In Höfen steigt die Zahl der Corona-Infizierten. (Symbolfoto) Foto: Hoppe

Zahl der Infizierten in Höfen steigt durch Mitarbeiter der unter Quarantäne stehenden Firma Müller sprunghaft an.

Höfen/Enzkreis - Heiko Stieringer ist sauer. Oder ironisch ausgedrückt: "Ich bin total begeistert." Grund seiner "Begeisterung" ist der sprunghafte Anstieg von mit dem Coronavirus infizierten Personen in Höfen. Und woher dieser Anstieg kommt, ist für den Bürgermeister klar: "Alles war unter Kontrolle – und dann kam Müller."

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Rund 1100 Beschäftigte hat die Firma Müller Fleisch in Birkenfeld. Am vergangenen Donnerstag wurde der Betrieb wegen eines massiven Corona-Ausbruchs komplett unter Quarantäne gestellt. "Fast 350 Mitarbeiter der wegen eines Corona-Ausbruchs unter Quarantäne stehenden Firma Müller Fleisch in Birkenfeld wurden am Wochenende getestet. Bei weiteren 48 liegt ein positives Testergebnis vor; demnach sind nach heutigem Stand (Anmerkung der Redaktion: Montag, 20. April) insgesamt 139 Beschäftigte infiziert", teilt der Enzkreis in einer Pressemeldung mit. Weitere 200 Personen sind am Montag getestet worden.

Und das Problem der Firma wird auch zu einem Problem von Höfen. Denn viele der Gast- und Saisonarbeiter wohnen auch in der kleinen Enztalgemeinde. Bislang gab es dort drei Corona-Fälle, alle drei waren vermutlich genesen – Höfen galt somit als coronafrei. Bis vergangenen Donnerstag. Seither ist die Zahl von drei auf 24 hochgeschnellt, das entspricht, hochgerechnet auf 100 000 Einwohner, einer Infektionsquote von 1,33 Prozent. Eine höhere Vergleichsquote gibt es im Kreis Calw derzeit nur in Gechingen, wo ein Seniorenheim betroffen ist. "Ich freue mich, dass wir in der statistischen Hochrechnung nun sogar über dem Kreis Heinsberg sind", sagt Höfens Bürgermeister Heiko Stieringer sichtlich angefressen. Er habe es geahnt: "Wenn es einen aus dieser Personengruppe trifft, dann war klar, dass das eine Lawine lostritt."

Schwierige Wohnbedingungen befördern Corona-Ausbruch

Immer wieder gibt es Diskussionen, nicht nur in Höfen, um die Unterbringung der vielen – zumeist rumänischen – Arbeiter, die in der Fleischfabrik arbeiten, oft als Saisonkräfte und unter teils fragwürdigen Bedingungen in Gemeinschaftsunterkünften auf engstem Raum zusammenleben. Gerade diese schwierigen Bedingungen dürften diesen massiven Corona-Ausbruch befördert haben.

Für Stieringer und die Behörden ist es nun wichtig zu wissen, wie viele Infizierte in welchen Orten wohnen. Nur so könne man nachvollziehen, wer sich an die verhängten Quarantäne-Maßnahmen halte und wer nicht. Aber genau hier liegt das Problem: "Ich habe keine Ahnung, wie viele Müller-Mitarbeiter in Höfen wohnen. Da blickt man nicht mehr durch", sagt Stieringer. Deshalb sei es wichtig, dass die Firma nun so schnell wie möglich die Daten liefere. Aber: "Die schaffen es nicht, Personallisten herzubringen", wettert der Bürgermeister. Man habe leider nicht die Zeit, diese Liste zusammenzustellen, sei laut Stieringer die Auskunft der Firma in einer E-Mail gewesen. Stattdessen fordere die Firma in der E-Mail die Einwohnermeldelisten der einzelnen Gemeinden, um so über die gemeldeten Einwohner herausfinden zu können, wo die bei Müller – oder möglicherweise bei Subunternehmern – beschäftigten Personen denn nun wohnten.

Von vielen Betroffenen fehlt die Adresse

Zum einen seien diese aus Datenschutzgründen höchst vertraulich, außerdem sei das eine "bodenlose Unverschämtheit", so der Bürgermeister, der weiter sagt: "Für mich stinkt das zum Himmel." Für ihn wäre es wichtig, dass die Firma Müller mitarbeite, "aber da kommt nichts". Die Mitarbeit der Firma sei umso wichtiger, weil viele der Beschäftigten weder deutsch noch englisch sprächen, so Stieringer. Und so müssten die Arbeiter ihre Adressen beim Abstrich angeben. Problem dabei: "Die wissen teilweise selbst nicht, wo sie wohnen", sagt Stieringer. Andere Daten stammen von – oft veralteten – Einträgen in der Krankenversicherungskarte. Deshalb gebe es laut einer Liste mehrere Bewohner, die im ehemaligen Hotel Hirsch in Höfen wohnen würden – nur, dass das gerade an einen Investor verkauft wurde, renoviert wird und somit komplett leer steht.

Deshalb fordert Stieringer klar und deutlich: "Die müssen zwingend Listen liefern. Wenn sie dem nicht nachkommen, muss der Laden zugemacht und ein Status quo geschaffen werden." Und der Betrieb dürfe erst dann wieder aufmachen, wenn die Situation unter Kontrolle ist. "Das wäre mein Wunsch." Die Firma müsse nun kapieren, "dass es so nicht weitergeht". Dabei sei es ihm egal, ob die Firma 60 Prozent des baden-württembergischen Fleischmarkts beliefere und zur sogenannten kritischen Infrastruktur gehöre. "Ohne Schnitzel kann ich leben", wenn man dafür eventuell Todesfälle verhindern könne, sagt der sichtlich angefressene Schultes.

Denn er müsse sich von Bürgern anschreiben lassen, man tue nichts gegen die Ausbreitung. Dabei habe er "null Einfluss, ich kämpfe mit stumpfen Waffen. Das regt mich fürchterlich auf."

Pikantes Detail am Rande: Ein Pressesprecher oder Verantwortlicher der Firma war telefonisch nicht erreichbar, "aus Datenschutzgründen" dürfe man auch den Namen des Ansprechpartners nicht nennen. Eine schriftliche Anfrage beantwortete eine Münchner PR-Agentur: "[...]Die Gesundheit und der Schutz der Beschäftigten sowie die rasche Genesung der Betroffenen stehen für das Unternehmen an erster Stelle: Die Geschäftsleitung steht in engem Austausch mit dem zuständigen Landratsamt und den Gesundheitsbehörden und hat die Mitarbeiter über die aufgetretenen Infektionen sowie über die weiteren Schritte informiert.[...]" Antworten auf die Fragen, ob die Firma den Behörden bereits Adress-Listen von Mitarbeitern hat zukommen lassen, damit diese die Einhaltung der verordneten Quarantäne-Maßnahmen überprüfen können und ob im Gegenzug Listen der Einwohnermeldeämter angefordert wurden, um diese mit ihren Mitarbeiterlisten vergleichen zu können – und wenn ja, warum – blieben unbeantwortet.