Obwohl 230 seiner Mitarbeiter positiv auf das Coronavirus getestet worden sind, darf der Betrieb Müller Fleisch weiterhin produzieren. Foto: Deck

Gesundheitsamt und Bürgermeister schauen sich Unterkünfte an. Beschäftigte machen ängstlichen Eindruck. 

Höfen/Bad Wildbad/Birkenfeld - Auch Wochen nach dem Corona-Ausbruch bei Müller-Fleisch beschäftigt die Situation im Unternehmen und in den Unterkünften der Arbeiter die Region. Während der Enzkreis mitteilt, dass mittlerweile 283 der positiv getesteten Beschäftigten wieder gesund seien, hat Höfens Bürgermeister Heiko Stieringer gemeinsam mit dem Calwer Gesundheitsamt zwei Unterkünfte von Müller-Arbeitern besichtigt – mit ganz unterschiedlichen Ergebnissen.

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80 Müller-Beschäftigte sind in Höfen gemeldet und wohnen in insgesamt sieben Objekten, die allerdings manchmal in einem Gebäude sind und nur durch unterschiedliche Hausnummern getrennt werden. Zwei dieser Objekte wurden nun vom Calwer Gesundheitsamt in Augenschein genommen – gemeinsam mit Höfens Bürgermeister Heiko Stieringer. Und der machte durchaus unterschiedliche Erfahrungen.

"Ich war überrascht, weil das sehr, sehr aufgeräumt war", sagte er beispielsweise über eines der größten Sorgenkinder, das doch recht heruntergekommene Gebäude in der Hindenburgstraße 8 und damit direkt an der Bundesstraße, in dem 16 Müller-Beschäftigte gemeldet sind. Das könne, so Stieringer weiter, aber natürlich auch daran gelegen haben, dass der Besuch angekündigt gewesen sei. Und so sei keine einzige Wodka- oder Bierflasche zu sehen gewesen. Dagegen seien frische Mülltüten, Desinfektionsmittel sowie Hygienehinweise vorhanden gewesen, die Mitarbeiter hätten Mundschutz getragen.

Mitarbeiter machen auf Bürgermeister "ängstlichen" Eindruck

Im Vergleich zu den Zuständen im ehemaligen Hotel Hirsch sei es "in Ordnung" gewesen, auch wenn es laut Stieringer "sehr auffällig" war, "dass keine einzige Flasche mit Alkohol" gefunden worden sei. Auffällig war laut Stieringer ebenfalls, dass die Mitarbeiter sehr verängstigt gewesen seien und nur der Ansprechpartner des Subunternehmers gesprochen habe, der die Arbeiter zum einen an Müller vermittelt und zum anderen auch als Mieter der Wohnungen auftritt und diese an die Mitarbeiter weiter vermietet.

Das Gesundheitsamt sei vor allem unterstützend dabei gewesen, um über die notwendigen Hygienemaßnahmen auch in der Sprache der Arbeiter aufzuklären. Sie hätten aber auch festgestellt, dass bei zehn gemeldeten Bewohnern einer Fünf-Zimmer-Wohnung (von der Stieringer nur vier zu Gesicht bekommen habe – das andere sei mit Vorhängeschloss versperrt gewesen) mit lediglich einem Bad, zwei Toiletten, teilweise vier Betten in einem Schlafzimmer sowie einem Gemeinschaftsraum Distanz und die nötigen Abstände nicht gegeben seien. Deshalb sei es auch wichtig gewesen, dass die positiv Getesteten in Sammelunterkünfte gebracht worden seien, so Stieringer weiter.

Die Kooperation mit dem Subunternehmer sei gut gewesen. Dennoch habe er darauf hingewiesen, dass die Melderegister stimmen müssten und die Arbeiter, die teilweise nur drei bis sechs Monate da seien, ordentlich an- und auch wieder abgemeldet werden.

Als rundweg "vorbildlich" bezeichnete Stieringer dagegen das Gebäude in der Bahnhofstraße 24: alles Einzelzimmer mit eigenen Nassbereichen, die allesamt vom Eigentümer direkt an die Bewohner vermietet werden – also ohne den Zwischenschritt über einen Subunternehmer. Überhaupt hatte Stieringer den Eindruck, dass dort Mitarbeiter wohnen, die direkt bei Müller angestellt seien. "Die Leute sind länger da und integriert. Das funktioniert", sagt er. Die Menschen seien hier betreut und würden die Hilfe auch annehmen, ist er voll des Lobes über die Vermieter und Bewohner dieses Hauses: "Den Unterschied kann man erkennen. Das sind Objekte, so kann es funktionieren". Und er fügt an: "Da könnten sich die Subunternehmen eine Scheibe abschneiden". Aber dann funktioniere deren Geschäftsmodell möglicherweise nicht mehr, denn es liegt die Vermutung nahe, dass diese sowohl an den Arbeitgebern als auch an der Vermietung der Wohnungen verdienen. Da müsse man dann eigentlich wieder die Firma Müller mit ins Boot nehmen und die Frage stellen, warum die Leute überhaupt über Subunternehmer beschäftigt sein müssen und nicht gleich direkt fest angestellt würden.

Von den 80 Müller-Beschäftigten, die in Höfen wohnen, waren laut Stieringer 28 positiv getestet. Aktuell seien noch vier Menschen infiziert, die aber mittlerweile alle im Pforzheimer Hohenwart-Forum untergebracht seien.

Obwohl es bei Müller derzeit einen Einstellungsstopp gebe, seien laut Medienberichten in Bad Wildbad 28 neue Mitarbeiter gemeldet worden, die über einen Subunternehmer bei Müller arbeiten würden. "Bei den von Bad Wildbads Bürgermeister Klaus Mack erwähnten Menschen handelt es sich um Arbeitskräfte, die seit Ende April bei Müller Fleisch arbeiten", sagt Landrat Bastian Rosenau. Das habe ein Abgleich der Daten ergeben. Alle seien zudem bei der zweiten Reihentestung vergangene Woche auf Corona untersucht worden, teilt der Enzkreis weiter mit.

Mehr als 70 Prozent wieder gesund

Von den 399 Beschäftigten, die bei Müller Fleisch seit dem 7. April positiv getestet wurden, seien mittlerweile 283, also mehr als 70 Prozent, wieder genesen, heißt es in der Pressemeldung weiter. Neben den 82 in der vergangenen Woche neu identifizierten Virus-Trägern stünden somit noch etwa 30 aus der ersten Testreihe unter häuslicher Quarantäne oder seien in Hohenwart untergebracht: "Bei ihnen musste die Quarantäne verlängert werden, weil sie noch nicht symptomfrei waren", sagt Brigitte Joggerst, Leiterin des Gesundheitsamtes des Enzkreises.

Auf die Zahl der mittlerweile wieder gesunden Mitarbeiter weist auch Müller Fleisch in einer Pressemitteilung hin: "In der bundesweiten Berichterstattung werden die Zahlen der infizierten Beschäftigten, die in der Fleischbranche tätig sind, immer wieder addiert. Das verzerrt das objektive Bild über das Infektionsgeschehen in den einzelnen Betrieben", sagt Martin Müller, Geschäftsführer von Müller Fleisch. Ihm sei wichtig, "dass wir verantwortungsvoll mit diesen Daten umgehen und unterscheiden deshalb sehr genau zwischen Neuinfektionen, Quote und genesene Beschäftigte". Mit dem Landratsamt des Enzkreises sei vereinbart worden, dass bis Ende dieser Woche "in enger Abstimmung der ›Pandemieplan 2.0‹ entwickelt und parallel bereits umgesetzt wird".

Darauf ist man beim Enzkreis besonders gespannt. Mit dem ›Pandemieplan 2.0‹ bei Müller Fleisch verbindet man im Landratsamt die Hoffnung auf einen generellen Richtungswechsel in der Fleischindustrie: "Wir müssen nachhaltig denken und brauchen eine langfristige Lösung, damit das gleiche nicht in sechs Monaten wieder passiert", hatte Landrat Rosenau schon Anfang der Woche gesagt und dabei ausdrücklich die Unterbringungs-Situation eingeschlossen: "Wir wissen, dass die Wohnverhältnisse die Infektionsketten fördern."