Siegfried Esslinger berichtet über seine Kindheit im Hof. Foto: Vögele

Heimat: Sulzer schildern beim historischen Stadtrundgang ihre ganz persönliche Erinnerungen

Das Generationenprojekt "Jung fragt Alt – Sulzer Geschichten" mit Theaterlehrerin Ursula Weber erfuhr durch den Stadtrundgang zu den Originalschauplätzen den krönenden Abschluss, denn Zeitzeugen erweckten durch ihre Erzählungen vor Ort die besonderen Plätze nochmals ganz anders zum Leben als auf der Theaterbühne.

Sulz. Ausgangspunkt war der Marktplatz. Mehr als 30 Teilnehmer lauschten hier den Ausführungen von Weber zur geschichtlichen Entwicklung der Stadt. Über Bildmaterial zu allen besuchten Stationen lernte man Sulz als wunderbare Stadtanlage mit ihren Winkeln kennen.

Im Mittelalter zählte sie zu den zehn wichtigsten Städten Württembergs, basierend auf dem Salzmonopol und der Verkehrslage. Berühmte Persönlichkeiten wurden vor dem Alten Oberamt vorgestellt.

Über seine entbehrungsreiche Kindheit in der Hirschstraße (heute ein Teil der Apotheke am Rathaus) und die unzulänglichen Wohnverhältnisse dort berichtete Herwart Kopp. Aber auch die Freude über die erste Brezel, Schlittschuhlaufen auf dem vereisten Neckar oder waghalsige Schlittenfahrten zauberten ein Lächeln hervor.

Die Alte Schulstraße führte zur damaligen Volksbank in der Bergstraße und ins Bildungszentrum mit der ehemaligen Volks- und Lateinschule von 1417. Anfangs nur für Jungen, durften ab 1901 auch Mädchen die Anstalt besuchen. Sulz galt neben Stuttgart als Bildungshochburg.

In der evangelischen Stadtkirche erwartete die älteste Mitbürgerin Marianne Frick die Gruppe. In bewegenden Worten schilderte sie die hier erlebten wöchentlichen Trauergottesdienste für die Gefallenen gegen Kriegsende, eine ihrer wichtigsten Erinnerungen. Dagegen erschien ihr Sehnsuchtsort, der Garten des Gasthofes Waldhorn, als wirkliches Paradies, das allerdings nur den Gästen vorbehalten war. Ganz persönliche Gedanken zur gelebten Ökumene 1944 in der Stadtkirche rundeten ihre Schilderungen ab. Umrahmt wurden ihre Worte vom Vokalensemble mit Beate Röhse, Saskia Rothenhäusler, Martin Schneider und Dennis Heitinger.

Amüsante Episoden

Vor dem Amtshaus der Vögte machten sich zwei Bäuerinnen Luft mit der vehementen Anklage "Wider ihren Tyrannen". Über die Alte Nagelschmiede und das Gefängnis ging es zur Stadtmauer, wo man Sulz mit seinen vielen Wasserläufen als "Klein Venedig" kennenlernte. Der Weg führte am Alten Badhaus vorbei zum Brühl, der damaligen Lebensader. Volker Bertram stellte anschaulich das Früher dem Heute gegenüber. Er beschrieb die ihn beeindruckenden Handwerkertätigkeiten. Das Leben spielte sich auf der Straße ab.

Das Fischgeschäft seines Vaters war ein Novum, der Fisch wurde bekannt. Kaum vorstellbar, dass er hier vor 30 Jahren seine Medizintechnik begann. "Heute gibt es hier nur noch Autos", bedauerte er.

Am Neckarufer beschrieb Siegfried Esslinger seine Kindheit in Sulz und wie er zwangsweise, seiner Verletzung geschuldet, den Weg nach Glatt fand. Der Einmarsch der Franzosen und die Begleitumstände einer Rettungsaktion dreier Deserteure durch seine Mutter sind bleibende Erinnerungen.

Und mit amüsanten Episoden erheiterte nach drei weiteren Stationen noch Karl- Heinz Kienzle vor dem Badhaus Kienzle: Eine liebenswerte und schlagfertige schwäbische Seele kam zum Vorschein. Seine Oma Emile, eine mutige, junge Witwe mit drei Kindern, baute das Bad mit Kabinen und Zentralheizung. Ihre Sole- und Fichtennadelbäder waren begehrt. "Bua, wem kersch?" hat der Erzähler Kienzle heute noch in den Ohren, wenn er zum Soleholen bei Frau Saline- Maier vorsprach.

Anfang Mai wird die Führung wiederholt und um die Außenbezirke erweitert.