„Top Gun: Maverick“ ist pure Unterhaltung: Aber echte Kampfpiloten prüfen auf Youtube jedes Flugmanöver. Faktenchecks von Hollywood-Filmen liefern auch Mafiosi und Cops.
Der richtige Film zur richtigen Zeit kann Superstars schaffen. „Top Gun“ von 1986 etwa, dessen späte Fortsetzung „Top Gun: Maverick“ gerade im Kino gestartet ist, hat Tom Cruise ganz nach oben katapultiert – und gleich noch einen weiteren Superstar hervorgebracht: das Kampfflugzeug F-14. Dieser Jet wurde von „Top Gun“ mit allen Kniffs der Werbefotografie und des MTV-Stylings als geilstes Männerspielzeug aller Zeiten inszeniert.
Die Zahl junger Amerikaner, die sich zum Militär meldeten, weil auch sie ins Cockpit einer F-14 Tomcat kommen wollten, stieg nach Start des Films dramatisch an. Die sirenengesanghafte Faszination der alten Flugaufnahmen hält noch immer an, und so brachte „Top Gun“ Jahre nach seiner Erstaufführung eine neue Sorte Filmkritik hervor: den Youtube-Faktencheck.
Was ist Trick und was ist Fakt?
In beiden „Top Gun“-Filmen wird zwar viel getrickst. Aber etliche Aufnahmen dokumentieren auch riskante reale Flugmanöver. Doch was ist was? Laien können da nur zur Leinwand aufstaunen. Sie wissen ja auch nicht, was eine hochriskante, eher verbotene als erlaubte Flugvolte zwecks Schockwirkung war – und was ganz normale Kampffliegerroutine.
Darum haben sich gerade beim extrem populären „Top Gun“ viele Menschen mit Cockpiterfahrung zu Wort gemeldet. In zahllosen Videos nehmen Piloten und RIOs (Radar Intercept Officers) die Flugmanöver und Taktiken von „Top Gun“ und nun auch schon von „Top Gun: Maverick“ detailliert auseinander. Manchmal geht es auch um die Darstellung des Militärlebens überhaupt.
Lieber Geheimagenten als Schuhmacher
Die wenigsten dieser Faktenchecks sind miesepetrig oder vernagelt. Dass „Top Gun“ kein Dokumentarfilm ist, sondern Hollywood-Unterhaltung mit eigenen Zwängen, Möglichkeiten und Gesetzen, begreifen die meisten der Fachleute. Obwohl es unter den Experten, die mittlerweile viele Filme auf Authentizität abklopfen, auch Regelfanatiker, Kleingeister und Fantasielose gibt, die jede Abweichung von der Realität in einem Spielfilm als üblen Makel betrachten.
Allerdings ist es weniger die Arbeitswelt von Schuhmachern, Köchinnen, Supermarktbediensteten und Büroangestellten, die Experten auf den Plan ruft. Jedenfalls verbrieten die Youtube-Algorithmen solche Faktenchecks nicht, falls es sie geben sollte. Die erfolgreichen Film-und-Wirklichkeit-Vergleiche prüfen die Bilder von Leibwächtern und Scharfschützen, Geheimagenten und Panzersoldaten, Cops und Nahkampfexperten. Es geht ums Martialische und Kriegerische, um Abenteuerzonen jenseits des Alltags. Da scheint besonders zu interessieren, wie viel Realitätseinwaage in den Kinoträumen steckt. Der Ex-Navy-Seal Jocko Willink etwa bringt es mit einem Video schon mal auf 32 Millionen Aufrufe und mehr.
Kein Wunder also, dass auch ehemalige Gangster, oft gerichtsnotorische Killer in Rente, reihenweise erklären, wo Hollywood ihr früheres Milieu gut, halb oder gar nicht trifft. Einige dieser Typen schauen nicht nur von außen auf Hollywood drauf, sie sind auch im Vorfeld als Berater von Filmproduktionen zugange. Berater des Militärs hatte einst auch „Top Gun“-Regisseur Tony Scott an seiner Seite. mit ihnen lieferte sich der Filmemacher zähe Kämpfe. Immer wieder mussten sie ihm erklären, dass die von ihm gewünschten Bilder höchstwahrscheinlich zu einer tödlichen Kollision in der Luft führen würden – oder bestenfalls zum sofortigen Entzug der Fluglizenz für die beteiligten Piloten.
Nicht jeder Kinogeher oder Streamingnutzer will wissen, ob wirkungsvolle Filmbilder pure Fantasie oder bloß leicht gedopte Wirklichkeit sind. Aber auch wenn man im Einzelnen gar nicht an realen Geheimdiensttechniken, Militärgebräuchen und Flugphysik interessiert ist, hat das Überprüfen der Filme durch Fachleute etwas rührend Altmodisches. Denn die alles dominierenden Kinokassenherrscher von heute sind die Superhelden des Marvel-Universums. Und die sind per se von jedem Faktencheck befreit. Jedenfalls möchte man lieber nicht in einer Welt leben, in der eine Variante des Hulk in einem Youtube-Video erklären kann, wie nahe die Zerstörungsorgien aus Hollywood an seinen eigenen Wutausbrüchen liegen.