Christoph Gaisberg von der österreichischen Regierung die Anweisung, den eingekerkerten Karsthans in den Gewahrsam des Obervogts Dietrich von Weiler zu übergeben, da der herzogliche Forstamtssitz Reichenberg ohne militärische Besatzung war. Der Obervogt von Bottwar und Beilstein wurde aber am Ostersonntag 1525 bei der sogenannten Weinsberger Bluttat von einem Bauern erschossen, weshalb Forstmeister Gaisberg nach Stuttgart berichtete, dass er von den aufständischen Bauern eine wiederholte Aufforderung erhalten hätte, ihnen den gefangenen Karsthans zu bringen und zu übergeben.

Der allein auf sich gestellte Forstmeister, der den Aufforderungen der Bauern eine Absage erteilt hatte, entging allerdings der Vergeltung der Aufständischen, da der Helle Christliche Haufen auf seinem Zug die Burg Reichenberg links liegen ließ und sich vom Wunnenstein über Bietigheim direkt nach Süden in Richtung Stuttgart wandte. Bevor der württembergische Bauernhaufen zusammen mit dem Schwarzwälder Haufen am 12. Mai 1525 vor den Toren der Stadt Böblingen von den Truppen des Schwäbischen Bundes vernichtend geschlagen wurde, hatten die Aufständischen von der österreichischen Regierung die Freilassung des seit August 1523 auf der Burg Hohennagold gefangen gehaltenen Stuttgarter Stiftspredigers Johann Mantel erzwungen.

Nach seiner Befreiung Ende April 1525 war der im lutherischen Sinne predigende Mantel "fast blöd von der großen schweren Gefängniß", sodass er sich nicht mehr aktiv am Aufstand der Bauern beteiligen konnte. Ein Schreiben des Reichenberger Forstmeisters vom 20. April 1525 enthält die letzte Nachricht von Johannes Murer alias Karsthans, der zu diesem Zeitpunkt immer noch im Turmverließ der Burg Reichenberg dahinsiechte.

Johannes Murer und Sebastian Lotzer ereilte im Jahr 1525 das gleiche Schicksal. Ihre wirkungsmächtigen Spuren verlieren sich während des Bauernkriegs im Nichts. An den "evangelischen Bauernapostel, Laienprediger und Glaubensmärtyrer" erinnert die Karsthans-Kirche in Rosenfeld-Täbingen. Der Tod des Karsthans war Anlass für Täbingen, sich als einer der ersten Orte auf dem Kleinen Heuberg der Reformation anzuschließen.

Allerdings zählt die Evangelische Kirchengemeinde Täbingen laut Infotafel zu denjenigen, die Johannes Murer für einen gebürtigen Freiburger halten. In der im Internet weltweit abrufbaren Global Anabaptist Mennonite Encyclopedia Online (GAMEO) findet sich hingegen ein Artikel über Horb a. N.ckar, der mit dem Vermerk "a native of Horb" sowohl Sebastian Lotzer als auch Johannes Murer zu gebürtigen Horbern macht. Bis auf den heutigen Tag ist Johannes Murer alias Karsthans nicht nur in Bezug auf seine Herkunft eine äußerst rätselhafte Person geblieben.

Wer war der Prediger, der unter dem Pseudonoym Karsthans von sich reden machte? Joachim Lipp, Vorsitzender des Kultur- und Museumsvereins Horb, begab sich in dieser Serie, die mit diesem Teil endet, auf die Spuren dieses Reformers, der vielleicht zu den bislang noch weitgehend unbekannten großen Horber Persönlichkeiten zählt.