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Die Staatsanwaltschaft ist auch in der Berufung mit ihrem Ansinnen gescheitert, sogenannte Drittortschlägereien zwischen "Fußballfans" unter Strafe zu stellen.

Stuttgart - Es darf weiter geprügelt werden. Die Staatsanwaltschaft ist auch in der Berufung mit ihrem Ansinnen gescheitert, sogenannte Drittortschlägereien zwischen "Fußballfans" unter Strafe zu stellen.

"Nicht alles, was geschmacklos und unerwünscht ist, ist auch verboten", sagt Klaus-Günther Helwerth, Vorsitzender Richter der 42. Berufungskammer des Landgerichts Stuttgart. Seine Kammer hat das Urteil des Amtsgerichts Esslingen jetzt bestätigt.

 

Die Esslinger Richter hatten zwei 32 und 39 Jahre alte Freizeitprügler bereits im Juni 2008 vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung freigesprochen.

Es geht um gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Anhängern verschiedener Fußballclubs in ganz Deutschland, unter Insidern Matches oder dritte Halbzeit genannt. So trifft sich beispielsweise eine Abordnung der Legion Süd, gebildet aus Mitgliedern der Althooligans Neckarfils, der Neckarbrigade und dem Commando Cannstatt, in einem abgelegenen Waldstück mit einer gleichgesinnten Gruppe aus Dresden. Die beiden Teams gehen aufeinander los, schlagen sich die Nasen blutig, die Glieder blau und gehen danach ihrer Wege. Das Ganze wird auf Video gebannt und ins Internet gestellt.

Zehn solcher Matches aus den Jahren 2003 und 2004 gegen Frankfurt, Kaiserslautern, Hamburg, München, Kassel und so fort werden den beiden Angeklagten zur Last gelegt. Staatsanwalt Apostolos Milionis will die Familienväter, beide stehen in festen, langjährigen Arbeitsverhältnissen, in diesem Musterprozess wegen Körperverletzung bestraft sehen. Hunderte solcher Verfahren sind in ganz Deutschland anhängig, mehrere Dutzend allein in der Region Stuttgart. Die zuständigen Richter warten auf den Ausgang des Stuttgarter Musterprozesses.

Die zu klärende juristische Frage lautet: Ist die Zustimmung der einzelnen Prügler zur Teilnahme an den Matches sittenwidrig oder nicht? Wenn ja, dann könnten die verabredeten Schlägereien strafbar sein. In zweiter Instanz haben die Stuttgarter die Sittenwidrigkeit in Abrede gestellt. "Keiner ist gezwungen worden, die wollen alle", sagt Richter Helwerth. Der Bundesgerichtshof (BGH) sagt, man könne nur dann von Sittenwidrigkeit sprechen, wenn Regelverstöße die Regel und schwerste Verletzungen zu verzeichnen seien. "Das war in den zehn Matches, die wir auf Video gesehen haben, nicht der Fall", sagt Helwerth.

Die Prügeleien unterliegen tatsächlich festen Regeln. Die Gruppen bestehen aus 15 bis 30 Mann, es darf nur leichtes Schuhwerk getragen werden, Waffen sind verboten, auf am Boden Liegende darf nicht eingeschlagen werden. Es gibt drei Durchgänge, bei denen sich die Widersacher bis zu zwei Minuten lang attackieren. Ein Schiedsrichter überwacht die Prügelsequenzen. "Regelverstöße einer Stadt machen bundesweit die Runde und werden geächtet", sagt einer der Angeklagten. Und: "Stuttgart gilt als eines der fairsten Teams."

"Grobe Fouls sind nicht die Regel", haben die Richter festgestellt. Auch habe es bei den zehn Matches, die in der Berufung zur Debatte standen, keine Schwerverletzten gegeben. Bilanz: ein ausgekugelter Finger, zwei blau geschlagene Augen, zwei Platzwunden. "Das sind auch nicht alles Hooligans", so Richter Helwerth. Ein Teilnehmer habe sich beispielsweise als "Adrenalin-Junkie" bezeichnet. Beim Match Stuttgart gegen Kassel seien gar Trauzeugen gegeneinander angetreten. "Da geht es zuweilen regelrecht freundschaftlich zu", so der Richter - Umarmungen nach der Schlägerei inbegriffen.

Die Argumentation des Anklägers verfing nicht. Der Staatsanwalt sprach von gezielten Schlägen mit unkontrollierbaren Folgen, es komme regelmäßig zu Angriffen von hinten, zum Teil würden gefährliche Werkzeuge wie Quarzhandschuhe, Stöcke oder um Handschuhe gewickelte Dornen eingesetzt. Das habe sich in der Beweisaufnahme nicht bestätigt, so die Stuttgarter Richter. Deshalb müsse der Freispruch aus der ersten Instanz bestätigt werden, so die Berufungsrichter. "Uns ist bei Hunderten von Verfahren aus ganz Deutschland keine einzige Verurteilung bekannt", sagt Richter Klaus-Günther Helwerth.

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart will die Schlägereien, die sogenannte dritte Halbzeit, allerdings obergerichtlich entschieden haben. Deshalb wird sich das Oberlandesgericht Stuttgart in der Revision damit befassen müssen. Einen Erfolg könne Ankläger Milionis allerdings schon verbuchen, so Helwerth. "Seither ist es nicht mehr zu diesen Prügeleien gekommen."