Christopher Rühr (Mitte) in Aktion – er steht mit den deutschen Hockey-Herren im Halbfinale der Olympischen Spiele von Paris. Foto: imago/Eibner

Christopher Rühr spielt mit der deutschen Hockey-Nationalmannschaft an diesem Dienstag um den Einzug ins Finale der Olympischen Spiele von Paris. Was daran erstaunlich ist? Er tut das mit gerissenem Kreuzband.

Sie waren geschafft. Sie waren noch aufgewühlt – auch wegen strittiger Schiedsrichterentscheidungen. Aber vor allem waren sie: glücklich. Die deutschen Hockey-Männer hatten Argentinien mit 3:2 geschlagen und stehen nun im Halbfinale des olympischen Turniers von Paris. Was für diesen Sport, der immer wieder Medaillen und Siege produziert hat, vielleicht gar nicht mal so überraschend ist. Zumal dieses aktuelle Team Anfang 2023 auch Weltmeister geworden ist. Dass die Nummer 17 der deutschen Mannschaft Teil dieses Erfolgs in Paris ist, konnte dagegen keiner ahnen. Nicht einmal Christopher Rühr selbst.

„Im Moment der Verletzung war für mich eigentlich klar, dass ich nicht hier in Paris stehen werde“, sagte der Offensivspieler am Sonntagabend nach der Partie gegen Argentinien. Denn das, was da zu Beginn dieses Jahres passiert war, ist für Sportler meist der GAU – zumal in einem Olympiajahr.

Just in jenem Spiel, das der deutschen Mannschaft die Olympiateilnahme sicherte, riss sich der 30-Jährige das Kreuzband im linken Knie. Trotz des erreichten sportlichen Ziels „war die Frustration riesig“, erinnert sich André Henning. Der Bundestrainer sagt aber auch: „Christopher war dann aber der Erste, der gesagt hat: Das Ding ist noch nicht durch.“ Das Problem war nur: Unterzieht er sich einer Operation, ist es quasi unmöglich, bis zur Olympiavorbereitung gesund und fit zu sein.

Also probierte es Christopher Rühr einfach ohne.

In Paris erinnert eine große Orthese daran, dass der Weg des nun 199-maligen Nationalspielers zu den Spielen 2024 kein gewöhnlicher war. Ansonsten? Ist Rührs Spiel die spezielle Vorgeschichte nicht anzumerken. Sprints, Richtungswechsel, Zweikämpfe, Pässe, Schüsse – und auch schon Tore: „Dass er hier so gut spielt, ist phänomenal“, sagt André Henning.

Reha-Programm aus der „Champions League“

Möglich machte das ein Reha-Programm, das logischerweise darauf ausgelegt war, das lädierte Knie bestmöglich zu stabilisieren. Und das von Spitzenkräften begleitet wurde. „Ein Champions-League-Programm“, nennt es der Bundestrainer. Spezialisten „aus dem oberen Regal“ sah der Medizinstudent Rühr an seiner Seite. Unter anderem in der Reha-Abteilung des Fußballmeisters Bayer Leverkusen. Alle gemeinsam profitierten sie davon, dass im linken Knie des Hockeyspielers ausschließlich das Kreuzband verletzt worden war. Dennoch war klar: Gibt es Rückschritte oder Komplikationen, geht der Zeitplan nicht auf.

Die gab es allerdings nicht. „Auf dem Weg hat sich relativ schnell herausgestellt, dass ich immer wieder super Schritte nach vorne mache“, erzählt Rühr – bei dem die Zweifel entsprechend schnell verflogen sind. Nun, ein halbes Jahr nach der Verletzung, konstatiert er: „Er lief besser als erwartet.“ Was wiederum den Bundestrainer freut. Weil er seine Nummer 17 so gerne im Team hat.

„Er ist ein toller Typ, ein wichtiger Charakter in der Mannschaft“, lobt André Henning, „und er hat so eine hohe Willenskraft.“ Jeden Tag im vergangenen halben Jahr habe Rühr „trainiert wie ein Wahnsinniger“. Weil er Teil dieser Mannschaft bleiben wollte, die so wahnsinnig gerne Gold gewinnen würde. Aber: Bevor um die schönste der Medaillen gespielt werden kann, muss noch etwas zurechtgerückt werden.

Im Halbfinale trifft Deutschland an diesem Dienstag (19 Uhr) auf Indien – den Kontrahenten aus dem Match um Bronze bei den Spielen von Tokio vor drei Jahren. Damals führte das Team des Deutschen Hockey-Bundes (DHB) bereits mit 3:1 – verließ Japan am Ende aber mit leeren Händen. „Auf Tokio schaue in sehr ungern zurück“, sagt daher Rühr. Und macht es dann dennoch.

Erneutes Duell mit Indien

„Ich hoffe, wir haben aus unseren Fehlern gelernt“, sagt er – und ist sich dessen eigentlich recht sicher: „Wir haben uns seitdem krass weiterentwickelt.“ Der Bundestrainer, damals noch nicht im Amt, sieht sein Team vor allem mental „irre“ stark. Das habe auch das Match im Viertelfinale gegen Argentinien eindrucksvoll bewiesen. Auch er sagt: „Wir haben uns auf vielen Ebenen entwickelt.“ Unter Druck zeige die Mannschaft einfach stets die besten Leistungen.

Der Druck wird nicht kleiner im Halbfinale. Aber die teils sehr erfahrene Mannschaft sollte auch gegen Indien damit umzugehen wissen. Zu den Routiniers gehört auch Christopher Rühr. „Er“, betont der Bundestrainer André Henning, „ist für uns Gold wert.“

Auch mit gerissenem Kreuzband.