Thomas Schnabel, Leiter des Hauses der Geschichte Foto: Kraufmann

Wie gehen Orte mit einstigen Ehrenbürgern um, die einerseits Verdienste haben, andererseits ins Nazi-Regime verstrickt waren? Die Gemeinde Remshalden zeigt, wie’s gehen könnte.

Stuttgart - Eine Nachricht vom Mittwoch, die neugierig macht: „Friedrichshafen entzieht Hitler Ehrenbürgerwürde.“ Mitte November ließ eine andere Nachricht aufhorchen: „Hitler immer noch Ehrenbürger in Neckartenzlingen.“ So unterschiedlich gehen Orte mit Geschichte um.

Einige, wie Neckartenzlingen, stehen auf dem Standpunkt, die Ehrenbürgerwürde für Adolf Hitler müsse nicht eigens aberkannt werden, weil sie nach damaliger Rechtslage mit dessen Tod erloschen sei. Viele andere, wie jetzt Friedrichshafen, legen Wert darauf die Ehrenbürgerschaft aus den Annalen zu löschen. „Wir haben dies nochmals symbolisch bekräftigt“, sagte eine Sprecherin der Stadt. Der einstimmige Gemeinderatsbeschluss betrifft auch einen anderen ehemaligen Ehrenbürger Friedrichshafens: Reichspräsident: Paul von Hindenburg.

Beiden – Hitler wie Hindenburg – wurden mit Beginn der Nazi-Herrschaft massenhaft Ehrenbürgerwürden zuteil. Kommunen mit NSDAP-Ortsgruppen übertrumpften sich seinerzeit in vorauseilender Ehrentümelei. Bundesweit sollen es 4000 gewesen sein. Eine Zahl, die Thomas Schnabel, Leiter des Hauses der Geschichte in Stuttgart, für zu niedrig hält. Er spricht von einem fast flächendeckenden Phänomen. Tatsächlich ist es Bestandteil vieler Ortsgeschichten.

Den demonstrativen Entzug der Ehrenbürgerwürde im Falle Hitlers hält Schnabel für „schöne Symbolik“. Für sich genommen sei das jedoch „ein bisschen wenig. Man schließt die Sache voll ab. Doch was sagt uns das heute?“ Den Historiker erinnert das an eine Form von Endlagerung.

Viel reizvoller findet er die Auseinandersetzung mit Ehrenbürgern, bei denen die Sache mit dem Nazi-Verbrechertum und der Schuld nicht so klar liegt. Dabei fällt Schnabels Blick auf die 13 550 Einwohner große Gemeinde Remshalden. Der bekannteste Name, den dieser Teil des Remstals bisher hervorgebracht hat, ist der von Ernst Heinkel. Der Flugzeug-Konstrukteur wurde 1888 im Teilort Grunbach geboren. 70 Jahre später starb er in Stuttgart.

Lange vor Hitlers Machtübernahme war Heinkel für seine Flugzeug-Entwicklungen gefeiert worden. Nach 1933 stellte er sein Können in den Dienst der braunen Machthaber. Und so verbindet sich mit seinem Namen nicht nur großer Erfindergeist, sondern auch das Thema Nazitum und Zwangsarbeiter. Manche sehen in Heinkel den Gründer nationalsozialistischer Musterbetriebe.

Remshalden, in dem sein Name gewissermaßen in Stein gemeißelt ist – von der Ernst-Heinkel-Realschule über den Ernst-Heinkel-Brunnen bis zur Ernst-Heinkel-Straße –, stellt sich dieser Thematik in einer besonderen Weise. Zeitgleich zum Amtsantritt von Bürgermeister Stefan Breiter im Mai war in der „Stuttgarter Zeitung“ ein Bericht über „Hitlers Waffenschmied“ erschienen – gemeint war Ernst Heinkel. Daraufhin beschloss Breiter, Heinkels Geschichte zu einem Thema aller zu machen. In drei Fachvorträgen von Wissenschaftlern, so seine Überlegung, sollten die Bürger zunächst auf denselben Wissenstand gebracht werden nach dem Motto: Der ganze Ort lernt dazu – jedoch nicht in Form einer Belehrung. Breiter spricht von Aufklärung. Parallel dazu zeigt das örtliche Museum eine Sonderausstellung „Flugzeuge aus dem KZ“. Anschließend sollen die Bürger darüber beraten, wie sie mit dem Andenken verfahren wollen. Breiter deutet bereits an, dass die Realschule einen anderen Namen erhalten soll: „Ich meine, dass Heinkel nicht als Vorbild für Kinder dient.“ Auch die Lehrerschaft sei einhellig dieser Meinung.

Der erste der drei Fachvorträge fand bereits statt. Am vergangenen Freitag strömten statt der erwarteten 100 Remshaldener 260 in die Gemeindehalle. Für Breiter ein Beleg dafür, dass man mit dieser Art der geschichtlichen Aufarbeitung richtig liegt. Als letzten Redner in der Reihe wünscht er sich übrigens Thomas Schnabel. Der ist der Auffassung, dass es lohnend ist, sich mit ambivalenten, doppelgesichtigen Personen der Ortsgeschichte dauerhaft auseinanderzusetzen statt ihre Namen zu löschen. Schnabel wählt dafür das Bild eines „stetigen Stachels“.