Die Hochschule Albstadt-Sigmaringen hat am Dienstag einen Saal im Erdgeschoss für eine ganz spezielle Kunstausstellung und deren Vernissage zur Verfügung gestellt und dazu noch einen Teil der Exponate beigesteuert. Es ging um – Schuhe.
Die Initiative zu der Eintagsschau war von der Robert-und-Margaretha-Mager-Stiftung gekommen, die regelmäßig Ausstellungen mit Werken von Künstlern mit Behinderung veranstaltet – nicht nur, aber auch in Albstadt, wo der stellvertretende Stiftungsvorsitzende Rainer Mänder einst Erster Bürgermeister war und die Lebenshilfe, deren Vorstandschef der Stiftungsgeschäftsführer Holger Klein ist, Werkstätten und Wohnheime betreibt.
Bei der Sparkasse Zollernalb war man schon und in der Albkult-Halle in Lautlingen auch – diesmal hatte man die Hochschule als Gastgeber engagiert und sich dafür ein künstlerisches Projekt ausgesucht, das dem Genius Loci entgegenkam.
Auch Schuhe sind Textilien, die bemalt werden können
Welches? Hochschule – da liegt, zumindest in Albstadt, die Assoziation mit dem Themenkomplex Textil nahe, zu dem ja längst viel mehr gehört als nur Konfektion, Trikot und Dessous: Schuhe, zumal Chucks, sind ja letztlich auch Textilien. Umso geneigter war Rektorin Ingeborg Mühldorfer, einen Abend lang den vollverglasten Saal an der Nordostfront des Haux-Parterres für die Präsentation von insgesamt 17 Paar Turnschuhen zur Verfügung zu stellen, die zehn Künstlerinnen und Künstler mit Behinderung unter Anleitung des Exil-Gambiers und Wahl-Balingers Baba Cham farbenfroh bemalt hatten.
Nicht weniger fantasievoll als diese Arbeiten fielen die Namen aus, die Barbara Bühler, Madeleine Rist, Kristin Geppert, Petra Mayer, Stephan Wenzel, Peter Weller, Jochen Weber, Christoph Höpfel, Ralf Kahlke und Inga Bitzer danach ihren Kreationen verliehen: „Flitterwochen“ waren darunter und „Paradiesvogel“, „Papaschlumpf“ oder „Die belgische Imma“.
Hochschule Albstadt-Sigmaringen war sofort mit an Bord
An der Hochschule war die Idee, Schuhe zu designen, auf fruchtbaren Boden gefallen: Zu den 17 Chuck-Paaren kamen weitere 23 Schuhkreationen hinzu, die 18 Bachelor- und fünf Masterstudenten und -studentinnen zu der Ausstellung beisteuerten. Ihr Spektrum war etwas weiter gestreut, neben Turnschuhen befanden sich auch plateaubesohlte Highheels und halboffene Varianten im Angebot.
Die Variabilität fiel den jungen Leuten umso leichter, weil sie nur den kleineren Teil ihrer Entwürfe als tragbare Modelle präsentierten und den größeren digital auf dem Bildschirm. Bei der Visualisierung waren sie von Hochschulprofessor Christian Kaiser betreut worden; denen, die dem Schustern und der Haptik den Vorzug gaben, ging Professor Sven Gerhards zur Hand.
Es war das erste Mal, dass die Kunst an der Hochschule Gastrecht erhielt – und es wird, wie Ingeborg Mühldorfer zu ihrem eigenen Leidwesen einräumen musste, auch in Zukunft nicht so oft vorkommen: Kunst hat auch einen materiellen Wert, Ausstellungsexponate müssen versichert sein, und das Land stellt seinen Bildungseinrichtungen dafür kein Geld zur Verfügung.
„Jeder Mensch hat Talent, Wert, Stimme“, sagt Holger Klein
Im Falle dieser Ausstellung spielte das aber keine Rolle – die Aussteller, froh, ein Forum für ihre Kunst gefunden zu haben, waren gerne bereit, für diesen einen Abend das Risiko einzugehen und ihre Arbeiten unversichert zu präsentieren.
Dies umso lieber, da sich ihnen fünf Tage vor den Wahlen die Gelegenheit bot, ein Zeichen zu setzen – für Diversität und Inklusion, gegen Intoleranz und Demokratiefeindlichkeit. Mühldorfer erklärte in ihrer Ansprache, jeder Mensch besitze eine Vielzahl von Talenten und Fähigkeiten; wenn er in einer davon beeinträchtigt sei, dann habe dies für die anderen noch gar nichts zu bedeuten.
Holger Klein pflichtete ihr bei: Jeder Mensch habe Wert, Talent, Stimme; nur wollten einige das nicht begreifen – erst jüngst sei auf die Eingangstür der Mönchengladbacher Lebenshilfe ein Ziegelstein geworfen worden, der mit den Worten „Euthanasie ist die Lösung“ beschriftet war, und auch im Ebinger Zieglerhof sei unlängst ein Hakenkreuz-Graffiti aufgetaucht. „Treten Sie diesem Ungeist entgegen – auch am Wahlsonntag!“