Von der Beratung bis zum Anwalt. Die Organisation Hate Aid betreut die Opfer von Online-Hass. Die Arbeit wird seit Corona leider nicht weniger. Im Gegenteil.
Berlin - „Wie war’s denn heute im Büro?“, möchte man Anna-Lena von Hodenberg kaum fragen. Die Berlinerin beschäftigt sich den ganzen Tag mit Hass – in all seinen Facetten: Beschimpfungen, Morddrohungen, Hetze, Mobbing, Cyberattacken, Shitstorms und was noch so anfällt im Internet der scheinbar unbegrenzten Boshaftigkeit.
Mit ihrer im Dezember 2018 gegründeten Organisation Hate Aid hilft sie den Opfern von Online-Hass und ballt für sie die Fäuste, solange die Betroffenen selbst in Schockstarre und nicht dazu in der Lage sind. Und selbst die Bezeichnung „Online-Hass“ ist verniedlichend: Denn es ist besonders für Leidtragende eine reale Gewalterfahrung. Man muss dafür nicht mal selbst im Internet aktiv sein, es reicht bereits, aus einem Anlass dorthin gezogen zu werden. Privatpersonen sind da ebenso betroffen wie Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen.
Die Stimmung ist aufgeladen
Zur Arbeit geht die 38-Jährige trotzdem gerne: „Ich selbst bin dem Hass ja nicht hilflos ausgeliefert, wir vertreten Betroffene, die das sind. Denen geben wir Handlungsoptionen und Hoffnung, wie sie gegen TäterInnen vorgehen können.“ Anfangs erledigte Anna-Lena von Hodenberg das noch mit zwei Mitarbeiterinnen und drei Laptops. Mittlerweile arbeiten 32 Leute für Hate Aid.
Seit Corona ertrinkt von Hodenberg in Beratungsanfragen. „Es gibt ja nicht nur Menschen, die systematisch hassen, sondern auch solche, die sich anstecken lassen“, sagt von Hodenberg. Intakter Freundeskreis, Familienzusammenhalt, sich sicher fühlen, Perspektive – das alles fehlt derzeit, die Stimmung ist allgemein aufgeladen.
„Es sorgt für Unruhe, Aggression, Angst, Unsicherheit – das alles muss ja irgendwo hin.“ Manche joggen, suchen sich neue Hobbys und Ventile. Andere lassen ihrem Unmut anderweitig freien Lauf. „Der Hass nimmt zu, Leute lassen sich viel schneller dazu hinreißen, online auch noch ihren Kommentar dazuzugeben, weil da ja schon zehn Beleidigungen stehen“, sagt von Hodenberg.
Vergleichbar sei das mit einer Plünderung, erzählt sie: „Wenn die Scheiben schon eingeschlagen sind, dann trete ich auch noch mal rein. Ist ja eh schon alles kaputt.“ Im schlimmsten Fall wirkt das auf Betroffene, als würde die ganze Welt auf sie einprügeln.
Muskeln zur Selbstermächtigung
Die Hilfestellungen von Hate Aid sind breit gefächert: Das Team berät, beruhigt, hört zu, schirmt ab, sammelt Beweise und leitet Klagen ein, wo Aussicht auf Erfolg besteht, dem Hass juristisch zu begegnen. „Lehnen Sie sich zurück, wir gehen da rein und machen das für Sie“, erklärt von Hodenberg ihre Arbeitsweise. Dazu gehöre nicht nur, dass die Betroffenenden beispielsweise bei der Beweissicherung nicht abermals all die Kommentare lesen müssten. Besonders wichtig sei, das Gefühl zurückzugeben, dass man nicht machtlos sei. Hate Aid liefert die Muskeln zur Selbstermächtigung.
Ein Akt der Solidarität
Von Hodenberg sagt: „Es gilt zu zeigen, dass es Grenzen gibt, dass es nicht normal ist, dass niemand sich das gefallen lassen muss und: dass es strafbar sein kann.“ Doch die juristische Hürde ist für viele Betroffene zu hoch, weil zu kostspielig und zu langwierig. Wer beispielsweise gegen einen Online-Kommentar gerichtlich vorgehen will muss mit grob 2000 Euro Anwalts- und Gerichtskosten in Vorleistung gehen – wer einen Prozess verliert, muss die Kosten des Gegenübers zusätzlich tragen.
Doch Hate Aid springt auch bei der Prozesskostenübernahme ein und hat ein solidarisches Geschäftsmodell daraus entwickelt: „Wenn wir vor Gericht Schmerzensgeld erwirken, dann ist der Deal, dass dies an uns zurück gespendet wird. So finanzieren wir den Prozess für die nächste Person“, erklärt von Hodenberg. Der Kampf gegen Hass als Akt der Solidarität.
Nur ein bisschen Genugtuung
Wie langwierig solche Prozesse sein können, durfte auch Renate Künast, damals eine der ersten Kundinnen bei Hate Aid, erfahren. Im September 2019 entschied das Berliner Landgericht, die Grünen-Politikerin müsse damit leben, im Internet „Stück Scheiße“, „Schlampe“, „Drecksfotze“ oder „Geisteskranke“ genannt zu werden. Dies bewege sich, so das Gericht, „haarscharf an der Grenze des von der Antragstellerin noch Hinnehmbaren“. Künast und Hate Aid legten Widerspruch ein – im Januar 2020 erzielten sie zumindest einen Teilerfolg gegen die Entscheidung. Sechs der insgesamt 22 Kommentare gegen Künast erfüllen tatsächlich den Strafbestand der Beleidigung.
Nur „ein bisschen“ gehe es um die Genugtuung, sagt Anna-Lena von Hodenberg, wenn jemand vor Gericht bekommen hat, was er verdient. Viel schwerer wiege das Bewusstsein, „dass Leute sich gegen Hass gewehrt haben. Das Gefühl, einer Sache ausgeliefert zu sein, ist das Schlimmste.“