Schüler sollen sich auch zum Thema Schwulenfeindlichkeit Gedanken machen Foto: dpa

Das Thema Homosexualität soll stärker in den Unterricht und in die Schulbücher, fordern zahlreiche Lesben und Schwule.

Stuttgart - Schwulenfeindlichkeit? Ist das heute überhaupt noch ein Thema? Ja, sagt Nuri Kiefer. Er ist Rektor einer Realschule in Pfinztal im Landkreis Karlsruhe, bekennender Homosexueller und engagiert sich im Arbeitskreis (AK) Schwulenpolitik der Lehrergewerkschaft GEW. „Schwul ist nach wie vor das schärfste aller Schimpfwörter – vor allem bei den Jungs“, sagt Kiefer. Eine Berliner Studie, die dieses Jahr öffentlich wurde bestätigt das. Viele Schüler sagen „schwul“, wenn sie etwas mädchenhaft oder einfach nur doof finden. Und nicht wenige Lehrer lachen mit, wenn in ihrer Klasse Schwulenwitze erzählt werden.

Schwulenfeindlichkeit versteckt sich demnach hierzulande hinter Sprüchen und Witzen. Das gelte ganz besonders für die Schulen, sagt Kiefer, und das liege hauptsächlich daran, dass man dort nicht offensiv aufkläre. „Schülerinnen und Schüler gewinnen durch diesen verdrucksten Umgang mit dem Thema den Eindruck, dass Homosexualität etwas Schlimmes sei“, sagt Kiefer.

Die grün-rote Landesregierung will das nach eigenem Bekunden ändern, zumindest haben beide Parteien nach dem Machtwechsel vor rund zwei Jahren folgenden Satz in ihren Koalitionsvertrag geschrieben: „Wir werden baden-württembergische Schulen dazu anhalten, dass in den Bildungsstandards sowie in der Lehrerbildung die Vermittlung unterschiedlicher sexueller Identitäten verankert wird.“

Derzeit werden vom Kultusministerium die Bildungspläne für alle Grundschulen und weiterführenden Schulen überarbeitet, die allesamt aus dem Jahr 2004 stammen. Die neuen Bildungspläne sollen ab dem Schuljahr 2015/16 gelten, und die Interessensvertreter von Lesben und Schwule drängen darauf, dass das Thema Homosexualität möglichst konkret und verbindlich in die Pläne reinkommt. Denn nur dann, sagt Kiefer, müssten auch die Schulbuchverlage reagieren, sagt Kiefer. Ihm schweben Schulbücher vor, die „nicht immer diese Bilderbuchfamilie mit Papa, Mama, Tochter, Sohn“ zeigen. „Es sollten auch gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften oder Regenbogenfamilien auftauchen.“

Im Kultusministerium gibt man sich aufgeschlossen

Bücher und andere Unterrichtsmaterialien sind für Kiefer der Schlüssel, um das Thema Homosexualität flächendeckend in die Schulen zu bringen. „Nur wenn das Thema in den Schulbüchern steht, kommen auch die Lehrer nicht mehr daran vorbei, es im Unterricht zu thematisieren“, sagt er. „Dann werden Fragen gestellt und dann müssen die Lehrer damit umgehen.“

Im Kultusministerium gibt man sich auf Anfrage aufgeschlossen: Man wolle den gesamten Themenkomplex „Prävention“ in den neuen Bildungsplänen als Leitprinzip verankern, so eine Ministeriumssprecherin. Vorrangig seien dabei die Themen Gewalt und Mobbing, aber auch Sucht und Gesundheit. Ein Ziel sei auch die Wertschätzung gegenüber der Vielfalt von sexuellen Identitäten und Orientierungen.

Kiefer will sein Anliegen aber nicht in einem Kessel Buntes wiederfinden: „Das reicht uns nicht, weil es zu breit und zu beliebig ist“, sagt er zu den Plänen des Ministeriums. Schon seit Monaten hadern er und seine Mitstreiter mit dem Ressort von Kultusminister Andreas Stoch (SPD). Sie fühlen sich von den Beamten nicht ernst genommen und versuchen daher, über die Regierungsfraktionen Druck auszuüben.

Für die SPD haben die Abgeordneten Florian Wahl (Sprecher für Gleichstellung und Toleranz) und Stefan Fulst-Blei (Vorsitzender des Arbeitskreises Bildung) vor kurzem ihrem Parteifreund Stoch detaillierte Vorschläge unterbreitet, wie das Thema Homosexualität in verschiedenen Unterrichtsfächern thematisiert werden könnte. Zugleich baten sie den Minister in dem Schreiben um enge Abstimmung mit einem vom Land eingesetzten Beirat, der unter Federführung des Sozialministeriums an einem Aktionsplan für Toleranz und Gleichstellung arbeitet. Denn ein Kernstück des Aktionsplans soll der Kampf gegen Schwulenfeindlichkeit an den Schulen werden.

Auch bei Lehrerausbildung soll das Thema Homosexualität vorkommen

Für die Grünen engagiert sich die Abgeordnete Brigitte Lösch in der Sache. Die Vizepräsidentin des Landtags drängt unter anderem darauf, dass der Umgang mit dem Thema Homosexualität mehr Raum in der Ausbildung der Lehrer erhält. Das Kultusministerium scheint bislang aber nur zu Änderungen in der (freiwilligen) Weiterbildung bereit zu sein. „Lehrer müssen geschult werden und sie müssen einschreiten“, sagt hingegen Lösch. Sonst bringe das Ganze nichts. Die Berliner Studie zeige, dass Information und Konsequenz wirksame Mittel seien, um Vorurteile bei den Schülern abzubauen. Lösch verweist darauf, dass Studien zufolge die Selbstmordrate bei homosexuellen Jugendlichen drei- bis siebenmal so hoch sei wie bei ihren heterosexuellen Artgenossen. Schwulenfeindlichkeit sei „nicht was Lustiges , das rasch wieder verschwindet“.