100 Jahre Saline – ohne einen Pfennig Geld feierte Bad Dürrheim 1923 inmitten der größten Inflation. Den Spaß ließ sich trotzdem keiner nehmen.
Bad Dürrheim - Das deutsche Schicksalsjahr 1923 fing schlecht an: Im Konflikt um die deutschen Reparationsleistungen beginnen französische und belgische Truppen am 11. Januar mit der Besetzung des Ruhrgebiets.
Die Reichsregierung, militärisch handlungsunfähig, verkündete daraufhin den passiven Widerstand und erklärte quasi einen amtlichen Generalstreik im besetzten Gebiet. Das gab der ohnehin schon schwer angeschlagenen deutschen Währung den Rest. Es folgen eine Hyperinflation, Hunger, Not, Putschversuche – eine Republik wie ein Tollhaus.
In zunehmendem Tempo verlor die Mark an Wert. Laufend gab die Reichsbank neue Banknoten mit schließlich astronomischen Zahlen aus, die jedoch nur Pfennigwerte darstellten: Im November 1923 kostete ein Brot 470 Milliarden Mark und ein Kilo Rindfleisch bald 2,6 Billionen Mark. Preise, die sich binnen Stunden verdoppelten. Arbeiter, die ihren Lohn in Koffern voller Papiergeld nach Hause trugen – wenn sie ihn nicht direkt ausgegeben hatten, bevor das Geld noch weniger wert war.
Papiergeld in Wäschekörbe
Wie in jedem Geschäft nahm man das Papiergeld im Warenhaus Bäuerle in der Dürrheimer Friedrichstraße an und warf es in die hinter den Verkäufern stehenden Wäschekörbe. Nachgezählt wurde nicht. Durchs Fenster hinausgeworfen wurde es anschließend mit Leiterwagen weggefahren, meist ohne große Hoffnung, entsprechende Neuware für die Kunden dafür zu bekommen.
Der damalige Dürrheimer Bürgermeister Schilling wollte trotz der katastrophalen Umstände ein würdiges Fest zum 100-jährigen Bestehen der Saline feiern. So bat er das badische Finanzministerium, dem die Saline unterstand, um einen ziemlich hohen Zuschuss. Dies wurde lachend abgelehnt, worüber der heißblütige Bürgermeister Schilling dem zuständigen Referenten fast an die Gurgel ging. Daraufhin lehnte die Salinenbehörde es sogar ab, dass Salinenarbeiter kostenlos mithelfen dürften bei Arbeiten zur Festdekoration, wie dem Aufstellen von Masten und ähnlichem.
Bescheidene Gedenkfeier
Nach diesem "Theater", das Schilling daraufhin veranstaltete, genehmigte der Finanzminister dann doch noch eine "bescheidene Gedenkfeier für Arbeiter und Beamtenschaft, einschließlich der Rentner der Saline". Eine große Feier mit Veranstaltungen und Umzügen und ähnlichem könne das Bürgermeisteramt ja machen – aber nur wenn es alle Kosten selbst trüge oder durch Festeinnahmen decken könne.
Die badische Staatsbrauerei Rothaus AG wurde angewiesen, 500 bis 600 Liter Bier dem Salinenamt zu übersenden, die für das Mitarbeiter-Fest vom Finanzministerium gestiftet worden sind. Am Freitag, 20. Juli 1923, fand dann in der Krone ein Festbankett für alle Saliner statt. Langjährige Arbeiter und Pensionäre wurden vom badischen Finanzministerium durch Geschenke ausgezeichnet.
Trachtenverein bis ins Allgäu eingeladen
Am Festwochenende 21. und 22. Juli 1923 ging es richtig zur Sache. Wie genial der Bürgermeister war, zeigt sich daran, dass er, im Bewusstsein dass keinerlei Geld da war, viele Trachtenvereine vom Schwarzwald bis ins Allgäu zu dem Tag einlud. Trachten waren ja vorhanden und wer dann beispielsweise gesehen hat, wie dutzende prächtige Schäppel-Trägerinnen aus dem Schwarzwald durch die Straßen schritten, hat nicht mehr ans mangelnde Geld gedacht.
Nach dem Gottesdienst folgte der Festzug mit zahlreichen Festwagen. Auch alle Dürrheimer Vereine beteiligten sich vorbildlich. Das größte Kontingent brachte die Feuerwehr, mit festlich blumengeschmückter Spritze und der Radfahrerverein. Über die Feier veröffentlichte das Karlsruher Tagblatt vom 23. Juli 1923 folgenden Bericht: "Bei außerordentlichem Zustrom einer 20 000 bis 30 000-köpfigen Menge feierte das kleine, aber weltberühmte Solbad Dürrheim das 100-jährige Bestehen seiner Saline."
Bergrat Kirchenbauer zeigt Entwicklung der Saline auf
Auf dem Festbankett am Samstagabend gab Bürgermeister Schilling einen Rückblick auf die Geschichte Dürrheims seit dem 9. Jahrhundert n. Chr., während Bergrat Kirchenbauer die Entwicklung des hiesigen Salzlagers, sowie die seitherige Entwicklung der Saline und des Solbades, die eine sehr reiche Salzproduktion und einen großen Fremdenzustrom aufwies, schilderte.
Den Höhepunkt bildete an jenem Sonntagnachmittag der Festzug, in dem eine große Anzahl prächtiger Festwagen Bilder aus der Geschichte der Salzgewinnung, ferner Sitten und Gebräuche aus dem Leben Dürrheims und des Schwarzwaldes aus alter und neuer Zeit zeigte. Da mit dem Feste zugleich auch ein Heimattag verbunden war, beteiligten sich auch zahlreiche Trachtenträger an dem Umzug, erhöhten so seine Mannigfaltigkeit und verliehen ihm ein überaus farbenprächtiges Bild. Ein Festakt im Freien mit Trachtenvorführungen und Darstellung von Wallensteins Lager auf der Freilichtbühne beschloss das in allen Teilen ausgezeichnet verlaufene Fest.
Hunderte Trachtenträger und Schauspieler
Hunderte von Trachtenträger, fantasievoll gekleidete Schauspieler und Vereinsvertreter zogen sich in der Saline, im Bohrhaus am Sportplatz und im Badehaus II am Kurparkeingang um. Nach dem Festumzug traf man sich an den Bohrtürmen zu den Tanzvorführungen und zu Wallensteins Lager.
Der schlechten Zeit geschuldet, hatten die meisten Mitwirkenden und auch die Besucher eigene Lebensmittel, wie ein Vesperbrot mitgebracht und einen Becher, um das bereitgestellte Brunnenwasser oder den verdünnten Most zu trinken. Es sind aber trotzdem auf den überlieferten Fotos und in einem kurzen, 100 Jahre alten Film meist zufriedene Gesichter zu sehen.