Erneut erreicht uns ein Hilferuf aus der Helios Klinik. Eine Krankenschwester sagt: „Es wird schlimmer statt besser.“ Personaluntergrenzen würden nicht eingehalten, man könne den Patienten nicht gerecht werden, es gebe sehr viele Kündigungen. Die Klinik in Rottweil hält mit Statements anderer Mitarbeiter dagegen.
Die Krankenschwester weiß sich nicht mehr zu helfen. „Man muss die Öffentlichkeit aufrütteln“, sagt sie. Nach konkreten Vorfällen in jüngster Zeit und Gesprächen mit Kollegen spricht sie stellvertretend für etliche, die „nicht mehr können“. Man fühle sich von der Klinik-Leitung allein gelassen, die Patienten seien die Leidtragenden.
Ganz wichtig sei den betroffenen Mitarbeitern eins, betont sie: „Wir lieben diese Klinik und diesen Job, deshalb tut es ja auch so weh, was da abgeht.“ Trotz vieler Versprechungen geschehe nichts. Und sie schildert Situationen aus dem aktuellen Klinikalltag, die beispielhaft für die Lage seien.
Die Vorwürfe
Im Spätdienst auf einer Station sei die Pflegekraft wegen Ausfalls eines Kollegen – wieder einmal – alleine zuständig für rund 20 Patienten gewesen, es seien durch Notfälle vier bis fünf weitere dazugekommen. Folge: Die Kollegin kann den Patienten nicht gerecht werden, es brennt überall, sie bricht irgendwann in Tränen aus. Sie hat zwar Hilfskräfte, doch diese sprächen „kein Wort Deutsch“.
Für die Pflegekräfte sei klar, warum keine Unterstützung von Leiharbeitsfirmen, sondern Kräfte aus Indien herangezogen werden. „Das ist billiger.“ Und der viel gerühmte neue „Vertretungspool“ bestehe aus einer Person. „Wir helfen einander aus wo wir können, wenn der Dienstplan wieder Lücken hat – aber manchmal geht es einfach nicht mehr.“
Und sie selbst sei einfach betroffen, wenn sich eine Hautentzündung bei einer Patientin bildet, weil sie von einer Hilfskraft nicht richtig gewaschen wurde – und keiner Zeit gehabt habe, das zu kontrollieren.
Unterschreitung der Personaluntergrenzen wird hingenommen
Trotzdem findet sie toll, wie alle zusammenhalten und ans Limit gehen. Das mache auch stolz. „Viele halten nach wie vor zur Stange und stecken den Kopf nicht in den Sand.“
Beängstigend sei , das die regelmäßige Unterschreitung der Personaluntergrenzen mittlerweile von der Klinik mehr oder weniger hingenommen würden, so der Vorwurf. Die fällige Strafe werde bezahlt. Der Personalmangel führe auch dazu, dass Oberkursschülerinnen, wie es jüngst geschehen sei, mit den Patienten allein gelassen würden. Dabei würden Aufgaben ausgeführt, die nur eine Fachkraft machen darf.
Viele wechseln an andere Häuser
„Dabei kann es auch anders laufen“, betont die Krankenschwester. Nicht ohne Grund würden viele Kollegen an andere Häuser wechseln – zum Beispiel ins Vinzenz-von-Paul-Hospital. Allein in einer Abteilung wisse sie von sechs, sieben Kündigungen auf den 1. Juli.
Die Reaktion der Klinik
Diese Beispiele und Vorwürfe aus der Mitte der Pflegfachkräfte hat unsere Redaktion der Helios Klinik am Mittwoch vorgelegt mit der Bitte um Stellungnahme zu den einzelnen Punkten. Stimmt das alles?
Die Klinik antwortet uns am Freitag, geht aber nicht auf die konkreten Vorwürfe ein. Man habe vielmehr mit denselben Herausforderungen wie jede andere Klinik zu kämpfen. Ziel sei es, jeden Tag gute Medizin und gute Pflege am Standort Rottweil zu machen und den Patienten eine wohnortnahe Versorgung zu bieten. Und man danke allen Mitarbeitern für ihr ihr Engagement.
Die Kritik einiger weniger Mitarbeiter spiegle nicht die Meinung aller wider, wird betont. Deshalb wolle man angesichts der Komplexität des Themas „nicht schlicht auf Fragen antworten“, sondern die Mitarbeiter zu Wort kommen lassen. Diese empfänden „die Berichterstattung der letzten Monate als verletzend und unfair“.
Hierzu der Hinweis: In den vergangenen Monaten hat es keine kritische Berichterstattung unserer Redaktion über die Klinik gegeben. Zuletzt berichteten wir im Herbst vergangenen Jahres über die Proteste von niedergelassenen Ärzten in Bezug auf die Klinik in Rottweil. Im März hatte der Klinik-Geschäftsführer Robert Brandner in einem ausführlichen Interview mit uns Gelegenheit, seine Sicht der Dinge sowie Ziele und Projekte darzulegen.
Statements anderer Mitarbeiter
Die Klinik hat nun Statements von elf Mitarbeitern eingeholt, die Pressestelle sendet uns diese auf drei DIN A4-Seiten zu. Zu Wort kommen: eine Pflegekraft von der Station der Inneren Medizin, die Pflegeleitung der Anästhesie, eine Stationssekretärin, zwei Mitarbeiterinnen der Endoskopie, eine Schülerin im Mittelkurs, eine Praxisanleiterin der chirurgischen Station und vier Ärzte. Deren Aussagen im Kern: Es gebe viele Mitarbeiter und Patienten, die sehr zufrieden sind. Schuld an allem seien nicht die Arbeitsbedingungen, sondern „die negativen Schlagzeilen“.
Hier die uns von der Klinik zugesandten Aussagen:
Kevin Dos Santos Costa
„Ich höre jeden Tag von den Patienten, wie schön es hier bei uns ist. Wie oft sagen Angehörige: Wir sind froh, dass unsere Mutter oder unser Vater hier in Rottweil liegt. Dann in der Zeitung so viel Negatives über die Klinik zu lesen, das ist verletzend“, sagt Kevin Dos Santos Costa. Er ist seit knapp zwei Jahren als Pflegefachkraft in Vollzeit auf der Station Innere Medizin tätig. „Wie soll die personelle Situation dann besser werden? Wie sollen sich die Pflegekräfte für eine Stelle bei uns interessieren, wenn nur Negatives kommt? Natürlich gibt es Schichten, die besonders anstrengend sind. Manchmal denke auch ich: Wie soll ich das schaffen? Ich muss bei Ausfällen häufig einspringen, ich komme manchmal auch an meine Grenzen, da gibt es nichts zu beschönigen. Aber es ist in jeder Einrichtung so. Ich kenne viele, die in anderen Krankenhäusern kündigen – nur in der Zeitung steht davon nichts.“ Zu den ausländischen Pflegehelfern bezieht er ganz klar Stellung: „Wir sind glücklich, dass wir sie haben. Das sind gute Fachkräfte. Wir haben zum Teil Leute, die in ihren Heimatländern Medizin studiert haben. Sie besuchen Deutschkurse und machen sprachliche Fortschritte.“
Katharina Riemer
Diesen Aspekt greift auch Katharina Riemer auf. Sie ist Stationssekretärin und seit sieben Jahren in der Rottweiler Klinik tätig. „Der Fachkräftemangel in der Pflege ist da, den schaffen wir als Helios Klinik Rottweil nicht aus der Welt, es ist überall so. Aber die Klinik unternimmt doch was dagegen. Deswegen haben wir ja auch ausländische Pflegekräfte in Anerkennung und Pflegehelfer da. Und wir halten alle zusammen, wir sind alle aufeinander angewiesen und unterstützen einander. Aber wenn immer wieder rufschädigende Schlagzeilen kommen, dann machen irgendwann alle Pflegehelfer und Bewerber einen großen Bogen um unser Haus. Das kann doch nicht das Ziel sein!“
Veronika Mauch
Veronika Mauch arbeitet im Bereich Endoskopie und hält dem Haus schon seit über 35 Jahren die Treue. „Helios ist nicht das Krankenhaus. Das Krankenhaus sind die Menschen, die hier arbeiten. Und denen tut es weh, immer nur Negatives in der Zeitung zu lesen. Und es macht wirklich nichts besser. Man wird darauf angesprochen, man muss sich rechtfertigen – und viele Patienten, die zufrieden sind mit der Behandlung und mit dem Aufenthalt bei uns, sind entsetzt über das, was veröffentlicht wird. Ich frage mich: Was passiert, wenn das Krankenhaus schließt? Was würde das für die Patienten bedeuten, vor allem für ältere Patienten, die nicht mehr so mobil sind? Sie bleiben dann auf der Strecke. Für mich ist das Krankenhaus fast wie Familie. Und diese Debatte macht mich nur traurig.“
Maria Cmok
Fast drei Jahrzehnte ist Maria Cmok in der Endoskopie tätig. „Ich fühle mich hier heimisch. Ich kenne jede Ecke im Krankenhaus. Wir sind als Team zusammengewachsen, da guckt einer nach dem anderen, dass es einem gut geht. Das ist das, was die Arbeit ausmacht. Man fühlt sich wie zu Hause, und diese ständige Kritik in der Öffentlichkeit zieht einen einfach runter. Ich weiß, auf viele wirkt Helios wie ein rotes Tuch. Aber wir möchten unser Krankenhaus verteidigen. Klar ist es manchmal anstrengend, vor allem in der Pflege ist es nicht einfach – aber es ist nicht nur in unserer Klinik so.“
Patricia Bouza
Patricia Bouza ist 47 Jahre alt, hat schon Zytologie studiert und sich dann bewusst für eine Ausbildung zur Pflegefachkraft an der Berufsfachschule für Pflege in Rottweil entschieden. Jetzt im Mittelkurs hat sie regelmäßig praktische Einsätze in der Klinik. „Für mich ist es kein Job, es ist eine Berufung. Deshalb bin ich auch da. Ich habe meine Ausbildung angefangen, als das Thema Fachkräftemangel schon präsent war. Auch Rottweil habe ich bewusst gewählt. Ich finde die Größe des Hauses und das Angebot sehr attraktiv. Natürlich gibt es Momente, in denen man überfordert ist. Es gibt Situationen, die stressig sind, und jede Schicht ist anders. Aber ich habe bis jetzt immer jemanden gefunden, der mich unterstützt hat. Und die Patienten waren immer gut versorgt. Sehr viele haben sich bedankt. Auch Helios stellt für die Mitarbeiter viel auf die Beine: Aktionen, Feste, das muss man auch anerkennen. Dass ich mit 47 Jahren diese Ausbildung machen kann, für mich ist das ein großes Geschenk. Wenn ich einem Patienten gegenüberstehe und weiß, dass ich alles gegeben habe – was gibt es Besseres? Ich will nicht woanders hin, wenn ich mit der Ausbildung fertig bin. Ich schäme mich nicht, in der Helios Klinik Rottweil zu arbeiten, ich bin stolz darauf.“
Anja Effinger
Zu den „alten Hasen“ in der Klinik gehört Anja Effinger. Seit 1994 arbeitet sie im Krankenhaus, seit einiger Zeit ist sie als freigestellte Praxisanleiterin auf der chirurgischen Station tätig. „Ich komme immer gern zum Schaffen. Ich mache den Beruf aus Leidenschaft. Sonst hätte ich die Pflege ja nicht ausgesucht.“ In ihrer Arbeit mit den Auszubildenden stellt sie immer das Positive in den Fokus. „Die Auszubildenden schätzen es sehr, dass wir uns so intensiv um sie kümmern. Das sind ja unsere Pflegekräfte von morgen. Da hat sich schon viel bewegt. Und unsere Patienten sind tipptopp versorgt. Wir bekommen tolle Rückmeldungen.“ Die Berichterstattung und die negativen Schlagzeilen verfolgt Anja Effinger nicht. „Aber es macht natürlich was mit einem“, sagt sie. Auch ihr ist bewusst, dass der Druck manchmal zu viel wird. Vor allem für die Spätdienste ist die Planung auf Stationen herausfordernd – das hängt unter anderem mit der Betreuungssituation zusammen. Anja Effinger selbst fühlt sich in ihrer Rolle als Praxisanleiterin wohl: „Für mich ist es Heimat.“
Die negativen Schlagzeilen haben nicht nur auf den Pflegebereich Auswirkungen. Auch die Ärztinnen und Ärzte spüren die Folgen, teilt die Klinik mit.
Cosmin Curelariu
„Man muss das Vertrauen der Patienten wiedergewinnen. Wir machen hier gute Medizin – müssen uns aber rechtfertigen, weil die Patienten durch die Schlagzeilen verunsichert sind“, schildert Cosmin Curelariu, Oberarzt in der Kardiologie.
Sandra Brandauer
Sandra Brandauer ist Oberärztin Anästhesie und Intensivmedizin und viel als Notärztin unterwegs. „Ich finde es enttäuschend, dass unsere Klinik so negativ dargestellt wird. Wir geben uns jeden Tag Mühe – und dann müssen wir uns schlechte Kommentare von Außenstehenden anhören. Man fragt sich schon: Warum macht man das eigentlich? Die Öffentlichkeit hat ein komplett falsches Bild von uns. Und wenn die Patienten dann da sind und zufrieden sind, kommen Reaktionen wie: Sie sind ja total nett und machen so tolle Arbeit! Wir haben es ganz anders gehört.“ Sie betont: „Egal, wie stressig es ist, unsere Arbeit macht uns Spaß. Wir haben so gute Teams. Man verbringt so viel Zeit miteinander. Wir haben oft Extremsituationen und das schweißt natürlich zusammen. Bei uns ist sich keiner zu schade, mit anzupacken und auch die anderen Bereiche zu unterstützen. Wir schieben auch mal die Patienten vom Aufwachraum ins Zimmer, wenn es sein muss.“
Felix Babisch
Felix Babisch, Leitung Anästhesiepflege, sagt: „Mich stört es, dass durch die negative Berichterstattung der Eindruck entsteht, dass gegen den Personalmangel nichts unternommen wird. Für mich ist es ganz klar ein politisches Problem. Wir sind nicht das einzige Haus, das Schwierigkeiten hat, Personal zu bekommen. Es ist wirklich schade, wenn es so rüberkommt. Dabei haben wir so eine gute Zusammenarbeit im Team und auch zwischen den Teams. Wir tun unser Bestes, um neue Leute zu unterstützen und sofort mit einzubeziehen.“
Chalida Kern
Chalida Kern, Oberärztin Anästhesie und Intensivmedizin, ist wichtig zu betonen, dass Pflege- und Ärzteteams international sind und es absolut selbstverständlich ist. „Nicht die Herkunft ist entscheidend, sondern die fachliche Kompetenz. Wir sind ein multinationales Team.“ Für sie ist klar: „Ich finde es wichtig, dass das Thema Krankenhaus medial präsent ist. Aber wäre es nicht besser zu zeigen, wie wir arbeiten, wie die Abläufe bei uns sind, was wir alles anbieten? Man liest nur überall, dass es anstrengend ist. Aber die Arbeit macht einfach wahnsinnig Spaß. Wir machen OPs, wir haben einen Schockraum, wir versorgen Schwangere, wir haben eine starke Wirbelsäulenchirurgie und noch so viel mehr. Unsere Gefäßchirurgie ist überregional eine der besten Abteilungen überhaupt! Wir haben in der Pandemie tolle Arbeit geleistet und leisten sie auch jetzt. Wir bekommen so viel positives Feedback von unseren Patienten. Ich habe Briefe von den Patienten, sie sind so berührend, die lese ich immer mal wieder durch.“
Gergana Boneva
Gergana Boneva ist Funktionsoberärztin und arbeitet seit zehn Jahren in der Abteilung Gefäßmedizin und -chirurgie in der Helios Klinik Rottweil. „Personalmangel gibt es schon seit Jahren, auch bei den Ärzten. Ja, die Situation spitzt sich manchmal zu. Es liegt nicht daran, dass die Stellen nicht existieren, sondern daran, dass die Stellen leider nicht besetzt werden können. Wir sind ein kleines Haus, wir liegen in der ländlichen Gegend – es ist schwer, Fachkräfte zu finden, für die es attraktiv ist, in Rottweil zu bleiben. Viele möchten in große Städte, in große Kliniken. In Deutschland werden durch Numerus Clausus einfach nicht genug Ärzte ausgebildet. Ein Teil geht dann in Großstädte, ein Teil in die Forschung und ein Teil auch ins Ausland – in die Schweiz oder nach Schweden zum Beispiel. Schon seit Jahren haben wir in der Klinik sehr viele ausländische Kräfte. Es sind gut ausgebildete Leute, die sich viel Mühe geben. Gleichzeitig bilden wir in der Klinik auch Ärzte aus – einige bleiben bei uns, manche lassen sich in der Gegend nieder und verstärken so den ambulanten Bereich. Auch das ist sehr wertvoll für die Versorgung der Patienten.“
Die Krankenschwester
Die Krankenschwester, die sich an uns gewandt hat, wundert sich nicht, dass die Statements so ausfallen. Über die Auswahl der Personen wundert sie sich allerdings schon. Viele der Befragten seien eben nicht direkt als Pflegekraft in den Stationsalltag eingebunden. „Ich bleibe bei allen Aussagen.“ Und: Nicht etwa negative Schlagzeilen, sondern die täglichen Arbeitsbedingungen speziell in der Helios Klinik seien die Ursache dafür, dass viele Kollegen irgendwann aufgeben. „Das bricht mir das Herz.“