Anne Erbelding unterwegs mit ihrem modernen Rolli in den Kitzbühler Alpen Foto: Beutl

Eine tückische neurologische Krankheit fesselt die 61-jährige Anne Erbelding an den Rollstuhl. Trotzdem erklimmt sie eigenständig Berge im Allgäu und hoch über Kitzbühel. Und war sogar an einem Weltrekord beteiligt.

In 48 Minuten auf einer Strecke von sieben Kilometern mit 18 Kehren und einer durchschnittlichen Steigung von 12,5 Prozent 876 Höhenmeter überwunden – und das auch noch in den österreichischen Alpen hoch über Kitzbühel. Was wie das Datenblatt eines Profi-Radfahrers klingt, das kann Anne Erbelding aus Hochdorf vorweisen. Sie sitzt im Rollstuhl. Das alles kommt natürlich nicht von ungefähr.

 

Die Krankheit und der Rollstuhl, in dem sie deswegen sitzen muss, schränken die Hochdorferin ein. Doch das wollten sie und ihr Mann Werner nicht einfach so stehen lassen und suchten nach Möglichkeiten mobiler zu werden – nicht nur im Haus, sondern auch draußen im Freien. Irgendwann stießen sie auf eine kleine Firma aus Kirchheim/Teck mit Namen Frankie.

Was ein Rollstuhl mit „Bonanza“ zu tun hat

Im Netz treten sie als „Fachgeschäft für Rollstühle“ auf. Doch das was auf den ersten Blick unscheinbar daherkommt, das hat es in sich. Gemeinsam mit einer österreichischen Firma aus Waldhausen ist ein Start-up-Unternehmen entstanden, dessen Namen einige aus der Fernsehserie „Bonanza“ kennen dürften: „Hoss Mobility“ (Hoss Cartwright ist eine der Hauptfiguren der Serie).

Mit der Rolli-Gruppe ging es bis hinauf zum Alpenhaus. Foto: Beutl

Und dieses Unternehmen hat den „Hoss“ entwickelt und 2021 auf den Markt gebracht. Dieser „Hoss“ ist ein einachsiger Elektro-Rollstuhl, der zunächst einmal an ein Segway erinnert. Er wird komplett über einen Joystick gesteuert – selbst Contergan-Opfer mit kurzen Armen können ihn fahren.

15 Stundenkilometer sind locker drin

Eine Steuerung über Gewichtsverlagerung – wie beim Segway – ist nicht nötig. Auch Stützräder braucht er nicht. Alles läuft automatisch oder über den Joystick. Und mit dem Fahrzeug ist man flott unterwegs. 15 Stundenkilometer sind locker drin. Was natürlich zur Folge hat, dass „Hoss“ auch angemeldet werden muss und ein eigenes Nummernschild braucht.

Und man ist damit auch nicht zwingend auf Straßen angewiesen, auch auf Schotterpisten oder Wald- oder Wanderwegen soll es keine Probleme geben. Was Anne Erbelding übrigens bestätigt.

Und dann hieß die Wahl: Hoss oder Photovoltaik?

Einen Haken hat die Sache denn doch: So ganz günstig ist „Hoss“ nicht. Eine deutlich fünfstellige Summe wird dafür schon fällig. Und die Kassen unterstützen die Innovation nicht. Als die Erbeldings auf „Hoss“ gestoßen waren, war das natürlich Thema. „Damals wollten wir auch eine Photovoltaik-Anlage auf unser Haus machen. Und dann hieß die Wahl: Hoss oder Photovoltaik?“, erzählt Werner Erbelding. Die Wahl fiel auf „Hoss“.

So manche Kehre überwand die Rolli-Gruppe. Foto: Beutl

Eine Wahl, die die beiden Hochdorfer zu keinem Zeitpunkt bereut haben. Diesen Eindruck vermitteln sie jedenfalls in jeder Minute des Gesprächs mit der Redaktion. Sie waren mit diesem Entschluss übrigens unter den Ersten überhaupt: Ihr „Hoss“, den sie übrigens „Bodo“ nennen, hat die Seriennummer 33 und ist seit 2021 fast 5000 Kilometer gelaufen.

Mal schnell von Hochdorf auf den Nagolder Wochenmarkt

„Was damit plötzlich alles an Lebensqualität möglich ist, ist enorm“, erzählt Anne Erbelding und lächelt. „Das macht einfach so happy.“ Mal schnell mit „Hoss“ von Hochdorf auf den Nagolder Wochenmarkt und zurück – alles kein Problem. Oder mal nach Horb auf den „Rauschbart“ oder nach Rottenburg oder die Wurmlinger Kapelle. In den meisten Fällen mit Mann Werner, der sie dann auf seinem E-Bike begleitet. Für weitere Touren ist der eigene VW-Bus entsprechend umgebaut werden. Einfach in den Bus fahren und die Tour kann losgehen – mal ins Allgäu und mal nach Kitzbühel.

Im Nobel-Skiort in Österreich fand in diesem Jahr ein Event der Hersteller-Firma statt. 20 „Hoss“-Fahrer sollten dort drei angenehme Tage verbringen. Anne Erbelding wollte erst gar nicht so recht: „Da sind dann ja nur Behinderte, die über Behinderung reden“, befürchtete sie. Doch sie ließ sich überreden. Und hat es nicht bereut.

Bei den Autofahrern gab es nur positive Reaktionen

Jeder der 20 „Hoss“-Piloten oder -Pilotinnen suchte sich samt Begleitung ein eigenes Quartier. Und jeden Morgen traf man sich an einer bekanntesten Ski-Pisten der Welt: an der Talstation der „Hahnenkamm-Bahn“. Von dort ging es an drei Tagen auf Tour: An Tag eins nach Aschau. Die Gruppe fuhr im Pulk durch den Ort. Die Autofahrer zeigten sich davon alles andere als genervt: „Bei denen gab es nur positive Reaktionen“, erinnert sich Werner Erbelding, der natürlich mit seinem Rad auch dabei war.

Die Laune war bestens bei der Tour rund um Kitzbühel. Foto: Beutl

An Tag zwei folgte der bereits erwähnte Weltrekord: In 48 Minuten wurden auf einer Strecke von sieben Kilometern mit 18 Kehren und einer durchschnittlichen Steigung von 12,5 Prozent 876 Höhenmeter überwunden – hinauf zum in einer Höhe von 1670 Meter gelegene „Alpenhaus“ auf dem Kitzbühler Horn, das in den vergangenen Jahren das Ziel der Königsetappe bei der Österreich-Radrundfahrt war. Ein kleiner Hinweis für die Technik-Fans: Für die Tour auf 1670 Meter brauchte „Hoss“ noch nicht einmal die Hälfte seines Akkus.

Unterwegs zu Kitzbühels Promi Hotspot

Für den Promifaktor sorgte Tag 3. An dem ging es in „Rosis Sonnenbergstuben“ in Kitzbühel. Ein echter Promi Hotspot. Ob „Terminator“ Arnold Schwarzenegger, Alpenrocker Andreas Gabalier, Ex-Kanzler Sebastian Kurz oder die Geissens – sie alle waren schon Rosis Gäste.

Nach drei Tagen ging es zurück ins heimische Hochdorf. Und Anne Erbeldings Befürchtung war übrigens nicht eingetreten: „An den drei Tagen hat niemand über seine Handicaps gesprochen“, erinnert sie sich. „Es war die totale Begeisterung.“