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Chiligenuss ist wie Bungeejumping, nur ungefährlich. Die Schote belebt den Alltag mit kleinen Kicks.

Stuttgart - Chiligenuss ist wie Bungeejumping, nur ungefährlich. Die Schote und andere Scharfmacher wie Ingwer, Pfeffer und Senf aktivieren die Schmerzsensoren, lösen kurzzeitig Stress aus und beleben so den Alltag durch kleine Kicks. Nicht nur deshalb serviert uns die Lebensmittelbranche immer öfter Feuriges.

Scharfe Speisen fallen (sofern serviert) in die Kategorie Erlebnisgastronomie - ganz ohne Zauberei, Zirkusnummer und Begleitmusik. Das Spektakel ereignet sich im Verborgenen: Bestandteile der ätherischen Öle wie das in Chili enthaltene Capsaicin lösen einen als an- und abschwellendes Brennen wahrnehmbaren Schmerzreiz aus. Die scharfen Moleküle docken an den auf der Zunge gehäuft auftretenden Hitzerezeptoren an und setzen im Gehirn eine Reihe von Reaktionen in Gang. So wird zum Beispiel das Stresshormon Adrenalin ausgeschüttet: Das Herz pocht schneller, um fix an Energie zu kommen, läuft der Fettabbau auf Hochtouren, die Durchblutung steigt, der Teint wird rosig, die Schleimhäute schwellen an, die Nase beginnt zu laufen, die Augen werden feucht, auf der Stirn bilden sich Schweißperlen.

Schön wird's, wenn der Schmerz langsam nachlässt. Dann machen sich die Endorphine bemerkbar - Glückshormone, von denen der Organismus ebenfalls eine Extraportion bereitgestellt hat, damit der Mensch vor dem Höllenfeuer im Mund- und Rachenraum nicht kapituliert. Was bleibt, nennen Experten Pepper-High, das Hochgefühl nach dem Verzehr von Scharfem.

Es stellt sich nicht nur nach dem Genuss indischer, thailändischer und mexikanischer Speisen oder mit dem Biss in ein Brot mit frisch aufgeschnittenem Rettich ein, sondern immer häufiger auch nach dem Konsum von Schokolade, Marmelade, Eiscreme, Brot und alkoholischen Cocktails. Immer öfter werden Genuss- und Nahrungsmittel durch Chili, Pfeffer, japanischen Wasabi-Meerrettich und Ingwer verschärft. Was früher unseren Gaumen sanft umschmeichelte, soll nun so aufregend wie eine Achterbahnfahrt sein. Schließlich will der moderne Mensch für sein Geld heute nicht mehr unbedingt viele Kalorien, aber dafür intensive Erlebnisse haben.

Die Lebensmittelbranche ist überzeugt davon und vernimmt den Ruf der Zeit: Wenn schon weniger essen, dann bitte mit mehr Geschmack. Zudem steht schon genug Zuckersüßes und stark Gesalzenes in den Supermarktregalen. Beide Geschmacksrichtungen sind durch die Diskussion um gesündere Lebensmittel in Misskredit geraten. Also versucht uns die Nahrungsmittelindustrie nun mit einer Prise Höllenfeuer zu betören. Man könnte fast meinen: Scharf ist das neue Süß.