Dominique und Samara Jodry bei ihrer Hochzeit – schon vier Tage später schlägt das Schicksal zu. Foto: Privat

Samara und ihr Partner Dominique haben schon alles für das Baby vorbereitet. Doch dann schlägt das Schicksal erbarmungslos zu. Die schwangere Frau kämpft weiter – für die Familie.

Sie wartet noch immer, wenn sie gerade nicht an den 23. Mai denkt, dass er jeden Moment durch die Haustüre kommt, vielleicht die Küche betritt. Und dann kommt die Erinnerung wie ein Schlag in den Magen: Er lebt ja nicht mehr. Ihr Mann Dominique, Micky. Gerade 30 Jahre alt ist er geworden. Und er hat seinen Sohn nicht mehr gesehen.

 

Das gemeinsame Kind kommt im September zur Welt

Samara Jodry erzählt von dem schrecklichen Schicksal, das ihre junge Familie, die jenseits der Rottweiler Kreisgrenze, in Spaichingen wohnt, getroffen hat und streicht über ihren großen Bauch. Der Kleine darin wird im September geboren. Fast vier Monate, nachdem sein Vater so plötzlich gestorben ist. „Dein Bauchzwerg“ nennt sie das Kindchen in der Todesanzeige, die einen selig aussehenden jungen Mann zeigt. Am Tag der Hochzeit am 4. Mai.

Vier Tage später schlägt das Schicksal ohne Vorwarnung zu. Dominique Jodry bricht auf der Arbeit bei der Firma Storz Straßenbau plötzlich zusammen, wacht in der Klinik noch einmal auf, schaut seine Frau an und bricht in Tränen aus, als ob er gewusst hätte, dass es der letzte Abschied wäre. So weit war Samara Jodry, 35, noch lange nicht. Erst im Nachhinein ist ihr klar, wie traumatisch das alles ist, was über sie und ihre siebenjährige Tochter hereingebrochen ist.

Zwei große Blutgefäße waren geplatzt

Sie erfährt in der Klinik in Villingen-Schwenningen, dass ihr Mann vier Aneurysmen - krankhafte Erweiterungen von Blutgefäßen - im Kopf hatte. Zwei davon seien geplatzt, er werde gerade operiert. Der Arzt überreicht ihr einen roten Plastikbeutel mit dem Schmuck ihres Mannes. Ein Bild, das sie nicht loslässt, hatte sie doch überhaupt nicht realisiert, wie ernst es da schon stand.

Weil sie als Erzieherin im Kindergarten St. Franziskus im Kleinkindbereich gearbeitet hatte, bekommt sie schon früh Arbeitsverbot wegen der Schwangerschaft. Das ist jetzt besonders gut, auch wegen ihrer eigenen Gesundheit.

Die komplette linke Gehirnhälfte ist weg

Die OP ist ganz gut verlaufen, meinten die Ärzte. Was sie auf den Aufnahmen sieht, ist: nichts. Die komplette linke Gehirnhälfte ist weg.

Man könne auch mit einer Gehirnhälfte leben, meinen die Ärzte. Er bliebe aber ein Pflegefall. „Egal“, sagt sie, „ich nehme ihn auch im Rollstuhl mit nach Hause.“ Irgendwann ruft sie nicht mehr im Krankenhaus an, die Maschinen funktionierten ja. Und immerhin, ihre Tochter, die sehr am Stiefpapa hängt, sollte nicht zu kurz kommen. Samara Jodry ist nicht der Typ zum Aufgeben. „Ich hab schon alles überlegt und geplant, wie man das hier behindertengerecht umbauen könnte“, sagt sie und blickt um sich. „Das hier“ ist das Haus ihrer Oma und ihres Opas Johanna und Alwin Hagen. Die Oma starb 2022.

Die Familienbande sind eng, auch zu Mutter Annette Jennert. Es scheint, als ob alle versuchten, die werdende Mutter und ihre Tochter abzupuffern vor der Schärfe des Schicksals. „Das hier“, das Haus, ist der Ort, wo sich das Paar eine Zukunft aufgebaut hat, wo Dominique gewertet und gebaut hat, ihr alle Wünsche erfüllen wollte. So wie den Rundbogen zur Küche.

Es steckt so viel Liebe in diesem Haus

Wer denkt in diesem Alter an ein Testament, eine Patientenverfügung, eine Risikolebensversicherung, um die hohen Schulden für das Haus aufzufangen - wenn was passiert? Die glücklichen Eheleute auf jeden Fall nicht. Jetzt hat sie einen ganzen Ordner angelegt, eine Risikolebensversicherung abgeschlossen.

Die Sorge, es als Alleinerziehende mit zwei Kindern nicht zu schaffen, das Haus zu halten, überhaupt die Existenzangst ist groß. Deshalb haben Freunde schon Geld gesammelt, deshalb hat der Lionsclub schon geholfen und vermittelt gerne weitere Spenden.

Ihr Bruder wird jetzt erst einmal oben einziehen, um sie zu unterstützen. Die Wäsche runtertragen, den Rasen mähen, all das, was sie selbst hochschwanger mit ihren gesundheitlichen Problemen nicht kann.

Der Oberarzt schaut sie an – und weint

Am 20. Mai geht Samara Jodry wieder in die Klinik. Der Oberarzt schaut sie an - und weint. Ihr Mann hatte noch sechs Schlaganfälle, das zeigten die Bilder der Untersuchung. Da begreift sie, dass sie ihren Micky nicht mehr - auch nicht im Rollstuhl - heim nehmen wird. Selbst wenn er aufwacht, wird nichts mehr da sein, wird er nichts mehr können. Zusammen mit seinen Eltern und seinem Bruder in Singen geben sie die Zustimmung, die maschinellen Therapien zurückzufahren.

Die Sorge in dieser haltlosen Situation gilt trotz allem ihrer Tochter: Bitte stirb nicht, schickt sie ihrem Mann in Gedanken zu, bitte stirb nicht am 24.. Der Geburtstag der Tochter soll nicht mit Deinem Tod auf immer verbunden sein.

Um 20.08 Uhr am selben Tag noch stirbt Dominique Jodry. Am 24. beginnt seine Frau mit der Organisation der Beerdigung - und zieht die Geburtstagsfeier ihrer Tochter durch. Irgendwie auch verbunden mit ihm: „Er war ein super Stiefpapa, die beiden waren absolute Kindsköpfe. Ich kannte keine Situation, wo er nicht gelacht hat.“ Er hatte sich gesund ernährt, Sport getrieben, nichts deutete auf die Zeitbombe in seinem Kopf hin, erzählt seine Frau.

Und doch, als ob er etwas geahnt hätte: Er hatte sich an jenem Morgen besonders intensiv verabschiedet, auch von seiner Stieftochter, die er von Anfang an so liebevoll angenommen hatte. Ihre Tochter habe gefragt: „Warum gibt es den lieben Gott nicht mehr, wenn er mir meinen Stiefpapa nimmt?“ Und wenn doch: Bestimmt gebe es im Himmel etwas zu renovieren.

Sein „Bauchzwerg“ wird den Papa nicht mehr sehen

Samara Jodry ist eine starke Frau. Sie lässt es nicht zu, dass sie zusammenbricht, wenn die Trauer zu groß ist, erinnert sie ihr Kleiner im Bauch. Nachdrücklich, „dass er das jetzt nicht so cool findet.“ Aber man spürt: Sie läuft immer auf Messers Schneide.

Ihr bleibt die Erinnerung. Fotos, auf denen er, wenn sie beide zusammen sind, richtig beseelt scheint. Die Erinnerung, wie sie diesen Baggerfahrer noch zu Zeiten ihrer ersten Ehe in Weilheim 2020 kennenlernte. Auf der Baustelle vor dem Haus. Der kein Eis, aber Kaffee wollte, weil Eis so ungesund ist. Der ihr nicht mehr aus dem Kopf ging und dessen Namen sie dann nach der Trennung von ihrem ersten Mann gesucht hatte und auf der Firmenseite fand, den sie über Social Media dann halt mal anschrieb, und der zu ihrer großen Liebe wurde.

„Jetzt musst du es 40 Jahre mit mir aushalten“, habe sie ihm am Tag der Hochzeit gesagt.

Hier kann man helfen

Wer Samara Jodry unterstützen möchte, kann dies über das Hilfswerk des Lions Club Tuttlingen e.V., DE30 643500700008524818 SOLADES1TUT - Stichwort Familie Jodry tun.