Mangas und Animes zeichen, das mag Mykhailo. Sein Talent dafür ist auf dieser Zeichnung unschwer zu erkennen. Foto: Sell

Kaum zu glauben, dass das, was man da zu sehen bekommt von einem Elfjährigen stammt. Doch Mykhailo Papikian hat für sein Alter schon ein erstaunliches zeichnerisches Talent entwickelt. Und das wird in Haigerloch jetzt nach Kräften gefördert.

Haigerloch - Japanisch angehauchte Animes und Mangas zeichnen, das ist das, was den eher stillen Jungen fasziniert und womit er sich stundenlang beschäftigen kann. Vielleicht ist das Zeichnen auch eine Form von Therapie, um die traumatischen Ereignisse zu bewältigen, die "Mischa" erlebt hat

Vor zwei Jahren ist sein Vater an Krebs verstorben, mit seiner Mutter Nadja und seiner achtjährigen Schwester Maria hat er dann im Großraum Odessa den russischen Angriff auf die Ukraine miterlebt. Weil die Mutter mittlerweile mit Oleg Oliinyk, ein Lkw-Fahrer aus Litauen, zusammenlebt, war es der gesamten Familie möglich, aus der Ukraine nach Deutschland zu fliehen.

Über Bietenhausen nach Haigerloch

Zunächst kamen die vier in Bietenhausen unter, doch dort stellten sich rasch heraus, dass die Platzverhältnisse bei der dortigen Familie doch etwas beengt sind. Also kam die Geflüchteten auf Vermittlung des evangelischen Pfarrers Oliver Saia und Paul-Sebastian Schwenk Anfang März nach Haigerloch. Unterschlupf fanden sie schließlich im Blockhaus von Thomas und Barbara Sell. Über alle Sprachbarrieren hinweg und mit Hilfe der SprachApp "SayHi" kümmerten sich die Sells um die Neuankömmlinge, damit diese in Deutschland so gut wie möglich den Alltag bewältigen können.

Mutter Nadja besuchte einen Deutsch-Kurs auf dem Schlossfeld, die achtjährige "Mascha" geht inzwischen in die Grundschule und Mykhailo ging zunächst in die Vorbereitungsklasse in der Eyachtalschule und darf nach den Sommerferien in die sechste Klasse wechseln. Selbst die Organisation einer ärztlichen Behandlung war notwendig, weil sich Oleg Oliinyk zum allem Übel in den ganzen Wirren auch noch den Fuß gebrochen hatte.

Behörden machen es einem nicht leicht

Es gab also eine Menge zu tun: allerdings ärgert sich Barbara Sell darüber, wie schwierig deutsche Behörden es ihr gemacht haben, einer ukrainischen Familie zu helfen. Sie berichtet über Telefonate mit dem Landratsamt und der Stadtverwaltung, bei denen sie sich nicht nur über den Ton gewundert hat, in dem mit ihr geredet wurde.

"Im Prinzip wurde man da etwas allein gelassen und man musste sich alles selber aus den Fingern ziehen", Für Leute, die ihre Zeit opfern, um Menschen zu helfen, hätte sie sich schon etwas mehr Hilfestellung erwartet. Vor allem wenn man ohne jegliche Vorkenntnisse aber mit einem großen Willen zur solidarischen Hilfe an eine solche Sache herangehe. Deutlich besser ist es laut ihr dagegen in den Gesprächen mit dem Job-Center in Balingen gelaufen.

Anfangsschwierigkeiten überwunden

Doch mittlerweile sind die allermeisten Anlaufschwierigkeiten überwunden und die Sells bereuen es keine Sekunde, unbürokratisch Hilfe geleistet zu haben, auch wenn sie eine deftige Nachzahlung für das mit Strom versorgte Blockhaus erhalten haben. Auch die Nachbarschaft, so berichten die beiden, hätten zum Beispiel mit Sachspenden für unglaubliche Unterstützung und eine herzliche Aufnahme der Ukrainer gesorgt.

Thomas Sell hat für Nadja Papikian inzwischen eine Arbeit bei der Firma Pezet organisiert, ihr Lebensgefährte kann dort möglicherweise als Fahrer arbeiten. Nach Barbara Sells Eindruck beginnt die Familie ganz langsam "hier Fuß zu fassen".

Ein nächster Schritt wäre es nun, der kleinen ukrainischen Familie eine langfristige Unterkunft zu besorgen, auch wenn Thomas und Bärbel Sell wissen, wie schwierig derzeit der Wohnungsmarkt ist – auch in Haigerloch.

Info:

Und wie kam es dazu, dass sich nicht nur der Alltag der Familie Papikian in halbwegs geordnete Bahnen lenken ließ, sondern auch noch das künstlerische Talent des elfjährigen Mykhailo gefördert wurde? Wie immer spielen da gewisse Zufälle ein Rolle.

Mykhailos Mutter sprach Barbara Sell an, ob man das zeichnerische Talent ihres Jungen nicht mit Unterricht fördern könne. So kam der Kontakt zu Klaus Drescher zu Stande, der bekanntlich in seiner Galerie und Kunstschule "Kunst am Turm" im ehemaligen Friseurgeschäft Hinger im Städtle Malkurse gibt.

Und während Bärbel Sell mit Drescher sprach, waren zufälligerweise mit Helga Schüssler aus Bodelshausen (Schüssler Werkzeugaufnahmen) und Birgit Laske aus Hechingen (PS-Sport) zwei Unternehmerinnen zugegen. Beide entschieden sich spontan dazu, dem Jungen einen zehnstündigen Malkurs zu sponsern. Klaus Drescher ist hin und weg vom zeichnerischen Talent, dass er bei Mykhailo gesehen hat. "Für einen Jungen seines Alters ist das ganz erstaunlich", lobt Klaus Drescher seinen Schützling.

Und dann kam noch ein Kontakt zum Balinger Friseur Bernhard Jung und dem Balinger Künstler-Netzwerk FREIRaum Balingen zu Stande. Unter dem Stichwort "Kunst-ist-Energie" arbeitet dieses bekanntlich mit den Balinger Stadtwerken zusammen, was in der Praxis heißt, dass Künstler mit deren Genehmigung die tristen Stromkästen im Stadtgebiete farblich umgestalten dürfen. Eine solche vertraglich vereinbarte Genehmigung – und obendrein ein "Taschengeld" von 90 Euro – bekam auch jetzt auch Mykhailo.

Zusammen mit Klaus Drescher gestaltete der Junge also ein Motiv und am gestrigen Freitagmorgen traf man sich in der Tübinger Straße unweit des Kreiskrankenhauses um einen Stromkasten damit zu verzieren. Wegen der geriffelten Frontseite des Kastens erwies sich das zwar als etwas schwieriger als gedacht, aber nach gut drei Stunden glänzte das Kunstwerk aus Acrylfarben, auf knallgelbem Untergrund. "Für den Jungen ist das eine gigantische Sache", freute sich Barbara Sell.