Eine Wärmepumpe von Bosch wird in einer Kältekammer erprobt. Bosch investiert eine Viertel Milliarde Euro in den Bau einer Wärmepumpen-Fabrik in Polen. Foto: Bosch

Wegen der geopolitischen Spannungen gewinnt die EU gegenüber Asien als Investitionsstandort an Bedeutung, vor allem Osteuropa rückt in den Fokus. Was bedeutet das für die Industrie im Südwesten?

Ob Bosch, Miele oder Mercedes: Die Traditionsunternehmen haben in den vergangenen Monaten immer wieder eine Verlagerung der Produktion und Investitionen angekündigt, Polen war dabei besonders beliebt.

 

Miele will seine Waschmaschinen statt in Gütersloh vom Jahr 2027 an vor allem in Ksawerów in der Nähe von Lódz produzieren. Bosch investiert eine viertel Milliarde Euro in den Bau einer Wärmepumpen-Fabrik in Dobromierz, östlich von Breslau. Der Autobauer Mercedes wiederum gibt mehr als eine Milliarde Euro für ein Werk für elektrische Lastwagen aus, das in Wałbrzych in der Nähe der tschechischen Grenze entstehen soll. Zieht die Produktion schleichend aus Deutschland ab?

Tassilo Zywietz, der bei der IHK Region Stuttgart den Bereich International verantwortet, beschäftigt sich schon seit rund 20 Jahren mit Produktionsverlagerungen. Zudem ist er Geschäftsführer der IHK Exportakademie, die Unternehmen bei der Internationalisierung unterstützt. Er ist also nahe dran an den Entwicklungen. „Das Thema wird auch gehypt“, meint er.

Die Industrie in Baden-Württemberg richtet sich neu aus

Und doch beobachtet Zywietz, wie sich auch die Industrie in Baden-Württemberg Schritt für Schritt neu ausrichtet. Zum einen ächze sie unter den Problemen: hohe Arbeitskosten, Fachkräftemangel, überbordende Bürokratie, hohe Energiepreise und Unternehmenssteuern. „Die Bedingungen sind im Ausland teils einfacher, das hängt aber auch von der Branche ab.“

Zum anderen gibt es derzeit viele Unsicherheiten – je nachdem, wo Unternehmen produzieren und woher sie Produkte importieren wollen. „Selten gab es parallel so viele geopolitische Spannungen wie aktuell“, sagt Jasmin Gröschl, Volkswirtin für Europaangelegenheiten bei der Allianz SE.

Gröschl hat mit anderen im Frühjahr 3200 Exportunternehmen in Europa, China und den USA zu ihren Lieferketten sowie wirtschaftlichen und geopolitischen Unsicherheiten befragt. Demnach sehen Unternehmen Lieferkettenschwierigkeiten und logistische Hürden als Top-Risiken, gefolgt von geopolitischen Risiken und hohen Energiekosten. Eine Studie des Capgemini Research Institutes zeigt, dass vor allem die größeren Unternehmen in Europa wie auch in den USA ihre Lieferketten und Fertigungskapazitäten näher an das Heimatland bringen oder bereits gebracht haben. Unter anderem wollten die Unternehmen damit auch ihre Klimaziele besser erreichen.

Viele Unternehmen denken über eine Verlagerung nach

In Deutschland denken laut Befragung 62 Prozent der Unternehmen über eine Verlagerung ihrer Produktion nach – der Anteil steigt, wenn Unternehmen längere Lieferketten oder eine besonders hohe Produktion im Ausland aufgebaut haben. Dabei geht es oft darum, Teile der Produktion von Asien zurück nach Europa zu verlagern.

Allerdings unternimmt derzeit nur jedes dritte befragte deutsche Unternehmen Schritte, die Produktion tatsächlich näher an Deutschland heranzurücken. Tendenziell wollten sich Unternehmen vor allem von China etwas weniger abhängig machen, sagt Gröschl. „In einigen Fällen ist es allerdings gar nicht so einfach, andere Lieferanten zu finden, vor allem was Kosten und Qualität betrifft. Bei Vorprodukten wie Chips ist die Abhängigkeit bereits zu groß.“

Der EU-Binnenmarkt gewinnt an Attraktivität

Die Suche nach sicheren und stabileren Lieferketten lässt den Binnenmarkt der Europäischen Union derzeit besonders attraktiv erscheinen: ein erprobter Wirtschaftsraum mit vergleichsweise wenig Bürokratie und vielen Fachkräften, der selbst in der Corona-Zeit funktionierte.

In der EU wiederum sind die osteuropäischen Länder mit vergleichsweise niedrigen Lohnkosten und Energiepreisen sehr interessant – insbesondere in energieintensiven Branchen wie in der Chemie sowie im Automobil- und Maschinenbau. Der Trend spiegelt sich auch in der Außenhandelsstatistik von Baden-Württemberg wider: Rumänien und Polen zählen in puncto Wachstum beim Export zu den Top 10. Bei den Einfuhren findet sich neben Rumänien die Slowakei unter den besten Zehn.

Außenhandelsexperte Tassilo Zywietz warnt davor, von Trends zu viel abzuleiten. In absoluten Zahlen hat die Bedeutung von China bei den Ausfuhren zwar abgenommen, wo es von Platz zwei auf Platz fünf ging – bei den Importen hat China seinen Spitzenplatz allerdings behalten. Nach wie vor werden Kraftwagen und Kraftwagenteile, Maschinen und Pharmazeutische Erzeugnisse am häufigsten importiert wie auch exportiert. So schnell verlagere kein Südwest-Unternehmen von China die Produktion nach Europa zurück, sagt Zywietz. Und noch weniger schnell von Deutschland ins Ausland. „Das geschieht nicht von heute auf morgen.“ Und wenn, könne es auch eine sinnvolle Lösung sein, nur Teile der Produktion von Deutschland in ein anderes Land auszulagern, um im Weltmarkt überhaupt noch konkurrenzfähig zu bleiben. „Das ist besser, als das Unternehmen zu schließen.“

Könnten die baden-württembergischen Unternehmen Teile ihrer Produktion aus dem Ausland direkt nach Deutschland zurückverlagern? „Das halte ich für eine Wunschvorstellung“, sagt Zywietz.

Für die aktuelle Produktion im Südwesten sieht der Außenhandelsexperte durchaus Chancen, wenn es etwa um Gebäude- und Klimatechnik, Luft- und Raumfahrt, Solar- oder Windkraft gehe.

Unternehmen holen Industrie wieder näher an ihren Heimatstandort

Blockbildung
Immer mehr Unternehmen denken darüber nach, Lieferanten näher an ihren Heimatstandort heranzuholen. Ein Grund ist die zunehmende politische Blockbildung infolge des Ukraine- und Israelkriegs und Handelsdifferenzen.

Nearshoring
Nähe kann hier zwei Dinge bedeuten. Einerseits ist sie geografisch gemeint (hier spricht man auch von „Nearshoring“). Andererseits kann sie sich auf ähnliche Rechts- und Wirtschaftssysteme beziehen – auch „Friendshoring“ genannt.