Basri Mehmeti und seine Frau Serdia (rechts) mit drei ihrer sieben Kinder vor ihrem kleinen Haus in einer Roma-Siedlung in Novi Sad – in dem Anbau links ist das neue Badezimmer  Foto: Rometsch

Während der Kriege in Jugoslawien verloren Hunderttausende Roma ihr Zuhause. Die Vojvodina ist heute Auffangbecken für unzählige Flüchtlinge und Rückkehrer aus Westeuropa. Doch auch in Serbien leben sie am Rande der Gesellschaft. Schlechte Bildung verstärkt diese Situation.

Novi Sad - Das helle Knattern des Zweitaktmotors dröhnt durch die Straße. Mit Schwung biegt Basri Mehmeti in den kleinen Hof ein. Er sitzt auf einem grünen Mofa, an dessen Vordergabel eine Art große Schubkarre montiert ist. Während seine Frau Serdia das rostige Eisentor schließt, schart sich der Rest der neunköpfigen Familie um den Karren, der voll beladen ist mit allerlei Holz, Metallrohren, Plastikflaschen, Papier, Schrott, Teppichen und alten Fliesen.

 

Wir sind in Adice, einer Vorortsiedlung östlich von Novi Sad, der mit rund 220 000 Einwohnern zweitgrößten Stadt Serbiens. Die Gegensätze könnten größer kaum sein: Im Stadtzentrum, in der Fußgängerzone rund um die Marienkirche und das historische Rathaus, präsentiert sich die habsburgische Schönheit an der Donau als pulsierende Universitätsstadt, die mit ihren vielen Straßenlokalen und Festivals die Besucher anlockt. Nur ein paar Kilometer stadtauswärts führt der Weg über eine holprige Landstraße ins Abseits, in die Dritte Welt – mitten in Europa. Die Balkankriege haben jede Menge Flüchtlinge aus Bosnien, Kroatien und dem Kosovo hierhergetrieben – vor allem Roma.

Seit 15 Jahren schon hat Familie Mehmeti hier ihr Zuhause. Gut 50 Quadratmeter misst das kleine Häuschen, in dem die Mehmetis mit ihren sieben Kindern im Alter zwischen acht und 27 Jahren leben. Das Mobiliar ist übersichtlich: drei Schränkchen, ein kleiner Tisch, ein Sofa, ein Fernseher. Geschlafen wird auf dem Boden, der mit Teppichen und Sitzpolstern ausgelegt ist. Die Wände sind hellblau und rosa gestrichen.

1999, als der Kosovo-Krieg seinen Höhepunkt erreichte, haben die Mehmetis ihr Heimatdorf General Jankovic an der kosovarisch-mazedonischen Grenze verlassen. „Wir hatten unser Haus, ich hatte mein eigenes Stück Land, auf dem ich Paprika, Zwiebeln und Kartoffeln angebaut habe, wir waren nie durstig“, erinnert sich Basri Mehmeti wehmütig, der wie seine Frau in einer großen Zementfabrik gearbeitet hat. „Aber es wurde alles zerstört.“ Das Land haben längst andere in Beschlag genommen, an eine Rückkehr sei nicht zu denken.

Seither hat der 51-Jährige keinen Job mehr, wie die meisten Roma, die in Adice untergekommen sind: rund 160 Familien, mehr als 800 Menschen. Stattdessen sammelt er Müll, oder wie es die Hilfsorganisationen freundlich umschreiben: „Sekundärrohstoffe“. Jeden Morgen macht sich Mehmeti auf den Weg in die Stadt und stöbert die Abfallcontainer durch. Alles, was noch irgendwie verwertbar scheint, packt er auf seinen Mofawagen und fährt es nach Hause, wo es für den Weiterverkauf sortiert wird. Recycling auf Roma-Art. Für ein Kilo Kupfer gibt es knapp vier Euro, für Messing 2,15 Euro. „Wenn ich zehn Euro am Tag verdiene, bin ich zufrieden“, sagt Mehmeti. Seine drei Jahre ältere Frau ist Analphabetin, keines ihrer sieben Kinder geht zur Schule. „Wir haben kein Geld, um ihnen anständige Kleider zu kaufen, und wir wollen nicht, dass sie so zur Schule gehen.“ Unumwunden gibt er zu: „Hier gibt es keine Zukunft.“

Das zu ändern, hat sich die ökumenische Hilfsorganisation EHO zur Aufgabe gesetzt, die sich seit 20 Jahren um die Roma in Novi Sad kümmert. „Unser Ziel ist es, die Lebensverhältnisse der Roma in ihren Siedlungen zu verbessern und sie besser in die Gesellschaft zu integrieren“, sagt Robert Bu, stellvertretender Direktor von EHO. Hauptarbeitsfelder sind die Verbesserung der Wohnsituation, Beschäftigung und vor allem die Verbesserung der Bildungschancen für Roma-Kinder. Der Schlüssel zu all dem ist das Badezimmer.

„Teilhabe beginnt damit, dass man sauber ist und zur Schule gehen kann“, erklärt Johannes Flothow die Intention. Er ist Osteuropa-Experte beim Diakonischen Werk Württemberg, das die Roma-Arbeit von EHO im Rahmen der Hilfsaktion „Hoffnung für Osteuropa“ seit vielen Jahren unterstützt. Die wenigsten der Bretterbuden oder Häuschen in den Roma-Slums verfügen über ein Badezimmer. Entsprechend gehen die Kinder meist ungewaschen in die Schule, wo sie in der Folge ausgegrenzt und diskriminiert werden – und so schnell die Lust am Lernen verlieren. EHO unterstützt die Roma-Familien daher vor allem bei der Sanierung ihrer Behausungen und beim Bau eines Badezimmers. So schafft die Diakonie mit einfachen Mitteln ein Stück Hoffnung für die Heimatlosen.

In Zusammenarbeit mit den örtlichen Roma-Beauftragten wählt EHO besonders bedürftige Familien aus. Bedingung ist, dass sich die jeweilige Kommune finanziell beteiligt, etwa durch den Bau von Kanalisation, Wasser- und Stromleitungen. Erwünschter Nebeneffekt: Durch den Bau der Infrastruktur erhalten die bis dahin illegalen Siedlungen indirekt einen legalen Status.

Die Hilfsorganisation stellt das Baumaterial, die Roma greifen selbst zu Hammer und Kelle und sanieren und erweitern ihre Häuser – Hilfe zur Selbsthilfe. „Jede Familie bekommt vorab ihr Budget“, sagt Mohamed Eljsani, selbst Roma und bei EHO Leiter des Haussanierungsprojekts. Der Bau wird in verschiedene Phasen eingeteilt – Klärgrube, Fundamente, Wände, Dach, Verputzen und Innenausbau. Damit es nicht zum Missbrauch kommt, wird auch das Baumaterial in diesen Phasen zur Verfügung gestellt. Sprich: Sind die Fundamente betoniert, kommen Steine und Mörtel für die Wände.

Rund 150 Häuser konnten so im vergangenen Jahr saniert werden, berichtet EHO-Vizedirektor Bu. Insgesamt haben bisher mehr als 3000 Roma aus 13 Siedlungen von dem Programm profitiert. Zu Beginn ihrer Arbeit stießen die EHO-Verantwortlichen noch auf große Ablehnung. „Die Leute sind skeptisch“, erklärt Projektleiter Eljsani, „das dauert so lange, bis die erste Lieferung des Baumaterials kommt. Dann sehen sie, dass wir unser Versprechen halten, und vertrauen uns.“ Zugleich würden die Roma motiviert, sich selbst weiteres Baumaterial zu besorgen und in Eigeninitiative zu bauen.

Auch Basri Mehmeti hat mit der Unterstützung von EHO ein Badezimmer gebaut. Ob wenigstens die beiden jüngsten Kinder künftig zur Schule gehen? Er zuckt mit den Schultern. Der tägliche Überlebenskampf lässt kaum Zeit für solche Überlegungen.

„Die Sanierung der Roma-Siedlungen ist das beste Projekt im gesamten Westbalkan und hat Vorbildcharakter“, lobt Vera Grkavac, Sozialamtsleiterin in Novi Sad. Die Zahl der Bewohner in den Roma-Siedlungen wachse beständig, erst durch die Binnenvertriebenen, jetzt durch Rückkehrer aus Deutschland und anderen westeuropäischen Staaten, aus denen die Roma abgeschoben werden.

Offiziell leben 150 000 Roma in Serbien, tatsächlich sind es aber weit mehr als eine halbe Million. Knapp die Hälfte davon haust in slumähnlichen, meist illegalen Siedlungen, mit allen einhergehenden hygienischen Problemen. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Roma liegt bei nur 48 Jahren. „Die Roma sind die größte Minderheit in Serbien, aber niemand kümmert sich richtig um sie“, sagt Dragoljub Ackovic, Staatssekretär in dem erst vor eineinhalb Jahren gegründeten Ministerium für Minderheiten und Rückkehrer in Belgrad. 67 Prozent der Roma sind Analphabeten. Noch bis vor kurzem wurden rund 80 Prozent der Roma in Sonderschulen abgeschoben, weil sie kein Serbisch gesprochen haben. Nur ein Drittel der eingeschulten Roma-Kinder erreicht einen Schulabschluss, berichtet Slavica Denic vom Wirtschaftsministerium der Provinz Vojvodina.

Inzwischen sind diese Sonderschulen geschlossen, die Roma werden an den normalen Schulen integriert. 175 pädagogische Assistenten helfen den Roma-Kindern bei den Hausaufgaben und beim Erlernen der serbischen Sprache. Auch Halina Krasnici hat diese Hilfe bekommen. „Ich mag die Schule, hier kümmert man sich viel um uns.“ Seit zwei Jahren wohnt die 14-Jährige in Veliki Rit, dem mit mehr als 2500 Bewohnern größten Roma-Slum in Novi Sad, und besucht die achtjährige Grundschule Dusan Radovic. Zuvor hat sie drei Jahre lang mit ihren Eltern im rheinland-pfälzischen Dudenhofen auf Asyl gehofft, ehe die Familie abgeschoben wurde.

Maria Cekic ist die Direktorin der Dusan-Radovic-Schule, an der die serbische Roma-Problematik wie in einem Mikrokosmos gebündelt wird. Mit 1860 Schülern ist die Grundschule die größte des Landes. 500 der Kinder kommen aus Familien des benachbarten Slums. „Die Familien kommen und gehen, die Kinder haben es schwer, sich zu integrieren“, sagt Cekic. Bei den Eltern sei enorme Aufklärungsarbeit zu leisten: „Die Kinder sollen auf die Geschwister aufpassen oder im Haus arbeiten, statt zur Schule zu gehen.“

Halina immerhin darf zur Schule gehen. „Es war schwer zurückzukommen“, erzählt die Siebtklässlerin in gutem Deutsch. Mit ihrem Bruder unterhält sie sich auf Deutsch, mit ihren Eltern spricht sie Albanisch und in der Schule Serbisch. „Aber Deutsch spreche ich am besten“, fügt sie schmunzelnd hinzu und beschreibt ihren Zukunftstraum: „Ich würde gerne nach Deutschland zurück, dort ist alles besser als hier.“