Mittlerweile leben 2600 Bulgaren in der 300.000-Einwohner-Stadt Mannheim, die meisten davon in Jungbusch. Foto: Symbolbild/dapd

Die Stadt Mannheims fordert Land, Bund und EU zum Handeln auf : Man komme mit der „Armutsmigration“ nicht mehr klar. Südosteuropäer aus ärmlichsten Verhältnissen ziehen in die Stadt.

Mannheim - Brautmoden neben Zeitschriften neben Gemüse und Obst. Die Vielfalt der Ladengeschäfte im Mannheimer Stadtteil Jungbusch ist groß. Es sind keine weltweit tätigen Handelsketten, die sich hier niedergelassen haben. Wer in Jungbusch etwas eröffnet, stammt von dort. „Migranten gehen viel öfter in die Selbstständigkeit als Nichtmigranten“, sagt Claus Preissler, der Integrationsbeauftragte der Stadt Mannheim.

Und Migranten sind in Jungbusch ganz klar in der Mehrheit. Ihr Anteil liegt bei über 60 Prozent. An erster Stelle stehen Türken, dann kommen Italiener und Polen. An vierter Stelle schließlich finden sich die Bulgaren, eine Migrantengruppe, die immer größer wird in Mannheim. Seit Bulgariens EU-Beitritt im Jahr 2007 hat sich die Zahl der Zuwanderer aus diesem Land vervierfacht. Mittlerweile leben 2600 Bulgaren in der 300.000-Einwohner-Stadt, die meisten davon in Jungbusch.

So sehr die Bulgaren vom EU-Beitritt ihres Landes profitieren, so groß sind auch die Probleme, die er mit sich bringt. Zwar dürfen sich Bulgaren frei im Euro-Raum bewegen und damit auch in Deutschland leben – wenn sie ihren Lebensunterhalt betreiten können. Doch ein normaler Job – ein sogenanntes abhängiges Arbeitsverhältnis – bleibt ihnen verwehrt. Die Regelungen zum Schutz des deutschen Arbeitsmarktes wollen es so. Also retten sich viele Bulgaren in die Selbstständigkeit. Auch in Mannheim. Sie bieten Hausmeisterdienste an, verlegen Fliesen oder reinigen Hauswände – sehr zum Ärger der eingesessenen Handwerker. Denn die wittern Schwarzarbeit bei vielen ihrer neuen Konkurrenten aus Südosteuropa. „Unsere Aufträge gehen zurück“, sagt Ilker Polat vom Verband türkischer Unternehmer Rhein-Neckar.

„So ein aggressives Klima wie im vergangenen Jahr habe ich seit 20 Jahren nicht erlebt“

Die meisten Bulgaren sind Roma. Viele von ihnen flüchten aus ärmlichsten Verhältnissen und bringen ihre Familien mit. „Es ist eine sehr organisierte Zuwanderung“, sagt Mannheims Integrationsbeauftragter Preissler. Anstatt auf Behörden vorstellig zu werden, wenden sich die Neuankömmlinge an Bekannte, die bereits in Mannheim wohnen. Oder an Bekannte von Bekannten. Oder an wildfremde Menschen, die ihnen von Bekannten empfohlen wurden. „Sie wissen genau, in welche Lokalität sie gehen müssen, wo ihnen dann geholfen wird.“ Ob dort dann kriminelle Abzocker am Werk sind? So genau kann das niemand sagen. Es gibt nur Vermutungen. Denn regelmäßig landen neu angekommene Bulgaren in überteuerten Zimmern ohne Mietverträge oder werden als Tagelöhner ausgenutzt.

Mit den neuen Nachbarn aus Südosteuropa wandelte sich auch das Klima im Mannheimer Stadtteil Jungbusch. „So ein aggressives Klima wie im vergangenen Jahr habe ich seit 20 Jahren nicht erlebt“, sagt Michael Scheuermann vom Quartiermanagement Jungbusch. Bewohner hätten ihm berichtet, sie würden ihre Kinder nicht mehr auf die Straße schicken – „aus Angst vor den Bulgaren“. Andere seien erbost gewesen über den vielen Dreck im Viertel, für den sie die Bulgaren verantwortlich machten. Und viele Mütter wollten ihre Töchter nicht mehr zu öffentlichen Tanzveranstaltungen schicken. „Es drohte ein Rückzug ins Private.“ Doch dann wendete sich das Blatt. Scheuermann und seine Mitarbeiter rückten regelmäßig aus, sprachen mit Betroffenen, erinnerten die bulgarischen Zuwanderer an ihre Rechte und Pflichten und stellten so ein Stück Frieden wieder her. Doch die Probleme sind damit nicht gelöst. „Wir werden als Stadtteil alleingelassen“, sagt Scheuermann, „es fehlt eine gesamtkommunale Strategie.“

Bei der Stadt Mannheim verweist man auf die nächsthöheren Ebenen – die Landesregierung, die Bundesregierung und die EU. Den verstärkten Zuzug von Bulgaren bezeichnet der Integrationsbeauftragte Preissler als „Armutsmigration“. Und diese auf kommunaler Ebene zu bekämpfen, „das funktioniert nicht“. Stattdessen müsse die Politik nun nachjustieren – eben auf den nächsthöheren Ebenen. Denn dort, das sagt auch Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD), werde das Thema politisch schlicht „negiert“. Die Stadt Mannheim stehe damit vor schier unlösbaren Aufgaben. Zum einen müsse sie genügend Integrationsangebote für die bulgarischen Flüchtlinge anbieten. „Zum anderen müssen wir Bereiche wie Ausbeutung, Mietwucher und Prostitution bekämpfen.“